Eine Unverschämtheit

Wenn Frau Obst sich in den Waschkeller begibt, dann ist sie auf Krawall gebürstet. Eigentlich hätte sie hier unten nämlich nichts zu suchen. Sie besitzt sowohl eine Waschmaschine als auch Trockner in ihrer Wohnung. Das weiß ich, weil sie beides mit Vorliebe am frühen Samstagmorgen laufen lässt und mich gerne daran erinnert, dass nur faule Menschen am Samstag ausschlafen. Ausschlafen ist allenfalls am Sonntag erlaubt – sofern man den Kirchgang am Vorabend bereits hinter sich gebracht hat. Frau Obst ist in dieser Beziehung eine klasse Theoretikerin. Praktisch ist sie schon vor Jahren, nach einem Disput mit dem Chorleiter ihrer Gemeinde aus der katholischen Kirche ausgetreten. Der Herrgott würde es ihr nachsehen, erzählte sie. Er, mit dem sie recht eng verbunden ist, hätte zweifellos Verständnis dafür, dass sie unmöglich an einem Gottesdienst teilnehmen könne, der musikalisch von einem Kinderchor untermalt wird, der von einem geschiedenen Mann geleitet wird. Sodom und Gomorra. Der Besuch der anderen nur eine Trambahnstation entfernten Kirche ist selbstverständlich keine Alternative. Wenn Frau Obst also den Waschkeller aufsucht, dann nur weil sie schlechte Laune hat und ein Opfer sucht, an dem sie selbige auslassen kann.

Eine bodenlose Unverschämt sei das, sagt Frau Obst und deutet auf eine der Waschmaschinen. Obwohl ich den Kopf schief lege und die Augen zusammen kneife, kann ich keine Unverschämtheit erkennen. Nur Wäsche, die sich langsam und gemächlich in der Trommel dreht. Vielleicht etwas wenig Wäsche. Aber nichts schlimmes. Unverschämt war der Flokati, der mit seinen Flusen den Abschluss verstopfte und meine dunkle Wäsche versaute. Schauen sie, befahl Frau Obst und zog mich nach unten. Gemeinsam hockten wir vor der Maschine und blickten durch das Glasfenster der Trommel. Eigentlich nur Frau Obst, ich starrte sie an, weil ich ihr nicht zugetraut hätte, dass sie überhaupt noch in die Hocke gehen kann. Dann sah ich es. Ein Leintuch. Ein einzelnes Leintuch und das wo Frau Obst extra einen Zettel angebracht hat, der uns mitteilte, dass die Trommeln ordentlich gefüllt werden müssen. Unverschämt, murmelt ich und begann die zweite freie Maschine mit meiner Wäsche zu füllen. Ein bisschen Solidarität und dann schnell verschwinden – das klappt meistens.

Eine Stunde später holte ich meine Wäsche und wieder murmelte einer etwas über Unverschämtheiten. Diesmal Paul, der vor der geöffneten Türe des Trockners hockte und auf die darin befindliche Wäsche blickte. Augenscheinlich nicht seine. Die hielt er nämlich in der Hand – ein einzelnes dunkelblaues Leintuch. Schau, sagte auch er und ich hockte mich neben ihn. Es scheint die vorgeschriebene Körperhaltung für Gespräche im Waschkeller zu sein. Ob ich wisse was unverschämt ist, wollte er wissen. Ginge es nach Frau Obst, dann er, aber das sagte ich ihm nicht. Ein Mann der so verzweifelt vor einem Trockner mit getrockneter aber fremde Wäsche hockt und wartet, hat ein Date. Und eindeutig zu wenig Bettwäsche. Außerdem einen fragwürdigen Geschmack. Dunkelblaue und vor allem schimmernde Bettlaken ließen nichts gutes für die restliche Schlafzimmereinrichtung erahnen. Es hat etwas beruhigendes, dass selbst die vor Selbstbewusstsein strotzenden Männer kurz vor einem ersten Date nervös werden. Paul jedenfalls verließ den Waschkeller laut fluchend und murmelte etwas von über der Heizung trocknen. Eine Dusche und eine ordentliche Rasur währen wohl auch zielführend rief ich ihm hinterher. In der Tür drehte er sich um und lächelte. Der kurze Anflug von Nervosität war vorbei. Er lächelte das gewohnt spöttische Lächeln, das nur Männer lächeln, die wissen wie umwerfend ihr Lächeln ist. So einer steht ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Türe. So einen habe ich einmal besucht, als in seinem Wohnzimmer ein Wäscheständer mit Bettbezügen stand. Über seine Matratze hatte er eine scheußliche Wolldecke geworfen und das fehlende Kissen ersetzte seine Armbeuge, die überaus bequemer war und sicher auch viel besser roch. Zugedeckt haben wir uns mit einer noch hässlicheren Ikeadecke.  Ich hab es erst morgens bemerkt. Abends sah ich nur sein Lächeln.

Ich bin mir sicher, dass auch Paul eine charmante Lösung für sein feuchtes Laken finden wird. Vielleicht bekommt er es über der Heizung noch trocken, vielleicht lässt er es auch einfach weg. Es scheint ihm schon jetzt egal zu sein, denn ich höre ihn im Treppenhaus munter pfeifen. Später sehe ich ihn an der Supermarktkasse. Zwei Flaschen Wein, Käse und Datteln liegen auf dem Band. Rasiert hat er sich nicht, aber er zwinkert der Kassiererin zu und deren fröhliches Lachen bestätigt ihm, dass er es auch nicht muss. Bei Männern wie Paul reicht eine Dusche und die Art wie sie einen ansehen, um über feuchte Laken, unfrisierte Haare, ungesaugte Böden und kratzige Wolldecken hinwegzusehen. Es ist eine Unverschämtheit.

 

 

 

 

 

29 Gedanken zu “Eine Unverschämtheit

  1. Ich würde deinen Herrn Paul gern mal treffen. Ich habe einen daheim, auch mit umwerfenden Lächeln. Aber er rasiert sich noch nicht und darf auch keinen Wein kaufen, nicht einmal mit meinem Geld, geschweige denn trinken. Und Wäsche waschen? 😂 Ach, dafür ist schließlich Mama Vro da.

    Aber dein Paul … eigentlich unverschämt, wie du uns mit dem den Mund wässrig machst …

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    1. Dein Paul wird sicher ein richtiger Charmeur. Das Lächeln scheint er ja schon zu haben.
      Wunderschöner Name übrigens.

      Unverschämt, so ein Exemplar im Haus zu haben. Da muss ich wenigstens mein „Leid“ teilen. 😉

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      1. Ich sehe schon, es gibt da Details, die ich in meinem Verhalten noch optimieren könnte. Zum Beispiel kaufe ich zwar auch gern Wein & Käse für die traute Zweisamkeit. An Datteln habe ich allerdings noch nie gedacht. Bei mir gab es im Idealfall immer Kalamata-Oliven zum Käse & Wein.

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      1. Ach ja…..du bist ja in Österreich 🙂
        Den Kaisermühlen Blues kenn ich zwar, aber ich glaube das wir den entweder über den ORF sehen konnten oder er später im deutschen Fernsehen wiederholt wurde.

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      2. ja, lustig eigentlich, dass fernsehen zumindest damals doch recht regional war, selbst, wenn die programme zu sehen waren. obwohl ich mir vorstelle, dass der kaisermühlenblues für einen nicht-österreicher (ja sogar für einen nicht-wiener) gar nicht so einfach verständlich ist. gar nicht so unbedingt nur vom dialekt, sondern von der dynamik der charaktere.

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      3. Stimmt. Das ist schon ein bisschen fremd. Weite Teile Österreichs sind dem Bayern ja sehr vertraut, aber Wien zum Beispiel ist dann doch anders.
        ORF 1 hab ich lange vermisst, als wir es in München plötzlich nicht mehr empfangen konnten. Ich bin mit AmDamDes (schreibt man das so) aufgewachsen und Filme haben wir oft auf dem Sender geschaut. Zum Glück haben wir ihn immer auf unserer Hütte sehen können. Die ist direkt an der Grenze.

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      4. oh das ist ja schön! und ja, das stimmt. ich bin selber immer wieder überrascht, wieviele unterschiede es selbst in so einem kleinen land geben kann. ein wiener hat mit einem tiroler oder vorarlberger nicht wirklich was gemeinsam. und ja, AmDamDes schreibt man glaube ich so. Ganz dunkel erinnere ich mich noch daran ^.^

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  2. Ich muss gestehen, ich freue mich derzeit immer wenn eine neue Geschichte von Dir erscheint. Immer wieder wirkt es als fliege ich nur darüber hinweg und doch manchmal schaue ich auf und schmunzle. Danke. ,-)

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  3. Glückwunsch! Euer Waschkeller ist mal wieder für eine witzige Geschichte gut, liebe Mitzi.
    Es treten auf:
    – Frau Obst als Nörgelnde,
    – Mitzi Irsaj als Erzählerin
    – Herr Paul aus dem Hinterhaus als unwiderstehlich Grinsender

    Vielleicht wäre das unscheinbare Läppchen ein guter „roter Faden“ für dein Buch. Wem gehört es, warum wurde es gewaschen und blockiert jetzt den Trockner? Was geschieht als nächstes damit?
    Oder eben bestimmte Wäschestücke. Einmal ist dir doch schon mal was vom Balkon geweht?

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