Zerschlagen und gekittet

Ein Hammer liegt auf meinem Tisch. Er passt nicht recht zwischen die Weingläser, Kaffeetassen und den Resten des Stollens, den wir zum Frühstück gegessen haben. Und doch passt er besser zu diesem Weihnachten als alle Christbaumkugeln, Geschenke und Weihnachtsbäume zusammen. Ich bin gleich da, schrieb ich dem Mann der in der gleichen Straße wie ich aufwuchs und zerschlug damit die Weihnachtsleere in meiner Wohnung. Ich wollte es nicht, aber der Hammer muss den ganzen Tag schon auf dem Tisch gelegen haben ohne das ich ihn bemerkt. Bratenduft in der Wohnung und eine leise Stimme die versicherte, das alles gut werden würde. Wie lächerlich, wenn sie von einem kommt, der wissen sollte, dass manchmal nichts wieder gut wird. Und wie unverschämt, wenn einer nickt, der Experte darin ist, das Grauen zu duplizieren. Es ist erstaunlich mit welcher Kraft man Stille und Leere zerschlagen kann, wenn man nur wütend genug ist. Der, der so oft auf meiner Bettkante sitzt und wortlos mit mir spricht ist klug genug den Mund zu halten. Der andere flüstert noch leise, dass es wieder wird und sieht erst im letzten Moment, dass ich wütend genug bin ihre flüchtigen Reste mit einer einzigen Handbewegung zu zerschmettern. Er verschwindet bevor ich ihn anschreien kann und ich fühle mich betrogen, weil ich brüllen und schreien möchte.

Ich bin gleich da, sage ich statt zu schreien leise am Telefon zu dem, der eben noch meinte, es sei ok dass er allein zu Hause ist. Nichts ist ok. Zehn Minuten sage ich, stopfe den Wein in die Tasche und kann die höhnisch funkelnden Lichter am Baum in dieser Leichenhalle nicht mehr ertragen. Ich bin jetzt da, sagte ich fünfzehn Minuten später in der Küche der Altbau Wohnung in der nichts an Weihnachten erinnert. Brennnessel-Ingwer-Mango-Tee und ein echtes Gesicht, anstelle von flüchtigen Spiegelbildern. Hier gibt es nichts zu zerschlagen und ich kann atmen. Für einen kurzen Moment sehe ich dich in der Scheibe, kurz genug um nicht aufzuspringen und sie einzuschlagen. Nicht schnell genug als das ich nicht gesehen hätte, wie sehr dich meine Wut erstaunt. Ich bin gleich da, schreibt der mutigste meiner Freunde und sitzt wenig später ebenfalls am Tisch. In eurer Mitte ich und keine fragt wie es mir geht. Und weil keiner fragt, sage ich es. In dieser Küche kann man keine Weihnachtsstimmung verderben. Hier sitzen nur drei Freunde von denen zwei sich fragen, wie wütend und ohnmächtig man sich fühlen kann bevor man wieder Luft bekommt. Sehr, bestätigen wir uns wortlos und sind froh, dass einer lacht und weder wütend noch ohnmächtig zu sein scheint. 

Wir zerschlagen nichts, weil es für den Moment nicht mehr nötig ist. Die Decken der Altbauwohnung sind hoch genug um die Wut dicht unter dem Stuck langsam verdampfen zu lassen. Weist du wo das Auto steht, fragt der mutigste meiner Freunde und weil ich zu müde bin um darüber nachzudenken nicke ich. Wir fahren durch die Stadt und er kennt mich gut genug, mich nicht zu bitten, doch etwas mehr rechts zu fahren. Den Baum zu Hause betrachte ich misstrauisch. Er sei jetzt da, sagt der mutigste meiner Freunde als er sie anzündet und umarmt mich so fest, dass ich keine Luft mehr bekomme. Wir legen uns auf das Sofa, das Platz für fünf bietet, und brauchen nur Platz für einen, weil ich halb auf ihm liege um in seiner Halsbeuge nach dem Geruch von Italien zu suchen. Um drei Uhr nachts bekomme ich  Hunger und zerschlage mit einem Hammer Walnüsse. Es macht Spaß und das kleine Loch im Tisch ist nur eine weitere Erinnerung an ein wütendes und ohnmächtiges Weihnachten, an dem ich gegen Mitternacht gefallen finde. Wir sehen uns die Facebook Fotos meiner Bekannten an und ich lache. Auf meinem Handy befindet sich ein hübscher Kontrast. Da bin ich, im schwarzen Kleid aber mit scheußlichen Winterstiefeln und ohne Jacke auf der Straße stehend und mit einem so wütenden Gesichtsausdruck, das sicher keiner „Gefällt mir“ drücken würde. Oder wir in einer halbdunklen Küche, die man kaum mit Weihnachten in Verbindung bringen würde. Lauter Bilder auf denen man nicht erkennt, wie schön frei ich atmen konnte, während einer auf den Auslöser drückte. Die Bilder, als die Lichter des Baumes wieder brannten und ich sie wieder mochte, teile ich nicht. Es geht ja keinen etwas an, das ich Weihnachten zerhämmert habe und es erst nach Mitternacht wieder zusammen gesetzt wurde. Man müsste den mutigsten meiner Freunde so gut wie ich kennen, um zu verstehen, dass sein Dasein reicht um zu wissen, dass eben doch alles gut wird. Egal wie oft ich Weihnachten zerschlage, am späten Abend kommt er und setzt es wieder zusammen ohne etwas zu tun. Er muss nicht nachdenken ob er das richtige sagt, im Nebensatz kommt das was wichtig ist. Eine Nacht und der Akku ist für 365 Tage wieder aufgeladen. Sollte ich jemals aus Versehen zu viel zerschlagen…er wäre es, den ich anrufen würde. Herz, spinnst du, würde er sagen und die ersten Scherben wären gekittet.

Mein Freund hämmerte heute früh, als er ein Bild an meiner Wand aufhängte, das er mir mitgebracht hatte. Und ich eine Stunde später, als ich eine letzte Walnuss zerschlug. Meine Nachbarin Judith hämmerte auch. Gegen die Wand die unsere Wohnungen trennt. Was, verdammt noch mal bei mir los sei, schrie sie und klang ähnlich wütend wie ich einige Stunden zuvor. Ich würde die Kinder mit meinem Lärm aufwecken. Ob die nicht durch ihr hysterisches Gebrülle längst wach seien, schrie ich zurück. Ich hörte ihre Balkontür und ging nach draußen. Alles ok, fragte sie über die Brüstung gelehnt und ich nickte. Ich sei nur etwas wütend gewesen. Na dann, schmunzelte sie und erkundigte sich ob ich schöne Weihnachten gehabt hätte. Ja, es war gut. Sehr gut sogar. Ein bisschen laut und anstrengend, aber doch sehr schön. Man muss sich nur mal ordentlich ausbrüllen und nach Luft schnappen, sonst erstickt man ja an der ganzen Harmonie.

 

 

9 Gedanken zu “Zerschlagen und gekittet

  1. Meine Freunde haben mich auch vor dem Zorn bewahrt. Seltsam, dass in dieser Zeit so viele Hämmer auf Tischen liegen, vielleicht weil man da keine Scheinheiligkeit ertragen will. Mir erging es zumindest so. Gut, dass es Freunde gibt, ein Hoch und einen Schnaps darauf!“

    Gefällt 2 Personen

  2. Liebe Mitzi,
    ich war ganz vorhin schon mal hier und bin grußlos wieder weggegangen. Wusste wirklich nicht, ob ich eine passende Bemerkung zu Ihrem Hammer und seiner Verwendung hatte.

    Nun bin ich im zweiten Anlauf hier und möchte Ihnen zurufen: Brüllen Sie immer, wenn Ihnen danach ist!
    Ich bin schon einmal in meinem Leben an Harmonie erstickt, nachdem ich die Harmonie zu meinem Grundnahrungsmittel erklärt hatte. Selbst wenn man sich schon ein paar mal daran verschluckt hat, kann man es ja nicht lassen. Das Bedürfnis steckt ja tief in mir drinnen!

    Nach meiner Wiederbelebung habe ich mir vorgenommen, dass mir das nie wieder passiert. Denn ein zweites Mal übersteht man das sicher nicht!

    Gruß Heinrich

    Gefällt 1 Person

    1. Schön, dass Sie das sagen, lieber Heinrich.
      Ich kam mir schon arg garstig vor, hier so rumzupoltern und zu hämmern.
      Am Ende dachte ich mir, der eine oder andere hat vielleicht gerade auch keine Lust auf Harmonie und der freut sich dann, dass er nicht alleine ist.
      Ich habe mich ausgebrüllt. Pünktlich zum Montag ;).

      Gefällt 1 Person

  3. Nach deinem letzten Text ist das hier auch notwendig, es ist leichter, auf sich und alle Welt wütend zu sein und diese Wut auch auszutoben, jedenfalls dann, wenn man damit keinen allzu großen Schaden anrichtet!

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar