Jetz´samma beinand! U-Bahn Gedanken

Ich entschuldige mich gleich am Anfang bei Ihnen. Nicht für diesen Text. Der könnte noch etwas werden. Nein, für die grausame Einleitung, mit dem Lamenti, dass früher alles besser war.

Früher war es besser.

War es aber wirklich. Jedenfalls die Kampagnen der Münchner Verkehrsbetriebe. Die aus meiner Kindheit kann ich noch heute auswendig zitieren. Zum Beispiel: „Aus dem Walkman tönt es grell, dem Nachbarn juckts im Trommelfell“. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass mir dieser Satz auf den Lippen liegt obwohl es seit bestimmt zwanzig Jahren keine Walkmänner mehr gibt. Vor Augen habe ich dann die herrliche Zeichnung von Ernst Hürlimann, die jeder Münchner kennt. Aus der Abendzeitung wo sein Blasius allgegenwertig war, aus den Büchern Sigi Sommers oder eben aus den Kampagnen der Münchener Verkehrsbetriebe gegen den Krach aus Kopfhörern oder den damals noch nicht verbannten Rauchern auf den Bahnsteigen. Auch die Kampagnen in den Jahren danach waren ganz in Ordnung. Nicht mehr so charmant wie die Karikaturen aber doch noch ganz ok. Ich erinnere mich an die Plakate, auf denen die Fahrgäste Hand in Hand brav in Zweierreihen wartete, um geordnet einzusteigen. Oder das Bild eines Bahnsteiges der übersäht mit Schuhen war, da man diese vor dem Betreten – ganz wie zu Hause – auszieht. Freilich  hatte das auch schon nicht mehr viel mit München zu tun. Aber wenigstens die Texte hatten in ihrem Hochdeutsch einen Hauch von München. Stand da „Sauber!“ dann war nicht nur die Abwesenheit von Schmutz gemeint, sondern auch ein Ausruf, der in Bayern gleichbedeutend mit „Sehr gut!“ ist. Da warf man seinen Müll doch gleich viel lieber in die entsprechenden Tonnen.

In den letzten Jahren haben sich die Kampagnen verändert. Jetzt sind sie austauschbar und bleiben kaum im Gedächtnis.  Ich vermute, dass der Verantwortliche aus Norddeutschland kommt und ihm zu München nicht viel mehr einfiel als Brezen, Dackel und ein Liter Bier. Anders kann ich mich die Omnipräsenz dieser drei Dinge nicht erklären. Vor kurzen haben sie ihn wohl rausgeschmissen. Oder ist zurück nach Hamburg gezogen. Vielleicht auch in Rente gegangen. Jedenfalls kommen wir Fahrgäste seit Anfang Juni in den Genuss ganz neuer Kampagnen. Irgendeinem klugen Kopf ist wohl aufgefallen, dass der durchschnittliche Münchner in der Früh am Bahnsteig nur das liest was ihm gefällt. Der Blick ist in ein Buch, eine Zeitung oder auf ein Handydisplay gerichtet. Den Dackel, der uns darauf aufmerksam macht, dass man alten Leuten einen Platz anbieten soll, den ignoriert der Münchner. Er schaut auch nicht in die vielen Faltblätter die ausliegen. Wahrscheinlich denkt er, es geht ihn nichts an, weil ihn von da ja nur wieder der Dackel blöde angrinst und er gar keinen Hund hat. Würde er ihn lesen, dann wüsste er, dass die Münchner Verkehrsbetriebe darum bitten, den Müll in die Mülleimer zu werfen. Damit die 90 Prozent der Ignoranten wissen was Sache ist, werden sie nun schlicht und einfach angebrüllt. 

Montagmorgen stand ich am Harras am Bahnsteig in der Sonne und las mein Buch. Plötzlich brüllt es dicht neben meinem Ohr: „USCHIIIIIIIII!!!!!!“ Wäre mein Name Uschi, ich wäre vor Schreck ins Gleisbett gesprungen. Vor allem, weil man mich beschuldigte meinen Müll einfach auf den Bahnsteig geworfen zu haben. Eine Brigitte wies mich zurecht und ermahnte mich dafür zu sorgen, dass München sauber bleibt. Da sag ich nur: „Sauber!“ Diesmal im Sinn von „Sieh mal einer an“, und hoffe, dass die Uschis Münchens diesen Schreck unbeschadet überstanden haben. Wer vor Schreck nicht hinten über gekippt ist hat kapiert, dass es sich um eine Bandansage handelte. Eine, die alle zehn Minuten wiederholt und nach dem dritten Mal einfach überhört wird.

Einen Münchner, müssen Sie, wenn Sie ihm falsches Verhalten näher bringen wollen, entweder amüsieren oder personalisiert g´scheit anscheißen. So wie der eine MVG Mitarbeiter am Hauptbahnhof. Der lehnte zur Hauptverkehrszeit in seinem Glaskasten, presste seine Fingerspitzen gegen die Schläfen und wirkte sehr, sehr müde. Gebetsmühlenartig wiederholte er seine Aufforderung den Bahnsteig in seiner ganzen Länge auszunutzen, nicht zu drängeln und schließende Türen nicht gewaltsam offen zu halten. Wenn man so einen, Fingerspitzen an die Schläfen pressenden, MVG Mitarbeiter sieht, dann sollte man seine S-Bahn vorbei fahren lassen und warten. Meistens lohnt es sich. Ich setzte mich, wartete und bekam dann das große Kino, auf das ich hoffte. Plötzlich straffte sich sein Rücken, er rieb sich die Hände und beugte sich zum Mikrophon. Dann ging es los:

„So! Jetzt steigen wir alle nur noch an den mittleren drei Türen ein. Alle…auch Sie mit dem karierten Sakko und Sie mit den ausgefahrenen Ellbogen…alle pressen sich durch die mittleren Türen rein. Ja, genau…schieben´s die Aussteigenden einfach wieder in den Wagon…die kommen schon raus. Spätestens in Giesing…da will eh keiner hin. Pressen, meine Herrschaften, pressen. Jetzt sama beinand.
Benutzen Sie auf keinen Fall alle Türen zum Einsteigen. Schubsens grad die mit dem Gehwagerl, die leisten keinen Widerstand, und schieben Sie sich zur Mitte durch. Und immer schön weiter aufs Handy schauen…die Fallhöhe am Bahnsteig ist überschaubar….jawohl…“

Die Münchner lachten. Auch ein paar Sprachbegabte Hamburger schmunzelten und unser MVG Mitarbeiter strahlte. Bis er seine Ansage auf Englisch zu wiederholen versuchte. Das ging nach hinten los. Da fehlte die Ironie und etwa 30 Japaner stürzten, bereits halb eingestiegen, wieder aus der Bahn und suchten die angewiesene Tür. 

Ich fürchte der Mitarbeiter wird strafversetzt – ab morgen muss er runter zum Ballett. Das findet jetzt werktäglich zwischen 07:00 – und 09:00 Uhr statt und ist auch neu. Erzähl ich Ihnen morgen.

34 Gedanken zu “Jetz´samma beinand! U-Bahn Gedanken

  1. Liebe Mitzi,
    wenn ich Chef der MVG wäre, würde dieser Mitarbeiter €3000,- extra Pfingstbonus bekommen!
    Und das mit „früher“, Sie müssen sich nicht entschuldigen, früher war definitiv ALLES oder fast alles objektiv „besser“. Wobei „besser“ auch einen gewissen Anteil Subjektivität enthalten darf.
    Ich habe es meinem Vater nicht geglaubt, wenn er diesen Satz sagte, als ich noch klein war. Habe geschworen, dass dieser Satz nie über meine Lippen käme. (Mein erster Meineid!)
    Ich habe über 60 Jahre gebraucht, um es endgültig einzusehen und könnte UNZÄHLIGE Beweise liefern, die aber niemand sehen will, der jung ist, dass früher eben früher war und damit per se schon viel besser als das Heute, von dem niemand weiß, ob es ein Morgen gibt.
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, ich würde ihm den Bonus auch gönnen. Was für ein schrecklicher, nervenaufreibender Arbeitsplatz! An diesem den Humor nicht zu verlieren gehört honoriert.
      Ich hinke an Jahren im Vergleich mit Ihnen etwas hinter her. Aber auch ich erinnere mich, dass dieser Satz zu jenen gehörte, die ich schrecklich und überflüssig fand. Mittlerweile denke ich, dass man früher ruhig besser finden darf, wenn man dem „später“ eine Chance gibt.
      Herzliche Grüße

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  2. Hey! Sehr lesenswert! Coole Geschichte, hat mir tatsächlich den Abend versüßt ;)….Ich wünsche dir noch einen schönen Abend und ein schönes, baldiges Wochenende! :D….LG aus’m wanderhotel dolomiten 😉 Pia ❤

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  3. Fräulein Mitzi, Gottseidank. Gut, dass sie diese wahrhaft gruselige Ansage einmal ansprechen. Als ich sie zum erstenmal hörte dachte ich im ersten Moment, es handele sich um so etwas wie „die kleine Uschi möchte bitte beim Infopoint abgeholt werden“ – aber weit gefehlt. Beim näheren hinhören allerdings meinte ich, ich müsse vor Fremdschämen im Erdboden versinken!!! Wer hat sich so etwas ausgedacht? Die Dritte Klasse einer Grundschule? Und erst die Sprecherinnen… genausogut könnte man einen Leierkasten abspielen – wirklich zutiefst peinlich.
    Wenigstens werfen jetzt alle Uschis und Brigittes in München ihren Müll in den Mülleimer, andere Namen waren ja nicht angesprochen. Das trifft ganz bestimmt die richtige Zielgruppe…!
    hach, was gäbe man doch für solche spontandurchsagen, wie sie sie jüngst zu hören bekamen…
    Liebste Grüße!

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    1. Liebe Simone,
      ich möchte gar nicht wissen, nach welchen Kriterien die Zielgruppe hier ausgewählt wurde. Dass man die Stimmen Jugendlicher mit den Namen Uschi und Brigitte kombiniert, lässt schlimmes ahnen. Man mag sich mit Besuch aus anderen Städten gar nicht an den Bahnsteig stellen. Wollen wir hoffen, dass ihnen bis zur Wiesn etwas neues einfällt. Denn was wir da womöglich zu hören bekommen…..na, für einen Blogeintrag wird es sicher Stoff geben.
      Herzliche Grüße

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  4. Liebe Mitzi!
    Ich schließe mich den Ausführungen Herrn Heinrichs an. Dieser Bahnarbeiter sollte eindeutig mehr Gehalt bekommen anstatt degradiert zu werden. Derlei Ansagen bringen schließlich erst die nötige Heiterkeit in den oftmals tristen Arbeitsalltag. Ich plädiere regelrecht dafür, dass ein Wettbewerb ausgerufen wird, wo jeder Mitarbeiter dazu angehalten wird, originelle Durchsagen zu kreieren. Und der beste Spruch des Monats wird mit einer Prämie belohnt. Dann werden sicherlich auch im Nu die Werbeslogans in München wieder besser 🙂
    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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    1. Eine hervorragende Idee, liebe Mallybeau.
      Es heißt schon lange, dass München bunt ist. Solche Mitarbeiter würden bei der Realisierung eindeutig beitragen.
      Nächstes mal bringe ich ihre Idee an!
      Herzliche Grüße

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      1. Genial. Hase und Seeigel werden auf dem Bahnsteig neben der U-Bahn hin und her-rennen, während die Schaffner ihre Durchsagen machen und das Publikum begeistert daneben steht. 🙂

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  5. Herrlich, liebe Mitzi. Ich habe mich sehr amüsiert. Und natürlich war früher alles besser. Nur, was schlechter war, das war natürlich nicht besser. Beispielsweise die Ansage der MVG-U-Bahn-Fahrer, die mich vor fünf-sechs Jahren irritierte. Vor jeder Abfahrt, man wollte grad noch zusteigen, da brüllt es aus dem Lautsprecher: „Zurückbleiben!“ Ich dachte, hier fahren doch auch Kinder mit. Hören zweimal täglich, dass sie zurückbleiben sollen. Kein Wunder, wenn sie später angeschrien werden müssen und keine Ironie verstehen.

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    1. Ich erinnere mich an deine Verwunderung, lieber Jules. Der Befehl hat sich bis heute nicht geändert.
      Ich werde deine Erinnerung als Einleitung für den heutigen Text nehmen. Die Einleitung fehlte mir nämlich noch. 😉

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  6. Ironie im öffentlichen Raum? Das geht ja überhaupt nicht, der Mann m u s s strafversetzt werden. Das aber eine süddeutsche Großstadt ihre Plätze wie einen Schäferhund benennt, das hat mich schon überrascht. Und preußischer könnte ein Name doch kaum sein! Der schnarrt ja richtig offiziersmäßig.

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    1. Da ich selbst keine Ahnung über die Herkunft hatte, habe ich nachgeschlagen. Dennoch werd ich künftig beim umsteigen an leises kläffen hören 😉
      „1856 wurde das einstige Schloss am Löwenhof (heute etwa Plinganserstraße 38-42) an der Gabelung der Landstraßen von München nach Wolfratshausen und Weilheim abgerissen, einen Rest erwarb der Gastwirt Robert Harras und errichtete dort ein Café mit Gartenwirtschaft, das Zum Harras hieß und sich als beliebter Ausflugsort für die Münchner etablierte. Auch das Café wurde 1903 abgerissen, nur der Name überlebte in der Bezeichnung des dort entstandenen Platzes, der 1930 offiziell seinen Namen erhielt.“

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  7. Wir hier in Hamburg haben nur so schicke Sprüche wie: Alle hören laut Musik, außer Peer, den nervt es sehr!“… Mehr als ein Schmunzeln bekommst du weder vom Bürohengst noch vom Dockarbeiter… Was dagegen mehr amüsiert sind die roten Papierkörbe die Schriftzüge mit: „Annahmestelle“, „Bin offen für alles“ oder „Mach‘ schmutzige Geschäfte“ tragen. Habt ihr auch solche in München?

    So ganz unhumorig sind wir Norddeutschen auch nicht, wobei ich ja definitiv nicht weiß was ein Norddeutscher in Bayern zu suchen hat 😉 Er war sicherlich nur neidisch auf eure Berge, ansonsten kann ich mir absolut keinen Grund vorstellen warum er eure Nahverkehrskampagnen sabotiert hat. Der Münchener hat es dagegen drauf.

    Wobei ich glaube in Frankfurt es einmal Sprach:

    Sehr geehrte Damen und Herren, leider muss ich Ihnen mitteilen dass der Zug heute auf Gleis 8 in umgekehrte Wagen Rheinfolge einfährt.

    10 Minuten später

    Sehr geehrte Damen und Herren, leider muss ich ihnen erneut mitteilen das der IC von Gleis 8 nun auf Gleis 11 hält, aufgrund eines Weichenstellproblems.

    Dreimal darfst du raten, wer 10 Minuten später bei der Einfahrt des Zuges erneut zu Gleis 8 sprinten musste… Richtig die Fahrgäste, die auf Gleis 11
    standen.

    Da lob ich mir doch den BVG:

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    1. Ich glaube nicht, dass wir Aufschriften an den Mülleimern haben. Gibt es sie, dann sind sie so nichtssagend, dass sie mir noch gar nicht aufgefallen sind ;).
      Die Durchsagen – gerade bei Änderungen und Verspätungen – sind wohl im ganzen Land ganz große Klasse. Wenn man davon erzählt bekommt. Steht man selbst am Gleis, dann ist es zum aus der Haut fahren.
      Der BVG ist mir sehr sympathisch. Die Werbung und das Twitter Account sind herrlich amüsant. Da kann München nicht mithalten.
      Danke für den Link!
      Liebe Grüße

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  8. Liebe Mitzi! Als ich das las,erinnerte mich an meine Münchner Zeit – ich wohnte in Solln und habe am Harras geparkt, hinter den Hochhäusern, um dann jeden Mrgen zur U-Bahn zu laufen. Aber die war unterirdisch und furchtbar zugig. Gab´s da auch was Oberirdisches, weil Du von Sonnenstrahlen schreibst – ja, Busse, aber Straßenbahn? Da verlässt mich meine Erinnerung leider! Und auch jegliche Erziehungsversuche müssen an mir als Schwäbin vorbeigezogen sein, denn ich kann mich schlichtweg nicht erinnern! Wohl aber an das Gedränge und dass dies einer der Gründe war, München zu verlassen! Und natürlich, weil ich als Landei nicht gewohnt war, ständig Leute zu ignorieren, wie das ja in München (wie in jeder anderen Stadt) der Fall ist… jednfalls hast Du mih ´mal wieder zum Schmunzelnn gebraht und das tat gut! Danke dafür! Alles Liebe, Nessy

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    1. Liebe Nessy, deine Erinnerung ist ganz richtig. Eine Straßenbahn fährt dort tatsächlich nicht. Aber die S-Bahn ein paar Meter vom Platz entfernt.
      Dass die „Erziehung“ an dir vorbei gegangen ist, ist nur ein Zeichen von einem gesunden Selbstbewusstsein und einer schnellen Akklimatisierung ;).
      Ein schönes und sonniges Wochenende!

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