Eben noch

Gerade eben noch, war das Innere des Autos vollgestopft mit Lachen und mit Worten. Nichts von dem was mir erzählt wurde, war belanglos. Nur angenehm schwerelos und fröhlich. Eben noch saßen sie neben mir und wir lachten über den dichten Nebel der über den Feldern lag. Gerade noch, gestanden wir uns, dass die Straße durch den Wald heute wirklich unheimlich ist und der Gedanke an einen Motorschaden Gänsehaut hervorruft. Wäre man alleine.

Eine halbe Stunde später fahre ich die gleiche Strecke alleine zurück und bin froh, dass du neben mir sitzt. Noch lieber wäre es mir, wenn du fahren würdest und ich tief in die Polster des Beifahrersitzes rutschen könnte. Es geht auch so. Die Sitzheizung von der du behauptet hast, ich würde sie so sehr lieben, dass ich mich im Zweifel für sie und gegen dich entscheiden würde, funktioniert auf beiden Seite. Ich sehe dein Gesicht im Spiegel der Windschutzscheibe und weiß, dass auch du lieber selbst fahren würdest. Der Mittelstreifen dessen Name für dich selbst erklärend ist, verschwindet unter den linken Reifen und du verdrehst die Augen. Ich tue es dir gleich und wir lächeln, weil wir den Nebel der alles verschluckt so gerne mögen. Es ist zu früh um nach Hause zu fahren. Die Nacht gehört mir und ich will sie auskosten, weil ich weiß, dass du morgen nicht bei mir bist. Hl. Abend bist du schon immer verschwunden. Verschwinden kannst du gut und an machen Abenden schaffe ich es nicht, dich zurück zu holen. In einer Nebelnacht ist es leicht. Einer muss ja die Augen verdrehen und über den Zweck eines Mittelstreifens auf der Fahrbahn sinnieren. Am Vorabend des Weihnachtstages ist am Stadtrand kaum jemand auf der Straße. Gerne würde ich anhalten und mit dir im Nebel des Isarhochufers verschwinden. Vor ein paar Jahren sind wir hier nachts durch den Park gelaufen. An deinem Blick sehe ich, dass es keine gute Idee ist, es auch jetzt zu machen. Spiegelbilder vertreiben Schatten und Kälte, sind bei echten Gefahren aber keine Hilfe. Mein Blick sagt dir, dass ich es dir noch immer übel nehme, mit dem flüchtigem Abklatsch deines Wesens vorlieb nehmen zu müssen. Vielleicht liegt es an Weihnachten, dass wir es heute schaffen, dass ich dich nur neben mir sehe, sondern deine Hand auch auf meinem Bein spüre während wir weiter durch die Stadt fahren. Sie ist warm und erinnert mich an ein anderes Weihnachten, an dem wir die gleiche Strecke gefahren sind. Damals war es deine rechte Hand und das Auto fuhr artig rechts vom Mittelstreifen.

In der Dunkelheit am Isar Hochufer entlang zu fahren ist eine Tradition. Als Kind fuhr mein Vater und auf dem Autodach war die Fichte, die mein Onkel am Vortag gefällt hatte und die dazu bestimmt war unser Christbaum zu werden. Manchmal war es neblig, manchmal schneite es und manchmal nicht. Aber immer gab es dort diesen einen Baum an der Straße, der mit blass bunten Lichtern geschmückt war. Den bunten Christbaum musste ich sehen, sonst war nicht Weihnachten. Ich musste mir den Hals verdrehen um ihn möglichst lange im Blick zu haben. Viele Jahre. Irgendwann verschwand er und ich vermisse ihn noch heute. Er ist noch da, sagst du. Der bunte Baum. Ich hätte ihn im Nebel nur übersehen. Du aber, hattest ihn gesehen und er sei wirklich schön mit seinen blass bunten Lichtern.  Dinge die nicht sein konnten, aber sein sollten, konntest du so überzeugend behauptet, dass man dir glauben musste oder wenigstens glauben wollte. Es ist ein großes Glück, dass der Baum doch noch da ist, wo er sein muss. Denn dieses Jahr muss er mir Gesellschaft leisten. Er und das flüchtige Abklatsch deines Wesens. Mit dem Wissen um die Existenz der blass bunten Lichter, sitze ich unter meinem strahlend bunten Baum und bin endlich alleine. Heute darf es gerne etwas weniger sein. Es muss weniger sein, damit ich dich nicht überhöre. Sogar den Weihnachtsbrunch mit den liebsten aller Menschen habe ich abgesagt. Mich versteckt und nicht einmal zur Kirche will ich, weil da alle sind und alle fragen, wie es einem geht. Ich bleibe alleine und schaue in den Nebel, während ich die Geschenke auspacke und es langsam dunkel wird. Mamas Stollen schmeckt nach daheim und war in rotem Papier verpackt. Eine neue Kugel hängt am Baum und der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Türe steht hat heute morgen einen Schokoladen Nikolaus auf der Schwelle stehen gelassen als ich nicht öffnete. Ich werde das Buch lesen, das mein Vater vor fünfzig Jahren gelesen hat und von dem er mir erzählte. Und du wirst mir dabei über die Schulter sehen.

Heute ist alles, das über das notwendigste hinaus geht, zu viel. Nur ein flüchtiger Rest deines Wesens, ein strahlender Baum und die Erinnerung an blass bunte Lichter. Eben noch war das Jahr vollgepackt mit Freunden, Familie und Möglichkeiten. Jetzt fliegt es in die Ecke. Heute braucht es ein wenig Leere um nicht zu ersticken an all dem Schönen und Schrecklichem. Heute Abend werden wir zu dritt sein. Ich ahne, dass dein Bruder bei uns sein wird. Noch leiser als du, aber laut genug um mir zu sagen, dass alles gut werden wird. Wir werden lachen, weil gerade er es besser wissen sollte.

31 Gedanken zu “Eben noch

  1. liebste Mitzi, ich wünsche dir zu allererst frohe weihnachten. Trotz und wegen allem. Weißt du was? Ich wünsche mir, dich im Januar zu treffen. Auf einen Kaffee und ein Glas Wein. Zu einer Portraitsession bei der ich dich fotografieren darf. Ich bin mir sicher, dass wir weinselig gar wunderhübsche Bilder produzieren würden. Was meinst du? Herzlichste Weihnachtsgrüße aus Nymphenburg!

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    1. Oh ja, lass uns treffen. Ich würde mich sehr freuen dich kennen zu lernen.
      Deine Fotografien habe ich auf Instagram schon ein bisschen gesehen – sie sind toll.
      Sehr gerne 🙂
      Herzliche Grüße aus Giesing und schöne Feiertage
      ich freu mich auf dich.

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  2. Liebe Mitzi… So melancholisch gestimmt? Oder liebst Du es, Dich in melancholischen Geschichten zu ,,baden“, um dann, gereinigt, ins echte Leben zurück zu huschen? Wie auch immer, eine wunderbare Geschichte, die auch mich mit der Schönheit ihrer Worte berührt hat.

    Alles Liebe und einen wunderschöne Zeit mit der Erfüllung aller deiner Wünsche, so sie Dir zuträglich sind, im neuen Jahr! Nessy

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  3. Ich habe den Text zweimal gelesen und mich in die Stimmung fallen lassen. Es geht mir gut dabei, auch wenn die Trauer um die Ecke schaut. Sie ist halt da und gehört dazu. Ein Tex, der bleibt in all der Weihnachtsdudelei……

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  4. Das Gefühl mal Leere zu brauchen kenne ich, deshalb bin ich dazu übergegangen morgens sehr lange spazieren zu gehen. Wenn es noch dunkel ist. Herrlich mal keinen Menschen zu sehen oder mit ihm sprechen zu müssen. Allerdings sind mir Laternenlichter sowie große Kreuzungen gemeißelt in Beton lieber als Nacht und Nebel vor allem allein…

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    1. Sollte ich auch einmal ausprobieren. Ich glaube mir würde der Nebel sogar besser gefallen, aber das ist ein Risiko das einzugehen möglicherweise Dummheit bedeutet. Zumindest wenn es der Park einer Stadt ist. So bleibe ich wie du in der Stadt.

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  5. Es ist ganz offensichtlich richtig, dass Humor sehr oft getragen wird von einer großen Melancholie. Bei dir stimmt das auf jeden Fall. Manche deiner Texte sind wirklich schmerzhaft und ich halte sie, auch wenn sie toll geschrieben sind, nur deshalb aus, weil ich weiß, dass es eben auch diese andere Seite gibt, diese fröhliche, lebenslustige Mitzi.

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