Könnte eng werden.

Unter all den Sätzen, die ich in meinem Leben bisher gehört, gelesen und gesagt haben, gibt es einen, der mich seit Jahrzehnten begleitet und eigentlich gar nicht schön ist. Er ist nur vertraut. Und vertrautes gewinnt man dem Jahren lieb. Mein liebster Satz ist so banal, dass er der Rangliste schönster Sätze mit Sicherheit auf den unteren Plätzen rangieren oder gar nicht erst aufgenommen werden würde. Weder zeichnet er sich durch eine schöne Wortwahl aus, noch wird er mit klugen Köpfen in Verbindung gebracht. Wahrscheinlich ist er nur in meinem Kopf schön und präsent und das mit einer Beständigkeit, wie sonst kaum einer. Gestern Abend zum Beispiel hatte ich den Ehrgeiz das Auto meines Vaters in eine Parklücke direkt vor meiner Haustür zu manövrieren. Ein kritischer Blick und im Kopf den Satz, der mich so oft begleitet. Das könnte jetzt eng werden, dachte ich und setzt den Blinker. Das dachten sich wohl auch die Gäste der Kneipe in meinem Haus, den drei von ihnen gingen zum Rauchen nach draußen um sich meinen Versuch aus nächster Nähe anzusehen. Als Frau habe ich kein Problem damit mehrfach zu rangieren und stand nach ein paar Zügen wunderbar in der Lücke. Die Raucher gingen wieder rein und werden sich heute Nachmittag wieder draußen versammeln. Dann wenn ich ausparke. Als ich eben vom Balkon nach unten blickte, dachte ich mir, dass es recht eng werden könnte.

Bei mir wird es oft eng. Selbstverschuldet eng. Kaum ein Abgabetermin an der Uni oder im Berufsleben, den ich nicht kurz vor knapp mit dem gedachten Satz, dass es jetzt etwas enge werden könnte, begleitet habe. Habe ich Besuch zum Essen eingeladen, stehe ich irgendwann im Bad, blicke in den Spiegel und murmle, dass es jetzt doch ein bisschen eng werden könnte. Ich renne mit dem Satz im Kopf zu Bahnhöfen und Bushaltestellen während ich einer möglichen Begleitung versichere, dass wir noch reichlich Zeit haben. Wenn etwas eng wird, bedeutet es manchmal auch, dass die Chancen steigen, dass etwas gründlich schief gehen könnte oder ich weiß, dass eine Idee eine ausgesprochen schlechte Idee ist. Damals als mir einer sagte, dass er möglichweise ein wenig zu viel mit dem Leben haderte, dachte ich mir, dass es verdammt eng werden könnte. Eng, aus dieser Nummer unbeschadet raus zu kommen. Oder als einer aus dem Krankenhaus zurück kehrte und verkündete, dass hier nichts eng werden würde, weil man bereits mit einem aufmunternden Schulterklopfen mitgeteilt bekommen hatte, unfreiwillig in die Sackgasse abgebogen zu sein. Anders als bei Parklücken bevorzuge ich gerade in diesen Fällen den Konjunktiv. Das könnte eng werden, lässt die Möglichkeit offen, dass es dann doch ein Kinderspiel war und man am Jahresende zurück blickt und gedanklich notiert, dass doch noch reichlich Platz gewesen ist. In solchen Fällen sollte man sich selbst ein wenig beschwindeln. Ähnlich wie beim versehentlichen Abbiegen auf eine vereiste Buckelpiste im sonst harmlosen Skigebiet. Ich schließe dann gerne die Augen und rufe mir selbst zu, dass es eng werden könnte, während ich recht gut weiß, dass ich im nächsten Moment vermutlich einen großartigen aber schmerzhaften Stunt hinlegen werden. Umso schöner ist es, wenn ich unvermutet durch die Piste komme und ungläubig stehend zum abbremsen komme.  

Das könnte eng werden, dachte ich als ich in Italien fünf Euro für die nächsten vier Tage in der Tasche hatte und ich dachte es, als ich spontan kündigte ohne etwas neues in Aussicht zu haben. Ich denke es, wenn ich mir ein Kleid in Größe S kaufe und wenn ich ein Buch am Wochenende auslesen möchte. Auch in diesem Jahr wird manches eng werden. Vielleicht mehr als in den Jahren zuvor. Je älter man wird, umso enger werden die Lücken durch die man unbeschadet hindurch schlüpfen kann. Wenn ich nach unten auf die Straße sehe, dann wird es wirklich eng, das Auto da wieder raus zu bringen. Bleibt zu hoffen, dass zwar die Lücken enger werden, aber auch die Erfahrung, sie ohne Schaden eben doch zu passieren, in gleichem Maße gewachsen ist. Und dort wo die Erfahrung nicht weiter hilft, bleiben immer noch Glück und Zufall als Begleiter. Rückblickend sind sie beständiger als man vermutet. Ich bleibe noch ein bisschen hier sitzen und hoffe auf den Zufall, dass der vor oder hinter meinem Auto in der nächsten Stunde wegfährt. Und wenn ich schon dabei bin, dann zähle ich die vierblättrigen Kleeblätter meines Silvestergeschenkes. Es sind so viele, dass ich mir um Glück keine Sorgen machen muss. Selbst wenn das eine oder andere in diesen Jahr etwas eng werden sollte.

24 Gedanken zu “Könnte eng werden.

  1. Wunderbar! 🙂
    Wirklich ein universaler Satz, er passt so oft!
    Möge es auch die Enge geben, die gut ist, die Halt gibt und nicht drückt!

    Liebe Grüße,
    Silbia

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  2. … dann tue dich doch mit einem Handwerker zusammen, denn der wird dir in jeder noch so eng erscheinenden Situation souverän entgegnen: „Das kriegen wir hin.“
    Ein gutes Jahr 2017 wünsch ich dir.

    🙂

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  3. Wenn es eng wird, sehe ich vor allen Dingen die Möglichkeit, es wie Mäuse zu machen. Die schaffen es auch, sich durch minimale Spalte unter der Tür durchzuquetschen, um es schön warm zu haben und verschwinden durch diese Spalte auch wieder, wenn man ihnen nachdrücklich zu verstehen gibt, dass sie in der Wohnung nichts verloren haben. Seien wir ein wenig mausiger. 🙂

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  4. Also, ich erinnere mich an einen Blick vor vielen Jahren aus dem Fenster eines fünfstöckigen Hauses in Lyon, der Morgendunst über der Stadt, weit unten die Straße und: sehr eng geparkte Karosserien.
    Aber der (zumindest der eine, der vor einer ähnlichen Aufgabe stand, wie du) geschätzte Franzose hatte weniger Probleme damit als du: einmal nach hinten, rums, einmal nach vorne, rums und raus war er aus der Lücke! 😉

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    1. Ach ja…das klingt nach Einparken alla Mitzi, wenn ich dürfte wie ich wollte ;).
      In Süditalien ist es ähnlich. Da tut man besser nicht die Handbremse rein, damit einen die anderen bei bedarf etwas schieben können.

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  5. Liebe Mitzi,
    vielen Dank für Ihre Gedanken. Ich liebe es, Redewendungen zu „untersuchen“. Die Sache mit dem „eng werden“ habe ich in meinem Leben nicht so oft wie Sie empfunden. Darum ist das totale Verschwinden der Enge im Alter bei mir wohl ein anderer Fall.

    Je älter man wird, umso enger werden die Lücken durch die man unbeschadet hindurch schlüpfen kann.

    So empfinde ich es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich mir nur noch breite Portale suche, und die schmalen Lücken völlig übersehe?
    Vielleicht habe ich auch einfach nur Glück, dass es nicht mehr eng wird, oder ich gar nicht bemerkt habe, dass es gerade ganz eng war?
    Da ich häufig eine SEHR aufmerksame Beifahrerin habe, erfahre ich zumindest von Engstellen, die ich übersehen habe, oder die jemand sehr viel enger empfindet als ich – selbst wenn ich darauf hingewiesen werde.
    Das Augenmaß der Menschen ist eben auch unterschiedlich – wie alles! 😉

    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, es ist sicher nicht verkehrt sich auf die breiten Portale zu konzentrieren und nicht zu sehr auf die engen Stellen. Zumal es anscheinend gut funktioniert, wenn ihre Beifahrerin Sie erst nach dem Passieren auf mögliche Engstellen aufmerksam macht.
      Ob nun eng oder weit – wir werden beide auch in 2017 unbeschadet durch Portale, Engstellen und Kreuzungen schlüpfen. Ich weißt das :).
      Herzlichst
      Ihre Mitzi

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  6. Man könnte meinen, das bairische „basst scho“ wäre das Gegenstück zu dem Satz, der dich durchs Leben begleitet, liebe Mitzi, wobei „könnte eng werden“ weniger wurschtig ist, mehr zur Vorsicht mahnt. Bei Parklücken zeugt „könnte eng werden“ von Selbstvertrauen, von der Fähigkeit, die Enge als Herausvorderung zu sehen.

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    1. Basst scho, ist tatsächlich ein schönes Gegenstück zu diesem Satz und ich kann mir gut vorstellen, dass es ein anderer an gleicher Stelle sagen würde, wie ich wenn ich von Enge spreche.
      Die Parklücken sind nur ein bisschen Zeugnis von Herausforderung…leider. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist es eher Trotz und Faulheit ;).

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  7. Man entscheidet sich nicht für seine solche Haltung, man bringt einfach eine Disposition dafür mir. Mein Vater stand immer zu früh auf dem Bahnsteig. Bei mir ist das auch so. Ob ich will oder nicht, da stoße ich an die Grenzen des freien Willens. Wenn es bei mir eng werden könnte, dann ist es zu spät.

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