Hildes Blumenkohl

Eigentlich konnte er ihn nicht ausstehen, den immer etwas zu matschig gekochten Blumenkohl seiner Hilde. Weil er aber die Hilde so gern hatte, aß er eben auch ihren Blumenkohl. So sei das eben, sagt Herr Mu. Wenn man jemanden gern hat, dann sieht man über die kleinen Macken im Charakter des anderen hinweg. Ich schmunzle und frage Herrn Mu ob es denn wirklich ein charakterlicher Fehler ist, wenn man den Blumenkohl verkocht. Das erscheint mir etwas sehr streng. Auch Herr Mu schmunzelt. Nur, wenn man es aus purer Bosheit über mehrere Jahrzehnte hinweg, immer wieder machen würde. Dann könne man durchaus von einem unschönen Charakterzug sprechen. Herr Mu lächelt so versonnen, dass ich mir sicher bin, dass seine Hilde als Ausgleich sehr viele, sehr schöne Charakterzüge gehabt haben muss. Ich merke es an und Herrn Mu er schüttelt den Kopf. Nein, seine Hilde sei ein rechtes Miststück gewesen. Den Blumenkohl zum Beispiel hätte sie nur deshalb ein ums andere Mal absichtlich verkochen lassen, weil er kurz nach der Hochzeit einmal feixend einen Scherz über die Ähnlichkeit von knackigem Gemüse und hübschen Frauen gemacht hat. Ab jetzt sei es vorbei mit dem jungen Gemüse, meinte seine Hilde und von da an gab es den Blumenkohl und auch den Kohlrabi eben nur noch weich und lasch.

Herr Mu und ich sitzen an der Bushaltestelle und blicken auf den sicher noch knackigen Blumenkohl, der am Straßenrand liegt. Er ist wohl einem aus dem Einkaufskorb gefallen, der es nicht der Mühe erachtet hat, ihn wieder aufzuheben. Als ich an Herrn Mu eben vorbei ging, hat er mich grüßend auf das Gemüse hingewiesen. Es saß keiner bei ihm, also habe ich ihm ein wenig Gesellschaft geleistet. Jetzt sitzen wir beide an der Bushaltestelle, an der heute am Samstag nur selten Buse fahren und schauen auf einen vergessenen Blumenkohl. An einem sonnigen Vormittag ist das gar nicht so schlecht. Ich weiß noch nicht was ich heute Abend kochen werde und ein Blumenkohl wäre eine schöne Beilage. Herr Mu neben mir raucht und mir wird ein wenig schlecht vom Geruch seiner Zigarillos. Jetzt, wo ich einmal sitze, kann ich aber nicht mehr aufstehen. Herr Mu muss erst fertig erzählen. Es dauert nicht lange bis er mich mit dem Ellbogen leicht anstößt und fragt, ob ich denn gar nicht wissen möchte, warum er fast 40 Jahre mit einem Miststück verheiratet geblieben war. Ich möchte es schon wissen und erkundige mich, ob es denn wegen des Geldes gewesen wäre. Harsch brummt er ein „Schmarrn“ und erklärt, dass seine Hilde ihr Leben lang gearbeitet hat und ihn gar nicht gebraucht hätte. Aber er, fügt er nach einer kurzen Pause an, er hätte sie gebraucht, seine Hilde. Wissen`S, sagt er, eine echte Liebe ist es, wenn Sie ein Weibsbild gern haben, obwohl´s Ihnen einen solchen Blumenkohl vorsetzt. Sie wird schon noch andere Vorzüge gehabt habe, die Hilde, merke ich an und Herr Mu schmunzelt. Einige, sagt er. Aber kaum charakterliche. 

Ich heb ihm den Blumenkohl auf und er steckt ihn in seine Plastiktüte. Heute steigt er in den ankommenden Bus und ich bleibe noch kurz sitzen. Ohne den Blumenkohl ist der Randstein gleich viel weniger schön zu beobachten und ich stehe bald auf. Daheim rennt mich einer fast um, als ich zur Tür rein komme, reißt mir meine Handtasche aus der Hand und zieht seinen Wohnungsschlüssel heraus. Wahnsinn, raunzt er mich an, diese Tasche sei ein schwarzes Loch, das selbst das verschlingt, was nicht einmal in seiner Nähe war. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände, sagt mir wie unglaublich dämlich und gedankenlos ich bin, und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich denke an Herrn Mu und daran, dass es wohl eine echte Liebe ist, wenn man über die Fehler des anderen mit einem so warmen Blick und einem Lächeln auf den Lippen spricht, dass es wie ein Kompliment klingt. Dem, der gerade aus meiner Wohnung stürmt rufe ich hinterher, dass es nächstes Mal, wenn er kommt, Blumenkohl gibt. Dann kommt er nie, höre ich ihn noch und schließe die Tür. Ich weiß, dass das nicht stimmt.

35 Gedanken zu “Hildes Blumenkohl

  1. Liebe Mitzi!
    Wie praktisch, dass Ihr Abendessen an der Bushaltestelle regelrecht auf Sie gewartet hat. Ich wusste gar nicht, dass man Blumenkohl verkochen kann. Ich liebe dieses Gemüse sehr und habe es glaube ich oftmals stundenlang im Wasser köcheln lassen, aus purer Vergesslichkeit. Gut, dass ich bisher niemandem diese Mahlzeit außer mir selbst kredenzt habe. Sonst hätte man mit Sicherheit auch mit einem breiten Schmunzeln über meine „Kochkünste“ hinweg sehen müssen.
    Ich hoffe, Ihre Mahlzeit mundet vorzüglich. Wollen Sie nicht mal Herrn Mu zum essen einladen? 🙂
    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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    1. Liebe Mallybeau,
      den Versuch des Blumenkohl-Dauerkochens habe ich selbst noch nicht unternommen. Es mag also durchaus sein, dass der Ihre perfekt und auf den Punkt ist und Herr Mu – so wie viele seiner Geschlechtsgenossen – in den Kochkünsten der Angetrauten extrem empfindlich ist. Ich denke da nur an das drei Minuten Ei von Loriot. Sein Sie also beruhigt – Ihr Blumenkohl ist sicherlich vorzüglich.
      Die Essenseinladung ist eine hervorragende Idee!
      Herzliche Grüße
      Mitzi

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      1. Seit eben bin ich übrigens stolzer Besitzer deines hübschen Buches und habe angefangen, darin zu schmökern.Da lese ich alles wie neu, zumal mir auch die tyografische Aufmachung sehr zusagt. Glückwunsch zu diesem Werk, das ich gar nicht mehr aus der Hand geben möchte, aber bald zu dir schicken will, damit du es mir signierst.
        Herzlichst,
        Jules

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      2. Es freut mich sehr, dass es dir gefällt, lieber Jules. Mira Alexander, die das Cover entworfen und gestaltet hat, verdient die Lorbeeren. Ich war sehr froh um ihre Hilfe und instinktiv, wahrscheinlich auch weil sie meine Texte kennt, ist das Buch genauso geworden, wie ich es hoffte.
        Auch ich werde bald ein Buch auf reisen schicken. Allerdings erst nach meinem Urlaub. Am Freitag fahre ich eine Woche in die Berge und werde dort all das machen wofür sonst keine Zeit bleibt. Den Blog lasse ich ein paar Tage vorher schon ruhen. Dir muss ich nicht erklären, dass das schönste Hobby, das bloggen, neben den normalen Alltag schlaucht.
        Ich freu mich ab Juli wieder bei dir mitzulesen und dein Werk dann auch endlich in Händen zu halten.
        Bis ganz bald und morgen in einer Woche, denk ich besonders an dich!

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  2. Lovely story. Küchenpraktisch möchte ich beim Kochen des obengenannten Gemüses einen regelmäßig unternommenen Gabeltest empfehlen. Falls man es unzerkocht haben will. Aber vielleicht will man das ja gar nicht 🙂

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  3. Ich weiß, eigentlich geht’s nicht darum, aber: Man kann Blumenkohl auch essen, wenn er zerkocht ist, das ist kein wirklich großes Opfer. Als Kind dachte ich nämlich, er gehört so. Meine Mutter hat ihn nicht nur immer so butterweich zerkocht, daß er fast von allein in sich zusammen gefallen wäre, sondern auch noch in einer Mehlschwitzpampe ertränkt. Wir Kinder mochten es, das ließ sich schön mit zerdrückten Kartoffeln zusammenmantschen. Gut, wenn jemand sowas so kocht, obwohl man weiß, daß der andere es eigenlich lieber anders hätte … Hildes außercharakterliche Qualitäten müssen wirklich außergewöhnlich gewesen sein.

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    1. Als Kind gibt es wenig feineres als matschiges essen mit viel Sauce. Ich würde den Blumenkohl heute anders machen. Aber wenn man ihn mir so vorsetzt…wahrscheinlich würde ich ihn noch immer mögen. 😊

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  4. Dumm ist es, wenn der eigene Topf zu klein ist um das Gemüse anständig zu kochen und man sowohl Rohkost als auch Gemüsebrei in seiner Schüssel später vorfindet… Aber Dinge zu zerkochen sollte eine Todsünde werden.

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