Iljana, die Sonne geht auf!

Iljana, komm raus, forderte der alte Säufer mit kratziger, aufgeregter Stimme. Iljana, die mazedonische Aushilfe unseres vietnamesischen Backshops lächelte nur und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hat sie den Alten nicht verstanden. Morgens ist er noch nüchtern, da versteht man ihn noch schlechter. Iljana sowieso. Die versteht nämlich kein Deutsch, braucht es bei der Selbstbedienung im Backshop auch nicht. Iljana, komm, fordert er mit Nachdruck durch die offene Tür und lässt sich dann auf das kleine Mäuerchen an der Tiefgarage sinken. Der Start in den Tag fällt ihm im Winter noch etwas schwerer als sonst. Zwischen den rauen Fingern eine Zigarette und der erste Schluck aus einer kleinen Flasche Jägermeister. Was man eben so braucht, um wach zu werden.

Ich brauchte nur eine Semmel. Für später. Für das Büro. Die verstaue ich in der Tasche, als ich vor die Tür trete. Der altre Trinker legt seine Hand auf meinen Arm. Da schau, sagt er und nennt mich Iljana. Da schau, Iljana, die Sonne geht auf. Und weil er so sehnsüchtig und gleichzeitig überrascht schaut, schaue ich auch. Nicht in die Sonne, sondern in seine Augen. Die sind nämlich schön. So schön wie die von einem Bernhardiner. Die Lider hängen, das Weiß ist nicht mehr ganz klar und sie schwimmen in Tränenflüssigkeit. Aber irgendwie sind sie schön. Schau, Iljana, die Sonne, wiederholt er und ich nicke. Es ist ja egal wer die Sonne außer ihm noch sieht. Heute Morgen reicht es ihm wohl, wenn er die ersten Strahlen mit irgendwem teilen kann.
Später, ich bin schon aus der Stadt draußen, schaue ich alleine noch mal in den Himmel. Heute ist er wirklich besonders schön. Ich bleibe so abrupt stehen, dass ein Kollege mich fast umrennt. Schau, sage ich, die Sonne ist aufgegangen. Man kann das offensichtliche ab und zu ruhig erwähnen. Das der Himmel nicht alltäglich ist, sieht er wohl selbst.

33 Gedanken zu “Iljana, die Sonne geht auf!

  1. Wie schön du wieder den Blick auf dein Umfeld lenkst. liebe Iljana äh Mitzi. Und der weißblaue Himmel gehört ja zu Bayern wie die Weißwurst. Ich glaube, in eine Frau, die zu mir sagen würde: „Schau, die Sonne ist aufgegangen!“, könnte ich mich auf der Stelle verlieben.
    Schöne Grüße aus dem eher grauen Hannover.

    Nebenbei: Hast du eine Erklärung dafür, dass neue Beiträge von dir nicht in meinem Reader auftauchen?

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    1. Mir gefiel der Satz auch so gut, lieber Jules, dass ich in diesem Moment sogar den alten Säufer lieb hatte. Meinen Kollegen irritierte ich – man sagt so was ja immer zu den falschen Menschen ;).

      Leider weiß ich das nicht, aber es erklärt, warum ich kaum Aufrufe bei diesem Beitrag hatte. Ich war ein wenig erstaunt und überlegte schon, wovon er sich von anderen unterscheidet.
      Hast du den heutigen im Reader?
      Liebe Grüße

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      1. Ich hab es korrigiert. Irgendwie bin ich beim veröffentlich wohl auf das Datum gekommen und habe ihn beim ersten Mal drei Tage nach hinten gesetzt.
        Technik…..

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    1. Danke, Jules.
      Es lag an mir. Ich habe ihn am 11 und nicht am 9. veröffentlicht und wahrscheinlich aus versehen das Datum nach hinten gesetzt. Wie – nun man kann sich auch blöd anstellen.
      Vielleicht stelle ich ihn einfach noch mal rein. Wer ihn schon kennt, wird es einfach ignorieren.

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  2. Wunderbar! Nun bin ich ja eine bekennende Himmelsguckerin und muss doch sagen, es ist immer wieder neu zum Staunen und schön. Nie ist ein Himmelsbild dem andreren gleich. Wenn ich das nicht mehr sehen, sagen und empfinden kann, dann lebe ich wohl nicht mehr.
    Aber gerade heute bin ich schnell nach Hause, weil die Sonne unterging und ich dabei sein wollte… 😉

    Liebe Grüße,
    Silbia

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  3. Heute sind über München Schneewolken – oder Winterwolken. Eigentlich nenne ich sie Schneewolken, weil sie meistens Schnee mit sich bringen. Wenn nicht heute, dann morgen. Wenn die Sonne scheint, ist auch die Kälte nicht schlimm. Und im Winter scheint die Nachmittagssonne quer über meinen Schreibtisch und die Blätterschatten tanzen zwischen den Lichtstrahlen. Das versöhnt mich sofort mit Allem. Danke für den Text, liebe Iljana/Mitzi 🙂

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