Zwölf Monate Rosen und Schornsteine

Weißt du noch, ist eine Frage die nur dann schön ist, wenn es jemanden gibt, der darauf antworten kann. Bei einem „weißt du noch?“, muss ein anderer nicken oder den Kopf schütteln. Meinetwegen auch mit den Schultern zucken. Nur still sollte es danach nicht bleiben. Orte die ein unbeantwortetes „weißt du noch?“ hervorrufen, sollten bei instabilem emotionalen Gleichgewicht gemieden werden. Ist die ganze Stadt voll davon und führt die Vermeidungstaktik zu einem lächerlichen Slalom durch das eigene Viertel, dann muss man sie wohl zulassen, die gemeine kleine Frage.

Ich bin des Laufens, des Redens und des Zuhörens müde. Meinetwegen, dann fragt mich doch. Fragt mich, ob ich es noch weiß und erwartet euch kein Nicken. Dafür bin ich zu müde. Natürlich weiß ich es noch und auch, dass es außer mir keiner mehr weiß, weil keiner mehr da ist, der es noch wissen könnte. Natürlich weiß ich noch, dass wir hier die Oliven gegessen haben und das irgendwo im Boden 24 Kerne vergraben liegen.

Nicht irgendwo, sondern genau in der Mitte zwischen den Rosenbeeten, dort wo auf den schmalen Wegen die Stühle stehen, von denen immer zwei mit einer dünnen Kette miteinander verbunden sind. Etwas das wir nie verstanden haben, weil die meisten den Rosengarten doch alleine besuchen und es gar nicht mögen einem Fremden fast auf dem Schoß zu sitzen. Ich saß auf einem Schoß weil der Boden trotz der Sonne noch kühl und feucht war und meine Beine baumelten in der Luft, was auf einem Schoß sitzend ein klein wenig unbequem ist. Wahrscheinlich weiß ich es noch, weil man mich bat, nicht so zu zappeln. Ich erinnere mich noch gut, dass wir hier waren, weil einer von euch damit begonnen hatte, Eindrücke zu sammeln und versuchte möglichste viele Bilder in sein Gedächtnis einzubrennen, bevor er ihm keine neuen mehr hinzufügen konnte. Auch an das ironische Schmunzeln beim Blick auf die vertrockneten Büsche und das tote Gras und den Hinweis, selten etwas trostloseres gesehen zu haben. Es sei nicht meine Schuld, dass der Frühling sich dieses Jahr Zeit lassen würde, dachte ich damals und denke es heute, an der gleichen Stelle stehend. Irgendwo unter meinen Füßen sind 24 Olivenkerne vergraben und nicht einer hat es geschafft zum Baum zu werden und sich zwischen den Rosenbüschen zu behaupten. Ja, ich weiß noch, dass ihr mir sagtet, dass es nicht funktionieren würde und das man einen tapferen Keimling sowieso entfernt hätte, weil hier im Rosengarten nun einmal Rosen und nicht Oliven zu bestaunen sind. Wisst ihr noch, wie sehr ich an diesem Tag gefroren habe, weil meine Jacke im Auto lag und ich trotzig behauptete, dass mir nicht kalt sei und die Sonne bereits genug Kraft hätte um mich zu wärmen? Wahrscheinlich nicht. Wir logen damals ja dauernd. Bei der Frage ob es uns gut gehen würde am meisten, gefolgt von der nach den Plänen für den Herbst von dem wir wussten, dass es ihn für einen von uns dreien nicht mehr geben würde. An einem sonnigen Februartag muss man lügen und behaupten, dass der Rosengarten vor dem Frühlingserwachen am schönsten ist. Die Wahrheit, dass er erst im Mai so richtig schön wird und dann bis tief in den Herbst hinein immer wieder in eine neues und anders Blütenmehr getaucht wird, kann man nicht sagen. Es wäre unfair, das einem zu sagen, der ahnt, dass davon vielleicht nichts mehr sehen wird.

Man muss lügen und behaupten, dass das Glas Oliven von der Tankstelle eigentlich viel besser zu so einem Frühlingstag passt, als ein Eis vom Kiosk. Der hat noch geschlossen und es ist besser ihn gar nicht erst zu erwähnen. Nicht wenn man nicht weiß, ob es gelingt ihn in diesem Leben noch einen Besuch zu dritt abzustatten. Lieber ein bisschen lügen und die öligen Oliven über den grünen Klee loben obwohl sie scheußlich schmecken. Man kann ruhig übertreiben beim Lügen, wenn alle wissen, dass man nicht die Wahrheit sagt. Wenn man tapfer weiter macht und irgendwann behauptet, dass vor allem die Schornsteine des Heizkraftwerkes dem Ausblick eine besondere Ästhetik verleihen, dann merkt man plötzlich, dass man doch wieder bei der Wahrheit angelangt ist. Bei der letzten Olive erzählte ich, dass ich dieses Heizkraftwerk wirklich mag. Es ist nicht schön, aber wann immer ich als Kind zu meinen Großeltern fuhr, zum Spielplatz ging oder mit dem zum schwimmen radelte – immer sah ich irgendwo in der Ferne die Schornsteine. Und weil mich einer von euch beiden gebeten hatte ihm einen Ausblick oder ein Bild zu zeigen, dass es wert war sich daran zu erinnern, saßen wir an diesem kalten Tag hier. Ohne es zu wissen, wurde an diesem Tag eine Erinnerung mit auf den Weg gegeben, an die ich mich gerne erinnere. Zwei Schornsteine in der Ferne und ein leises „weißt du noch?“. Eine Erinnerung vor der man ein bisschen davon läuft, bevor man sie zu mögen lernt.

Letzten Sonntag saß ich über den vergrabenen 24 Olivenkernen und wartete auf den besten meiner Freunde und machte dieses Foto.

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Es war warm und ich habe kein bisschen gefroren. Der Münchner Rosengarten ist zu jeder Jahreszeit schön, dennoch wird er ab jetzt jeden Monat bis tief in den Herbst hinein schöner. Er erscheint mir ein schönes Motiv für das Projekt von Zeilenende zu sein. Der schreibt auf seinem Blog: „Zwölf Monate lang begleite ich ein Motiv. Es springt einmal im Monat vor die Kamera und lässt den Augenblick für die Ewigkeit gefrieren. Am letzten Sonntag im Monat werfe ich einen Blick auf das Bild: Was hat sich verändert, was bleibt gleich?“ und lädt zum  mitmachen ein.

Ich schulde einem, der es selbst nicht mehr sehen kann, die Fortsetzung einer Momentaufnahme. Und mir selbst auch. Der Februar war ein unschöner Monat – eine Momentaufnahme in einem sonst schönen Jahr. Auf 24 Kernen stehend fallen mir für die kommenden elf Bilder sicher hübscher ein. Wenn aber irgendwann im Rosengarten ein Olivenbaum steht, dann wissen jetzt ein paar Menschen mehr, wer ihn gepflanzt hat. Ich gebe nämlich nicht auf.

Weiter Teilnehmer sind bei Zeilenende aufgelistet. Alles was ich bisher gesehen habe ist sehens-, lesens- und sogar hörenswert dank eingefügter Klangbilder.

 

32 Gedanken zu “Zwölf Monate Rosen und Schornsteine

  1. Wie wehmütig schön dein Text wieder ist, liebe Mitzi. Erinnert mich daran, dass ich vor acht Jahren vor dem einsamen „Weiß du noch?“ aus Aachen geflohen bin. Will sagen, ich weiß, wie sich das anfühlt. Liebe Grüße und fühl dich gedrückt.

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  2. Hach, der Rosengarten 🙂 Im Sommer ist der so schön!! Da haben der Mann und ich auch mal Fotos gemacht und dort ums Eck wohnen wir auch. Hinter den Türmchen 😉
    Am Ende sind wir uns vielleicht auch schon über den Weg gelaufen und wissens nur nicht?

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  3. Eine feine Idee, die Bildergeschichte, diese sukzessive Vergegenwärtigung dessen, was jetzt noch in der Zukunft liegt, mit einer Lebensgeschichte in der Vergangenheit zu verankern. 🙂
    Manchmal gelangt man wohl nur mit wolkenweißen Lügen zu einer gewissen Leichtigkeit, die das Sein erträglich macht…

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    1. Ja. Manchmal ist so viel Realität vorhanden, dass man nicht noch mehr Wahrheit braucht. Mal sehen ob mir in den nächsten Monaten etwas weniger Vergangenheit und mehr Zukunft gelingt. Sprießende Knospen dürften dabei helfen.

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  4. Und Stephan Sulke singt in meinem Kopf passend dazu sein Lied zu den drei Worten. Wer weiß, vielleicht sehen wir nach den 12 Monaten einen Olivenbaum auf dem Bild. Egal ob er dort ist oder nicht. Ich werde es ausprobieren. 🙂

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  5. ein text der wieder ganz tief unter die haut geht. ich habe die sache mit den weißt du nochs acuh schon öfters gedacht, mein gegenüber könnte theoretisch antworten, das hat es für mich früher nicht viel besser gemacht, aber mittlerweile ist es in ordnung – was es bei einem gegenüber, das nicht antworten kann, vermutlich niemals der fall sein wird…

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    1. Das Endgültige kann grausam sein. Aber ich denke es ist genauso schlimm oder schlimmer ein „weißt du noch..“ zu sagen und einer der Antworten könnte, tut es nicht. Man muss sich an den schönen „weißt du noch“ festhalten und die Erinnerung auch ohne Antwort genießen. Theoretisch 😉

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      1. das stimmt. im grunde muss man so oder so seinen weg mit diesen „weißt du nochs“ finden. und beide situationen haben vermutlich ihre besonderen schwierigkeiten und auf der anderen seite aspekte, die es doch vielleicht irgendwann ein wenig leichter macht…

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