Ehrlicher Neid – U-Bahn Gedanken

Es heißt, Neid vergiftet Gemeinschaften, spaltet Freundschaften und zerstört die persönliche Zufriedenheit. Unter anderem definiert sich Neid, als das schlechte Gefühl,  das man hat, wenn andere etwas haben, das man selbst gerne hätte, aber nicht hat. Sagt Wikipedia, das häufig recht hat. Weil schlechte Gefühle, die auf dem Glück oder dem Besitz anderer beruhen, nicht mehr zeitgemäß sind, findet man auch kaum jemanden, der offen zugibt, neidisch zu sein. Ich schon. Ich finde es nämlich albern zu behaupten, dass man nicht neidisch ist, während man seufzend und zähneknirschend genau das ist.

Die beiden jungen Mädchen in der U-Bahn sind neidisch. Die eine, auf die in der Theater AG ergatterte Hauptrolle der anderen und die andere, auf die das Date einer wieder anderen am bevorstehenden langen Wochenende. Es ist ganz offensichtlich, dass beide gerne das hätten, was eine andere hat. Trotzdem versichern sie  lautstark und mit sich überschlagender Stimme, dass sie es total toll finden dass eine Ariane nun die Rolle der Maria hat und eine Leonie mit einem Felix am Samstag ausgehen wird. Neidisch sind sie natürlich nicht. Ich bin neidisch – auf die großen Taschen der beiden Mädchen, die jede für sich einen eigenen Sitzplatz haben, während ich mit schmerzenden Füßen stehen muss. In diesem Fall vermischt sich mein Neid sogar mit Missgunst. Die Taschen haben die Plätze nicht verdient – ich schon. Denen gönne ich nichts. Den Taschen. Allen anderen gönne ich fast immer alles. Neidisch bin ich trotzdem und ich finde, dass man das Gefühl ruhig ein wenig differenzierter Betrachten sollte. Natürlich sind wir neidisch. Ständig. Auf den bevorstehenden Urlaub der Kollegen, auf das vom Vermieter neu geflieste Badezimmer der Freunde und die dicken, wunderschönen Locken der Frau an der Bushaltestelle. Missgönnen tun wir es ihnen deswegen noch lange nicht. Und als hätten sie meine Gedanken gehört, versichern sich die beiden nun, dass Neid ein abscheuliches Gefühl ist. Sagt die, deren Nase schon ein wenig gelb vor Neid ist, weil sie Felix und Leonie nun wirklich keinen schönen Abend gönnt. Beim missgünstigen Neid haben sie recht. Der verdirbt die Laune, setzt sich an den Magenwänden fest und vergällt einem einen ansonsten schönen Tag. Der ganz pure „ach, das hätte mir auch gefallen Neid“, ist in meinem Augen ok. Da kann man neidisch sein und sich zugleich mitfreuen. Ich glaube nicht, dass mir der das Karma versaut.
Sie unterhalten sich weiter und ich bin ein bisschen neidisch auf die hübschen Sommersprossen auf den Schlüsselbeinen der einen. Ich gönne sie ihr, hätte sie aber auch gerne. Zumindest auf der linken Seite – auf der rechten Seite habe ich selbst welche. Leider nur dort, das ist etwas unsymmetrisch. Man sieht es zum Glück nur, wenn man sein Gesicht ganz nah an meine Halsbeuge hält, was ich nicht allzu vielen erlaube. 

Leonie – die mit Felix am Samstag das Date hat – ist in letzter Zeit etwas dick geworden, meint die eine. Die andere nickt ein wenig zögerlich und wird darauf hingewiesen, dass man das ruhig sagen könne, es sei ja nicht gemein, das zu sagen, sondern nur ehrlich. Ja, genau! Nur ehrlich. Wie ich diesen Satz hasse. „Ich bin nur ehrlich“, ist ganz häufig der Auftakt zu einem richtig fiesen Satz.
Ich bin nur ehrlich, sagen Menschen oft, wenn sie nicht ehrlich, sondern einfach nur verletzend sind. Wie letzte Woche der neben mir spätabends in der U-Bahn. Er unterhielt sich mit seiner Freundin über den Herbst, den er gerne in den Bergen verbrachte. Sie strahlte ihn an, schmiedete Pläne über ein paar Tagen die man gemeinsam auf einer Hütte verbringen konnte und schlug ihm vor, den Schachen zu besteigen, wenn die Temperaturen noch mild, sich die Blätter der Bäume aber schon verfärbten. Sein Arm lag locker über ihren Schultern und seine Finger strichen über die Haut an ihrem Oberarm. Er lächelte, als er sagte, dass es bis zum Herbst noch lange hin sei und man nicht wissen konnte, ob sie sich bis dahin überhaupt noch etwas zu sagen hätten. Ihr Strahlen erlosch in Zeitlupe während sein Lächeln unverändert in den Mundwinkeln hing und seine Hand weiter ihren Arm streichelte. Er sah es, lächelte breiter und stieß sie an. Nun, komm schon. Ich hab´s nicht so gemeint. Ich bin nur ehrlich. Wer weiß, was im Herbst. ist.
Er hatte es genauso gemeint und es war ihm nicht rausgerutscht. Während sie sich freute, hatte er sich die Zeit genommen Worte und Buchstaben zu einem festen Klumpen zu pressen, den er ihr ins Gesicht Schleudern konnte. Nicht weil er ehrlich war, sondern weil er ihr einen Dämpfer verpassen wollte.

Manche Gefühle sind aus Glas, echte Freude zum Beispiel. Wenn sich jemand wirklich freut dann klingt das Lachen wie das aneinander schlagen von filigranen Gläsern. Ein solches Klirren hört man auch von den Sitzen hinter mir und dem Paar, das für diesen Herbst nun keine Pläne mehr schmiedet. Weil es nun still geworden war, hörte man, dass auch die hinter uns über den Herbst sprachen. Auch in diesem Gespräch ging es darum, was man alles gemeinsam unternehmen könnte. Und auch dort sagte einer, diesmal sie, dass sie – ganz ehrlich – noch gar nicht wissen würde, was bis zum Herbst zum noch alles geschehen würde. Ihre Ehrlichkeit war echt. Sie zweifelte, aber sie verletzte nicht. Dort wo sie ihren Gesprächspartner sanft ausbremste, hatte der andere vorhin, seiner Freundin einen verbalen Schlag in die Magengrube versetzt.

Ich hoffe, dass die Frau mit gegenüber mit einem anderen auf den Schachen steigen wird. Denn – ganz ehrlich – der mit dem sie das eben noch wollte, der ist nicht ehrlich sondern nur ein Idiot. Auf den bin ich nicht neidisch. Eher auf ihre Handtasche, die ich auch schon im Laden gesehen habe, die mir aber viel zu teuer ist. Schauen Sie mich nicht so an, ich nehm sie ihr ja nicht weg. Ich hätte sie nur auch gerne.

Und würden Sie die reizenden Sommersprossen auf meinem rechten Schlüsselbein kennen, dann wären Sie darauf auch neidisch. Wahlweise auf den, der sie sich in lauen Sommernächten ansehen darf ;).

36 Gedanken zu “Ehrlicher Neid – U-Bahn Gedanken

      1. Hast Du schon gemerkt, ich habe einen neuen Blog und nix mehr mit Kindern….zumindest selten 😉

        PS: Herzlichen Dank für dein Kompliment. 🙂

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      2. Gerade als ich dir antwortet viel mir auf, dass du aus meinem Reader verschwunden bist und ich etwas vermisse 🙈
        Danke für den Hinweis. Ich schnappe ihn mir gleich!

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  1. Von den vielen schönen Sätzen, den vielen genauen Beobachtungen und subtilen Gedanken in deinem Text will ich völlig neidlos einen herausgreifen, weil mir die feine Ironie so gefällt: „Sagt Wikipedia, das häufig recht hat.“ Ich kanns nicht bestimmen warum, aber den hätte ich auch gern geschrieben, liebe Mitzi.

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  2. Als gelernter Kaufmann weiß man ja schließlich, dass Neid die entscheidende Triebkraft der Wirtschaft ist. Wenn wir nicht haben wollten, was der Nachbar hat, ja, wer würde es denn dann haben wollen? Und für lauschige Sommernächte hätte ich ein schief zusammengewachsenes Schlüsselbein anzubieten.

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    1. Als BWLerin ist mir dieser Neid nicht fremd. Alle Marketingstrategien beruhen darauf.
      Und obwohl ich es nicht beide, finde ich ein schiefes Schlüsselbein weit charmanter als das was ich eben im Werbeblock sah.

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  3. Du sprichst mir so aus der Seele. Ich finde Neid auch vollkommen ok, weil er allein eben gar nichts mit Missgunst zu tun hat. Ich kann neidisch sein und mich trotzdem mit dem anderen freuen. 🙂

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  4. der IDIOT soll im herbst in einen gletscher stürzen … wo er „fast“ SCHMERZFREI … die welten wechselt …

    FELIX soll auch die beiden ego-BITCHES daten … worauf hin … ALLE die gleiche geschlechtskrankheit miteinander teilen …

    außerdem sollen ihre handtaschen geklaut werden … damit sich MEINE lieblingsMITZI setzen kann und ihre füße nicht mehr weh tun.

    NEIDISCH wäre ich höchstens auf jemanden … der deine „einseitigen“ sommersprossssen“ küssen darf … und über deine HALSBEUGE … sollten wir auch DRINGEND reden …

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    1. Ich bin froh, dass du weit von dem jungvolk entfernt bist. Auch wenn ich das Engagement für einen Sitzplatz zu schätzen weiß..,ich hätte Sorgen um die jungen Dinger 😉
      Kein Neid, lieber Held. Du scheinst mit mehr als ausgelastet zu sein, wenn ich deinen Blog verfolge. 🙂

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  5. du hast mir etwas erklärt, das ich nie in worte fassen konnte und für das ich schon lange nach einer erklärung suche. diese unterscheidung zwischen neid und missgunst. JA! es ist ein ganz ganz großer unterschied, ob man etwas eben auch gern haben möchte oder ob man findet, dass derjenige, der es hat, es nicht haben sollte. es gibt beides. das erste gehört zum leben dazu. das zweite ist einfach nur ein dickes fettes minus für alle.

    und dieser satz: „Manche Gefühle sind aus Glas“. oh ja, wie wahr. es passt dazu: „der klirr moment“. Darüber schrieb ich mal, ich weiß nicht, ob du da schon bei mir gelesen hast aber ich finde es schön, dass wir eine ähnliche metapher benutzt haben.

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    1. Ich musste gerade so lachen….da lobst du mich und hast das was ich meinte mit einem Satz viel besser auf den Punkt gebracht.
      Bei manchen Texten bin ich erleichtert, wenn die Kommentare zeigen, dass man verstanden hat was ich meinte. Bei dem hier war ich beim Veröffentlichen nicht ganz sicher. Aber es hat wohl gepasst.
      Ich bin mir nicht sicher ob ich deinen Text gelesen habe. Vielleicht. Und vielleicht ist mir das unbewusst so in Erinnerung geblieben, dass es jetzt hier eingeflossen ist. Du hast den Link geschickt, ich schau gleich mal nach.
      Die ähnliche Metapher finde ich aber in jedem Fall schön.

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  6. Pah, Neid, kenn ich nicht, brauch ich nicht, mir tun alle Leid, die das haben, dieses ewige „Das-will-ich-auch!“, lächerlich … und dann der letzte Satz. Gemein. Gut, nur wenn Du gut riechst (das müßte man separat feststellen, aber ich geh mal davon aus). Glücklicherweise ist keine Mißgunst im Spiel.;-)

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  7. Liebe Mitzi,

    wer mit Ihnen fährt, erlebt wie eine U-Bahn aus den Tiefen der menschlichen Psyche auftaucht und zur Hoch-Bahn wird.

    Gruß Heinrich

    P.S. und auf Taschen mit eigenem Sitzplatz muss niemand neidisch sein, denn die sind meistens noch dümmer als ihre Besitzerinnen. 😉

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  8. Nun ja, so eine Ritterburg, hoch oben auf dem Berg, mit viel Personal, das sich um alles kümmert, das wäre schon was. Wenn ich aber an den Stress denke, der sich zwangsläufig daraus ergeben würde, verblasst mein Neid schon wieder …

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