Es ist viral…

Steckt Ihnen der Winter noch in den Knochen? Zwickt es bei den Frühlingsspaziergängen im Kreuz, wenn Sie sich bücken um die ersten Schlüsselblumen pflücken? Und läuft Ihnen ständig die Nase oder kratzt der Hals? Denken Sie sich nichts dabei, Sie waren wahrscheinlich nur ein bisschen unvorsichtig und haben die Wärme der ersten Sonnenstrahlen überschätzt. So mild, dass Sie schon draußen auf kalten Bänken sitzen können, ist es nämlich noch nicht. Ihr Rücken dankt es Ihnen, wenn Sie sich noch bis Mitte April ein Kissen ins Kreuz legen. Oder zieht es im Steiß? Das wäre nicht gut. Das kann schnell etwas ernstes sein. Ein Ziehen im Steiß kann sehr vieles sein – meistens nichts gutes. Ich tippe auf die Nieren, die Ihnen das Sitzen und Lehnen auf kühlen Bänken übel nehmen.  Vielleicht aber ist es auch etwas virales. Seit die Sanierung des Ruffinihauses unmittelbar bevor steht, werde ich Expertin für Zwicken, Zwacken und Ziehen diversester Körperteile.

Kennen Sie das schöne Haus am Rindermarkt? Die Münchner Denkmaltopographie beschreibt den Bau als „romantisch-heimatliche“ Stimmungsarchitektur höchsten Niveaus zur Interpretation eines unter malerischem Ideal begriffenen historisierenden Altstadtbildes, dessen Aufwertung erstrebt wurde. Weil das ein bisschen sperrig klingt und auch aus Wikipedia abgeschrieben ist, nehmen Sie lieber diese Beschreibung. Das Ruffinihaus, eigentlich sind es ja drei, finden Sie am Rindermarkt in der Münchner Altstadt. Es wurde aus dem abgetragenen Ruffinturm, der das ursprüngliche Sendlinger Tor bildete und Teil der ersten Stadtbefestigung war, gebaut. Das ist auch aus Wikipedia, zeigt aber, dass das Ruffinihaus seit 1905 nicht aus der Altstadt wegzudenken ist. Direkt hinter dem Marienplatz steht es schon immer und beherbergt im Erdgeschoss viele, meist kleine, traditionsreiche Ladengeschäfte. Der letzte Satz ist von mir.  Jetzt wird es modernisiert und die Läden müssen schließen. Was für die Ladenbesitzer mehr als lästig und teils existenzbedrohend ist, ist für mich ein großes Glück. Zum einen, weil auch die verwinkelte und vollgestopfte Buchhandlung schließen muss und einen großen Lagerverkauf gestartet hat und zum anderen, weil ich stöbernd vom großen Erfahrungsschatz einiger alter Damen profitiere.

Letzten Donnerstag habe ich die erste getroffen. Mit einem Apfel vom Viktualienmarkt in der Hand, bin ich nach Hause gegangen und habe mich einen Moment in die Abendsonne gesetzt.  Der Brunnen am Rindermarkt führt noch kein Wasser und man kann es sich auf den großen Steinstufen noch gemütlich machen. Ich wusste ja nicht, wie gefährlich das ist. Aufgeklärt wurde ich von einer älteren Dame, der die Gesundheit einiger Teenager und einer Handvoll spanischer Touristen am Herzen lag. Sie begann mit den jungen Mädchen und klärte sie darüber auf, dass das Sitzen auf kalten Steinen zu Hämorriden führt. Nachdrücklich schilderte sie dem Jungvolk, zu welchen Problemen die Unachtsamkeit der Jugend im Alter führen kann. Die Aufgeklärten flüchteten als die besorgte Dame damit begann von ihrer Operation zu erzählen. Dank der bildlichen Erzählkunst stand auch ich vorsorglich auf. Die Spanier wurden aufgrund unüberwindbarer Sprachbarrieren schlicht aber wirkungsvoll mit dem wilden Fuchteln des Gehstocks aufgescheucht. Da mir meine Gesundheit am Herzen liegt, ich aber nicht auf die Abendsonne verzichten wollte, trollte ich mich zur Buchhandlung. Mit bunten Schildern wurde die Sanierung des Ruffinihauses verkündet und der Lagerverkauf eingeläutet. Es gibt wenig schöneres als die Verbindung von Abendsonne, dem Rindermarkt und Büchern. Ich stand lange vor den Ständen, hatte schon einen Bildband über das alte München unter dem Arm und lauschte stöbernd einem weiteren Aufklärungsgespräch der betagte Dame.

Da die letzten Sonnenstrahlen nur direkt vor der Buchhandlung genossen werden können, stand auch sie jetzt davor. Mit einer anderen unterhielt sie sich über schleimigen Auswurf am Morgen. Wie ich lernte, ist das ganz normal. Auch das dabei ordentlich gewürgt wird und komische Geräusche entstehen. Ich war erleichtert zu hören, dass es sich bei den schleimigen Auswürfen um jene, der Katzen der alten Dame handelte. Auch letzten Freitag schien die Sonne und ich nutzte die Gelegenheit, mich mit weiteren Büchern einzudecken. Von Karl Valentin gab es besonders schöne und ich stand lange davor ohne mich entscheiden zu können. Während ich abwägte, welches ich mit nach Hause nehmen würde, lerne ich einiges über Bauchkrämpfe und die Bekämpfung der selbigen mit Kümmel oder einem Tee aus Frauenmantel. Bevor ich zum Zahlen hineinging wartete ich eine Weile um sicherzugehen, dass es diesmal auch wirklich um Menschen ging. Das tat es und auf dem Heimweg kaufte ich noch etwas Kümmel.

Auch heute machte ich wieder einen Umweg. Am Samstag hat mich das Buch eines unbekannten Autoren angelacht. Ich kaufte es und stöberte dennoch weiter in der Abendsonne. Enttäuscht wurde ich auch heute nicht. Andere Damen, aber das gleiche Thema. Krankheiten sind ein unerschöpflicher Gesprächsstoff. Die beiden heute, hatten es im Kreuz. Die eine hatte sich verlegt. Die andere etwas weit schlimmeres. Sie lies sich lange bitten, bevor sie schließlich sehr leise aber mit Nachdruck murmelte: „Im Steiß zieht es. Im Steiß. Wissen´S das ist etwas virales.“ Betroffen nickte die Andere und ich gleich mit. Mit etwas viralem ist nicht zu spaßen.

Leider kann ich ihnen nicht sagen, was genau das Ziehen im Steiß mit Viren zu tun hat. Aber hätten Sie die Stimme dieser Frau gehört – es wäre Ihnen kalt den Rücken hinunter gelaufen. Wenn ich mich das nächste Mal im Büro krank melden muss und nicht sagen möchte, was genau mir fehlt, dann werde ich eine E-Mail schreiben. „Ich bin krank. Es ist viral…“ Ich bin mir sicher, da fragt keiner nach.

Bleiben Sie gesund!

 

 

 

28 Gedanken zu “Es ist viral…

  1. Wie dicht viral und vital nebeneinander liegen und doch ist der Unterschied gewaltig. Ich finde, wir sollten die deutsche Sprache doch noch einmal überarbeiten. Ich vermute, viele Missverständnisse beruhen auf nur einem einzigen Buchstaben. Für mich wurde sicher „vital“ im Universum bestellt – und was wurde geliefert?!?
    Nee, und meine Liebste habe ich nun auch noch angesteckt – hier liegt nun alles flach. Kommt das vom viralen Marketing? Oder was?

    ….
    😉
    Gruß Heinrich

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    1. Ach herrje, aufgrund eine Fehlbestellung hat es Sie und Ihre Liebste erwischt?
      Da sollte aber auch jemand nachfragen. Unverantwortlich, Virales einfach so durch die Gegend zu schicken!
      Ich wünsche gute Besserung und schnelle, richtige Lieferung!

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  2. Wort (be)deutungen und Herkunft, nimmt meine Tochter gerade durch und findet es (als heranwachsende Schreiberin )super spannend, genau wie Kritik an Literatur gegenüber einem Autoren zu äußern. ….der war sogar positiv überrascht ☺

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    1. Schön, dass sie daran Freude hat. Kritik zu äußern ist gar nicht so leicht, trägt aber sicher dazu bei, sich intensiv mit Geschriebenem auseinander zu setzen. Viel Erfolg und Freude für die Nachwuchs Schreiberin!

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  3. Das scheint man mit dem Alter so zu entwickeln, vielleicht ist das Reden über Krankheiten auch ein unauffälliges Zeichen unter sich, dass man noch lebt….ich hatte vorgestern auch was Virales im Steiß und eine solche Müdigkeit…….

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  4. Etwas in mir bockt, vom Reden über Krankheit zu hören oder lesen, liebe Mitzi, vor allem, wenns um Virales geht. Als ich letztens bei Rückenschmerzen meine Ärztin telefonisch wegen eines Medikaments um Rat fragte, sagte sie: „Kommen Sie in die Praxis, dann verschreibe ich Ihnen nochmal Physiotherapie.“ Ich musste die freundliche Einladung ausschlagen und sagte: „Ach, dankeschön, es ist mit zu gefährlich, mich in Ihr Wartezimmer zu lauter hustenden und schniefenden Patienten zu setzen.“ Bleiben wir lieber gesund.

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  5. Wir Männer reden ja nicht über Krankheiten, wir klagen auch nicht, weil wir einfach härter im Nehmen sind. Habe ich übrigens schon erwähnt, dass ich, seit ich meine Ernährung umgestellt habe, viel seltener Kopfschmerzen habe und die Schmerzen im Unterarm, Mausarm nennt man das, sind auch deutlich besser geworden, nachdem der Orthopäde…

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  6. Herrlich, wir haben eine Reinigungskraft in der Schule die uns ähnlich gesundheitlich aufklärt. Zu schwere Sachen zu heben kann angeblich dazu führen, dass der Geburtenkanal sich verkleinert und man keine Kinder mehr bekommen kann…

    Ich denke, sobald man in der Öffentlichkeit das Wort Viral ausspricht und Jugendliche in der Nähe sind, wird Ihnen sofort das neuste YouTube Video präsentiert. Viral ist ein äußerst delikates Teekesselchen. Mit Vorsicht zu genießen 😉

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