Auf dich, Sabine!

Wie fühlt sich Glück an, frage ich meine Freundin, weil mein Bauch – die Quelle des physischen Glücksgefühls – mit der Verarbeitung eines herrlich heißen und scharfen Thai Currys beschäftigt ist. Das Wein Glas klirrt leise, als sie mit dem Fingernagel dagegen tippt. Heute wie schwerer Rotwein, erkundige ich mich und sie nickt. Auch für mich schmeckt Glück heute Abend wie ein Schluck kräftiger Rotwein. Das Glück lässt sich ebenso schwer beschreiben wie einfangen. An manchen Tagen prickelt es wie Ahoi Brause an anderen Tagen legt es sich schwer und warm über die Schultern. Fast immer lässt es sich mit einem Geschmack beschreiben. Wahrscheinlich, weil ich nur aus dem Bauch heraus glücklich sein kann. Glück in den Fingerspitzen liegt mir nicht. Wenn ich glücklich bin, dann strahlt es immer aus der Körpermitte heraus. Kannst du damit etwas anfangen, Sabine ? Sabine, deren Fragen ausgedruckt in meiner Tasche liegen hat mich nach dem Glück gefragt. Jetzt wo es mir wieder einfällt, weiß ich auch warum mir meine Tasche heute so schwer vorkam. Es liegt an ihren Fragen. Fragen die man zum Jahresende stellt und Fragen die gut zu einem Glas schwerem, kräftigen Rotwein passen.

Auch wo ich zuletzt am liebsten war, möchte sie wissen. Vor einem Glas Wein, möchte ich schreiben und zögere, weil meine Freundin die Augenbrauen hebt und anmerkt, dass Wein kein Ort sei und zudem die zu häufige Erwähnung ganz leise nach einem Alkoholproblem schreit. Ich bleibe ehrlich. An meinen liebsten Orten bekam ich zuletzt immer ein Glas Wein vorgesetzt. Am Esstisch, des klügsten meiner Freunde; im Wohnzimmer meiner Eltern; auf meinem Sofa mit dem Besten und in meiner liebsten Bar die auch ein kleines Wohnzimmer ist. Ich bin im Dunstkreis eines Alkoholikers aufgewachsen und würde die Orte auch mit einer Tasse Kamillentee lieben. Wir stoßen verfrüht auf das Jahr 2016 an. Was war es für uns? Ein gutes, sagt sie und ich stimme ihr zu. Mit einem Optimismus, der an Sturheit grenzt, bezeichne ich jedes Jahr als ein gutes. Ich habe nur etwa 80. Zu wenig um eines davon als schlecht zu bezeichnen. Tage habe ich massenhaft, die können mies sein. Das ist ok. Ein Jahr ist immer gut. Notfalls blende ich 310 Tage stur und eigensinnig einfach aus. Ob ich in den vergangenen Monaten etwas gelernt habe, bezweifle ich. Ab und zu steht einer mit einer Flasche Wein (verdammt….schon wieder Wein) vor meiner Tür und ich lasse ihn rein obwohl ich es nicht sollte. Gelernt habe ich nichts. Nichts bewusst. Aber mitnehmen werde ich eine Menge. Ich tappe nun nicht in die Falle und schreibe von dem herrlichen Lugana, den ich entdeckt habe. Nein, ich werde anderes mitnehmen. Das tiefe Gefühl von Geborgenheit, wenn Kollegen zu Freunden werden zum Beispiel. Und die Einsicht, dass ich immer Angst haben werde, dass ich irgendwann alleine zurück zu bleiben. Sinnlos dagegen anzukämpfen. Seit diesem Jahr stecke ich Sorgen lieber in Schubladen, als gegen sie anzukämpfen. Das ist leichter und macht weniger Falten.

NaNoWriMo musste ich meinem Gegenüber erst mal erklären und sie nutze die Gelegenheit auf die Toilette zu gehen, während ich darüber nachdachte. Ein tolles Projekt mit lesenswerten und schönen Ergebnissen. Ein Projekt für das ich schlicht keine Zeit habe. Um es in Angriff zu nehmen müsste ich den Blog stilllegen oder einen Monat Urlaub nehmen. Ich schreibe immer dann, wenn ich Lust habe. Leider (ein leider weil der der Tag nur aus 24 Stunden besteht) habe ich fast jeden Abend Lust. Habe ich keine, dann bleib ich stumm. Ich bin auch wortkarg, wenn mir nichts einfällt. Regeln gibt es den Blog betreffend nicht. Anders sieht es bei größeren Projekten aus. Seit Jahren habe ich dafür immer einen Block und einen Stift in der Tasche. Auf langen Erzählungen kaue ich in Gedanken herum und es ist wenig Raum für anderes in meinem Kopf. Dort entsteht eine Erzählung die mit wenigen Sätzen in meinem Notizbuch gestallt annimmt. Das eigentliche Schreiben ist dann nur noch das zu Papier zu bringen. Bis vor kurzem hatte ich dazu keine Zeit, aber ich erinnere mich an vergangene Jahre in denen ich monatelang jeden Abend nur schrieb und die Kapitel in einem Forum für ein halbes oder ganzes Jahr Woche für Woche veröffentlichte. Wunderschön, aber heute brauche ich mehr als vier Stunden Schlaf. Schade eigentlich. Ein Happy End hatten sie alle. Für mich. Denn es sind realistische gute Enden. Da kann schon mal einer sterben. Das Leben danach kann auch Happy sein. Realistischer Weise allerdings wird es erst mal holprig. Für mein Leben denke ich nicht darüber nach. Dieser Gedanke steckt in einer Schublade.

Worüber ich alles wissen möchte, fragt Sabine. Die geheimen Schriften im Vatikan würden mich reizen. Oder Area 51. Aber eigentlich hätte ich gerne viele Bücher in denen all die Geschichten erzählen, die mir meine Großeltern und meine Großtanten erzählt haben. Auch die von meinen Eltern. Vorallem die, die sie mir nie erzählt haben und die ich alt und faltig dann nachlesen könnte. Sabine gibt mir auch die Möglichkeit mir Vorzustellen dass ich eine Sache bewahren und eine ändern könnte. Ich könnte mich nicht entscheiden und bin froh, nicht vor der Entscheidung zu stehen. Im kleinen will ich es versuchen. Das Schöne bewahren und das was uns nicht gut tut, ändern. Angefangen von der Müllvermeidung, dem Verzicht auf Fleisch und der Verletzung anderer Menschen. Bewahren würde ich mir Abende, wie den heutigen. Ein Schluck kräftiger Rotwein, ein scharfes Curry und einen lieben Menschen, der mit mir über das Glück nachdenkt und feststellt, dass wir es gerade sind. Kann an dem Wein liegen. Muss aber nicht.

Danke, Sabine! Der letzte Schluck geht auf dich.
Auch der heute Abend auf der Geburtstagsfeier. Danach komme ich hoffentlich endlich wieder dazu bei einer schönen Tasse Tee all die liebgewonnen Texte der Blogger hier zu lesen.

20 Gedanken zu “Auf dich, Sabine!

  1. Wow, wie toll!
    Stelle Nummer eins, die ich liebe:
    Bei etwa 80 Lebensjahren ist jedes Jahr ein gutes.
    Stelle Nummer zwei, die dazu führte, dass mir warm ums Herz wurde:
    Bücher mit den Geschichten der Großeltern und Eltern, vor allem mit den nicht erzählten Geschichten.
    Danke für diesen Text!

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    1. Lieb von dir. Ich bin immer erleichtert, wenn ich den Fragen gerecht werden kann. Der Liebste ist eine schöne Sache. Ich habe mir fest vorgenommen, das nächste Mal auch zu nominieren – er soll sich ruhig weiter verteilen. 🙂

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