Duft-Atom

Ich wache auf und das Bett riecht nach dir. Dein Geruch haftet im Stoff der Kissenbezüge und hüllt mich ein. Sinnlos den Kopf unter der Decke zu vergraben, denn auch sie riecht nach dir. Das ganze Schlafzimmer riecht nach der, für dich so typischen, Mischung aus After Shave, einem Hauch kaltem Rauch und einer erdigen Note, von der ich bis heute nicht weiß, wie sie in deine Haare gelangt ist. Obwohl ich mir schon oft klar machte, dass es unmöglich ist, dass auch nur ein einziges winziges Atom von dir an meiner Bettwäsche haften geblieben ist, rieche ich dich. In machen Nächten wache ich auf, weil auch mein Unterarm, den ich unter meine Wange geschoben habe, nach dir duftet. Dann muss ich aufstehen und duschen. Mit dir auf dem Körper kann ich nicht wieder einschlafen.

Ich träume nicht mehr von dir. Das ist gut. In den Träumen warst du wieder bei mir. Es waren schöne Träume, aber der Preis für sie war zu hoch. Wenn man aus einem Traum erwacht, dann fühlt sich das eben Erträumte noch real an. Die Erkenntnis, dass es das aber nicht mehr ist, triff einen mit einer solchen Wucht, dass der Schmerz dem des allerersten Begreifens gleicht. Ein schöner Traum, der mit einem Schlag in die Magengrube bezahlt wurde, ist nichts wert. Ich träume schon lange nicht mehr von dir. Mein Magen rebellierte. Meinem Geruchssinn ist das egal. Der gaukelt mir noch immer vor, dass du neben mir liegst. Er ist mir lästig, denn er macht es nur dann, wenn es ihm passt und nicht wenn ich es mir wünsche und mich nach der erdigen Note sehne. Sie ist so einmalig, dass ich sie nicht wieder finden werde. Aber dein After Shave, das wollte ich finden. Ein Stück von dir. Käuflich, wie du es nie gewesen bist.

Hilflos stand ich in der Parfümerie vor den Regalen. Weder konnte ich mich an den Namen erinnern, noch an die Verpackung. Es war mir egal wonach du gerochen hast, bis der Geruch mit dir verschwand. Jetzt stand ich wie eine verblödete, verlassene Kuh vor den Regalen und sehnte mich nach deinem Geruch. Schachtel an Schachtel und jede einzelne unbekannt. Wie riecht ein Mann Mitte dreißig dessen hervorstechendsten Charakterzüge Kompromisslosigkeit, Sturheit und bedingungslose Loyalität waren. Nicht ganz so herb, wie das was ich als erstes ausprobierte. Es fehlten die Liebenswürdigkeit, der Humor und auch ein wenig schmeichelnder Charme. Ich sagte es, als man mir Hilfe anbot. Die Verkäuferin sah mich irritiert an. Es ist ja so leicht Menschen zu irritieren, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Ein irritierter Blick und dann ein Lächeln. Wir suchten gemeinsam. Wir suchen nun schon seit über zwei Monaten. Immer wieder komme ich vorbei und gehe gleich wieder, wenn ich diese eine Frau nicht sehe. Wenn sie da ist, hält sie mir eine Auswahl an Männer Düften unter die Nase. Nie mehr als zehn und nie der deine. Weil sie so bemüht ist, kaufe ich ab und zu etwas. Für die nächsten fünf Jahre bin ich bereits jetzt mit Damendüften eingedeckt, die ich recht wahllos zur Kasse trug und mich dabei fragte ob du gewusst hättest wonach ich seit Jahren roch. Es wäre dir egal gewesen, so wie es mir gleichgültig war, als ich dich noch fragen konnte. Nun ist es zu spät und nur aus purem Starrsinn möchte ich diesen einen, deinen, Duft finden. Letztens ertappte ich mich dabei bei den Damendüften zu suchen. Hätte dir einer gefallen, wäre es dir vermutlich völlig egal gewesen für welches Geschlecht er ursprünglich kreiert worden ist. So etwas war dir immer egal.

Ich werde ihn nicht finden. Deinen Geruch. Gestern nahm sie, die geduldige Verkäuferin, mich zur Seite und sagte es mir. Ein Duft ist nie neutral erklärte sie. Erst auf der Haut entfaltet er den individuellen feinen Geruch, an den wir uns auch Jahre später noch erinnern. Sie hat Recht. Ich ging noch einmal zurück und drückte ihr einen, spontan gekauften, Blumenstrauß in die Hand. Es ist nicht selbstverständlich jemanden über Monaten bei einer aussichtslosen Suche zu helfen. Das machen nur die, die verstehen, dass die Suche genauso wichtig ist, wie das nicht finden. Er hätte mich nur traurig gemacht, der Abklatsch deines Geruches.

Heute morgen roch das Bett wieder nach dir. Und nach meiner Großmutter. Ich stolperte über ihren Duft ganz zufällig als ich den deinen suchte. Sie starb als ich zwölf war und doch erinnerte ich mich sofort an ihn. Ich kaufte den Flakon und sprühte ein kleines wenig auf mein Kissen. Dein Geruch schmerz, der ihre macht mich glücklich. So gleich es sich wieder aus und die Suche war nicht ganz umsonst. Mehr noch. Ich erwache jetzt in einer Wolke aus Geborgenheit. Die eine Komponente schmerz noch, aber die andere ist bereits zu einer schönen Erinnerung geworden. Trotzdem wasche ich die Bettwäsche heute noch einmal um dieses eine verdammte Atom von dir raus zu bekommen. Stur bin nämlich auch ich. Viel, viel sturer, flüstert dein leiser Duft und ich lächle gemeinsam mit meiner Großmutter. Hellgrün…ich glaube, in deinem Bad stand etwas hellgrünes.

 

44 Gedanken zu “Duft-Atom

  1. Mir fällt gar kein passendes Wort ein, um diesen Text (und noch mehr das im zugrunde liegende Dufterleben) zu würdigen. Hier, im Duft des Zigarillos, entdecke ich zurzeit jeden Morgen andere Erinnerungsspuren, schaue manchmal auf Google Earth mit größtem Zoom nach, wo genau es war … man sieht aber nur die Dächer von oben oder die Wege sind von Büschen verdeckt, und man kann es nicht wiederherholen im Detail.

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    1. Das ist immer ein wenig seltsam, finden Sie nicht? Also mit Google Earth bekannte oder einmal vertraut gewesene Orte aufzusuchen. Man sieht sie, aber es bleibt so viel verborgen, dass es (bei mir) immer ein ganz seltsames Gefühl hervorruft.
      Den Duft von Zigarillos schätze ich übrigens sehr. Obwohl ich niemanden kenne, der sie raucht. Obwohl…ein bisschen ja Sie 🙂

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  2. Ein Flavoir Text wie ich selten gelesen habe / ist doch der Duft für die Erinnerung einer der stärksten Magnete und so schwer darüber auch noch zu schreiben / du hast dies sehr gekonnt gemacht / ein echt starkes Parfüm dieser Text.

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  3. Liebe Mitzi!
    Vielleicht hat die Person, dessen Geruch Sie gesucht haben, nie ein Parfüm oder After Shave benützt und es war der eigene Körpergeruch, der Ihnen im Gedächtnis haften geblieben ist…
    Wie schön, dass Sie den Duft Ihrer Großmutter gefunden haben, was kann einem Besseres passieren, als sich bei Bedarf in eine Wohlfühlwolke sprühen zu können?! 🙂
    Duftende Grüße
    Mallybeau

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    1. Vielleicht, liebe Mallybeau, haben Sie recht.
      In jedem Fall aber mit der Wohlfühlwolke des Großmutterduftes. Ich rieche nun selbst etwas „verstaubt“ wenn ich aus dem Bett krieche. In diesen Duft muss ich noch hinein altern.
      Herzlichst
      Mitzi

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  4. Ich wollte hier erst etwas dazu sagen… Aber jetzt… Ich glaube, ich nehme mir diesen Gedanken mal mit zu mir, lasse ihn noch ein wenig in meinem Kopf und dann über die Finger auf die Tastatur gleiten. Ich hoffe, es gelingt mir.
    Ich danke Dir sehr für diesen Post.

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  5. Es ist genau so, wie du es beschrieben hast. Die Erinnerung folgt keinen Regeln, aber kaum etwas kann eine Erinnerung so wieder heraufbeschwören, wie ein bestimmter Geruch. Ob das eine schöne oder eine traurige Erinnerung ist, das ist der Erinnerung und dem Geruch völlig egal.

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  6. Erinnerungen an einen Duft halten sich meistens ziemlich lang. Und dann trudelt so eine Geruchserinnerung einfach durch die Wahrnehmung. Dein traurig-schöner Text zeigt, dass erinnerte Wahrnehmung ebenfalls intensives Erleben sein kann. Und wenn es so gekonnt in Sprache gefasst ist, wie bei dir, liebe Mitzi, wünscht man sich, du würdest endlich fündig bei deiner hartnäckigen Suche in der Parfümerie. Aber letztlich wäre es doch nur ein Abklatsch, wie du eingesehen hast.

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  7. Seltsam. Beim Lesen deines Textes fiel mir spontan „Savane“ ein. Hellgrün würde sogar passen. So weit mir bekannt, wird das nicht mehr produziert. Aber das Suchen und vor allem das Nichtfinden ist ja hier die Hauptsache – also würde ich sicherheitshalber davon ausgehen, dass es gaaaanz was anderes gewesen ist. 🙂

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  8. Ich empfinde Geruchserinnerungen auch als eine der stärksten. Es trifft einen so unvermittelt und man fühlt sich hilflos. Du hast es faszinierend beschrieben.

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  9. Als ich las, dachte ich nach. Seltsamerweise kann ich mich nicht an die Düfte von meinen Partnern erinnern, aber an das Aftershave meines Vaters ganz deutlich und auch das Schlafzimmer meiner Großeltern hatte einen sehr eignen Duft, vermutlich nach Großmutters Parfüm. Irgendwie bin ich froh, dass die Männerdüfte verflogen sind, so wie die Männer…………………;-)

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  10. Ist eben ein Mitzi Irsaj Text.
    Kann man nicht nachmachen.
    Will ich auch gar nicht
    Riechen bereitet Freude
    meistens jedenfalls
    wen ich nicht riechen kann, wird einen Grund dafür geliefert haben.

    Ob der Geruch in der „Nase“, der mich an einen lieben Menschen erinnert, seine Seele ist, die mal eben vorbeigeflogen kommt?
    Riechen Seelen denn?
    Ja, warum nicht!?

    Ich mache mal das Fenster einen Spalt auf – gerade jetzt – im Frühling riechen die Seelen intensiver – ist eben so. Gefühle sind im Frühling ja auch stärker – und die Farben kommen wieder. Nun hat alles wieder seine Farbe – alles was grau war – oder durchsichtig – oder gar nicht da war. Aber gerochen habe ich es immer – wenn ich es will. Das nimmt mir niemand!

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    1. Lieber Heinrich, Sie haben mich mit diesen Zeilen sehr glücklich gemacht. Nie habe ich den Seelen einen Geruch zugeordnet. Aber jetzt wo sie es sagen….was für eine bezaubernde und tröstliche Vorstellung. Das nimmt mir niemand…ich borge mir diesen Satz.
      Manchmal schreibt man ja auch um so etwas schönes, wie das Ihre darunter zu lesen. Danke und noch mal danke!

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  11. Manchmal zucke ich zusammen, wenn ein Mann, der Hugo Boss benutzt, fast genauso riecht wie er. Das sind die kleinen Nadelstiche. Erst gestern wieder… Wenn du mal einen Mann triffst, der ähnlich riecht, frag ihn, was er benutzt.

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