12 Monate Rosen und Schornsteine – April

Hier im Münchner Rosengarten, stellte der, der nicht mehr bei mir ist, seine Liebe zu mir in Frage. Es war April, ein Tag ähnlich dem heutigen, und der Flieder blühte. Ich frage mich warum, ich dich liebe, sagte der, den ich mehr als mich selbst liebte, und blickte mit gesenktem Kopf auf den Boden. Es ist kein gutes Zeichen, wenn der Geliebte neben einem sitzt, sich mit Daumen und Zeigfinger die Nasenwurzel massiert und diese Frage in den Raum stellt. Dann hängt sie irgendwo im Flieder fest und man atmet den faden Beigeschmack mit jedem Atemzug ein. Mit jedem Luftholen atmet man den grausamen Satz ein und spürt wie er wächst, denn atmen muss man ja. Anfangs hält man vielleicht noch die Luft an und hofft, dass ein anderer Satz den bitteren ein wenig verwässern möge. Aber dann, wenn keiner kommt, dann schnappt man nach Luft und senkt ebenfalls den Kopf. Man atmet die Zweifel des anderen ein und sie sickern durch die Lunge und den Magen bis ganz tief in den Bauch und nisten sich dort ein. Zweifel und Liebe vertragen sich nicht. Eine Weile mögen sie still und ruhig nebeneinander existieren, früher oder später aber, gewinnt einer von ihnen. Selten ist es die Liebe.

Ich sagte dem, der mir den Atem nahm, dass ich ersticken würde, wenn er nicht gleich etwas schönes sagen würde und folgte seinem Blick auf den Boden. Die Ameisen zu unseren Füßen hatten es leicht. Sie liefen durch die Sonne und ihre Atemluft war frei von Zweifeln und ich bin sicher, nicht eine von ihnen trug einen so grausamen Satz im Herzen wie ich. Das Schöne, sagte der Mann an meiner Seite, sei eben auf den sandigen Boden gefallen. Mit Worten könne man es nicht reparieren. Er würde es versuchen, aber nur wenn ich das Eis, das ich ihm eben versehentlich aus der Hand geschlagen hätte, umgehend durch ein neues vom Kiosk ersetzen würde. Weil ich mich in Liebesdingen niemals erpressen lasse, bekam er lediglich das meine und ich wiederholte meine Forderung. Einen schönen Satz! Umgehend, bitte!

Wir beobachteten wie die Ameisen die zu Boden gefallene Eiswaffel eroberten und er wiederholte schmunzelnd, dass er sich wirklich frage, warum er mich liebe. Ich bot ihm an, für ein paar Stunden ganz still zu sein, damit er in Ruhe darüber nachdenken könne, warum er mich liebe und bat darum, die Antwort schriftlich zu erhalten. Dann könnte ich sie, bei nicht gefallen, dramatisch im Spülbecken den Flammen übergeben. Er schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall. Am Ende fiele ihm tatsächlich noch etwas ein und die Gardinen über meine Spüle würden viel zu leicht Flammen fangen, wenn ich seinen Humor missverstehen würde. Erst die Gardinen, dann mein leicht entzündliches Gemüt. Zu dünnes Eis, sagte er und drückte mir meine Waffel wieder in die Hand. Eine Frau die Vanille- dem Schokoladeneis vorzog. Auch das, unverständlich.

Am Abend stand ich über das Spülbecken gebeugt, wusch ein paar Gläser ab und fragte mich ob mein Gemüt tatsächlich so leicht entflammbar sei. Vielleicht mag es ein Mann so empfinden, der an einem Apriltag mehrere Anläufe unternommen hatte, einen sehr schönen Satz zu sagen und dem immer wieder ins Wort gefallen wurde. Mal um ihn auf einen besonders hübschen Käfer aufmerksam zu machen, mal um ein Eis zu fordern und mal um darüber zu diskutieren warum man sich eine Spülmaschine anschaffen solle, wenn die Teller eh mit der Hand vorgespült werden müssen. Irgendwann an diesem Tag hatte er mich nur noch mit einem Schmunzeln in den Mundwinkeln still angesehen und den Versuch selbst etwas zu sagen aufgegeben. Irgendwann, als ich mich auf mein Eis konzentrierte nutzte er die Chance und sagte eben diesen Satz. Er würde sich wirklich fragen, warum er mich liebe. Ich würde ihm ohne unterlass ins Wort fallen; hätte die Aufmerksamkeitsspanne einer Ameise; könne mich mit verstörender Inbrunst über Nichtigkeiten aufrege; würde Sätze in der Luft hängen lassen und von meinem Gegenüber erwarten, dass es meine Gedanken erahnen könne. Ich sei verdammt anstrengend, teilte er mir noch mit bevor ich nach oben fuhr und ihm sein Eis versehentlich aus der Hand geschlagen hatte.

Ich zerbrach, ebenfalls versehentlich, ein Weinglas und fuhr mit noch nassen Händen zu ihm. In seiner Tür stehend sagte ich ihm, dass mir durchaus aufgefallen sei, dass er mir heute zum ersten Mal gesagt hatte, dass er mich liebte. Ganze sechs Stunden später sei es mir schon aufgefallen, lobte er mich mit einem Lachen und zerzauste meine Haare.

Wegen dem ganzen Rest, sagte er spät am Abend dieses Aprilabends. Wenn ich die Augen schließe, dann kann ich es noch heute hören.

Heute

März

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Februar

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Das Zeilenende schrieb im Februar auf seinem Blog: „Zwölf Monate lang begleite ich ein Motiv. Es springt einmal im Monat vor die Kamera und lässt den Augenblick für die Ewigkeit gefrieren. Am letzten Sonntag im Monat werfe ich einen Blick auf das Bild: Was hat sich verändert, was bleibt gleich?“ und lädt zum  mitmachen ein.

Ich schulde einem, der es selbst nicht mehr sehen kann, die Fortsetzung einer Momentaufnahme.

Weiter Teilnehmer sind bei Zeilenende aufgelistet. Alles was ich bisher gesehen habe ist sehens-, lesens- und sogar hörenswert dank eingefügter Klangbilder.

 

 

31 Gedanken zu “12 Monate Rosen und Schornsteine – April

  1. soll ich eine tonne an worten abladen oder einfach nur ein herzchen dalassen? was für wundervolle zeilen, ich spüre sie, ich atme sie und sie gehen durch lunge,herz und magen. dieses gefühl des ersten absatzes, ich kenne es so gut. ein satz, der in der luft hängt und das fazit von zweifel und liebe. wie schön, dass diese geschichte die ausnahme der regel ist, auch wenn das ende vom ende noch viel schmerzhafter ist. es sind diese klirr-momente, die für immer und ewig hängen bleiben, als wären sie gestern erst passiert.

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    1. Manchmal stehen unter deinem Text Worte, die ihn sehr schön einfassen und ergänzen. Dein letzter Satz gehört eindeutig dazu und die anderen Sätze freuen mich, weil man ich mich gerne von dir lesend begleiten lasse.
      Danke für das in Worte gefasste Herzchen.

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      1. gerne doch. du hast sie mehr als verdient. es freut mich sehr, wenn meine sätze auch für dich etwas zu deinen texten beisteuern, dann gab es einen kleinen austausch über 400km hinweg ❤

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    1. Liebe Silbia,
      obwohl dass, das letzte ist was ich möchte, schwingt darin doch die Bestätigung mit, dass du mir beim Lesen sehr nahe warst.
      Liebe Grüße und die nächsten Beiträge liefern nur Gründe für ein Lächeln oder Lachen. Versprochen.

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