Realismus? Ich bitte Sie!

Heute ist ein besonderer Tag. Heute werde ich im Lotto gewinnen. Wenn nicht heute, dann am Mittwoch. Der freundliche ältere Herr am Kiosk hat mich überzeugt, dass ich gleich für beide Tage einen Schein abgeben soll. Erst wollte ich nicht, denn Glücksspiel ist eigentlich nicht so das meine. Aber der ältere Herr wusste, wie man mich zu nehmen hat. Zum Beispiel mit dem Hinweis, dass zwei Mal sechs Richtige noch schöner wären, als nur einmal. Ich werde also heute und am Mittwoch im Lotto gewinnen und nicht enttäuscht sein, wenn es nur an einem der beiden Tagen so ist.

Natürlich weiß ich, dass die Chance auf sechs Richtige bei eins zu etwa fünfzehn Millionen liegt. Aber, auch wenn sie klein ist, die Chance ist existent. Das wäre sie nicht, wenn ich gar nicht tippe. Etwas das ich an 50 Wochen im Jahr auch nicht tue. Aber ein- oder zweimal im Jahr, wache ich am Samstag auf und denke mir, dass heute ein feiner Tag wäre um im Lotto zu gewinnen. Wie eben zum Beispiel. Was kann man von einem Novembersamstag schon großes Erwarten? Ein kleiner Input von sagen wir zehn Millionen Euro würde dem Tag einen ganz neuen Reiz verleihen. Geld ist nicht das Wichtigste. Natürlich nicht. Darüber müssen wir gar nicht erst sprechen. Aber sein Sie ehrlich. Heute Abend zehn Millionen mehr auf dem Konto zu haben, ist auch nicht schlecht. Besonders schön ist es, wenn das Guthaben auf den Konten sich noch im vier- oder fünfstelligen Bereich bewegt. Bekanntlich schätz man einen Nutzen um so mehr, wenn er für eine deutliche Erhöhung desselben sorgt. Multimillionäre sollten nicht Lotto spielen. Ein kleiner Gewinn von nur zwei Millionen würde sie nicht sonderlich glücklich machen. Mich schon. Und besagte zehn Millionen, von denen ich nicht mal weiß ob sie im Jackpot sind, noch um einiges mehr.

Ich würde Ihnen erhalten bleiben. Aber ich würde nicht mehr ins Büro gehen. Viele sagen, sie würden weiter ihrem Beruf nachgehen, weil sie ihn lieben. Ich bin da pragmatisch. Ich arbeite um die Miete zu zahlen. Mit Engagement und mit Fleiß, aber sicher nicht aus Liebe. Mit dem Jackpot in der Tasche würde ich am nächsten Tag kündigen und mit etwas sinnvolles suchen. Irgendwas machen muss man ja. Aber wenn es nicht meine Miete bezahlen muss, dann würde ich sicher etwas finden, dass mir Spaß macht, weil es etwas bewirkt. Im Tierheim. Oder Flüchtlingen beim Ausfüllen der Formulare helfen oder im Altersheim die besuchen, die sonst keinen Besuch mehr bekommen. Egal was es wird, es wird sich sinnvoller anfühlen als das was ich heute mache. Dann könnte ich auch ein Buch schreiben. Oder mehrere Blogs. Ich fürchte, ich würde Ihnen schnell auf die Nerven gehen. Mir fällt ja immer etwas ein und Sie müssten es dann lesen. Hoffen wir für mich und für Sie, dass ich dann mehr mit meinen Immobilien zu tun hätte. Genau, Plural. Wenn ich heute Abend im Lotto gewinne, dann kaufe ich nämlich neben unserer gepachteten Hütte auch das Grundstück der Lichtung und die große Hütte daneben. Ohne Holzofenwärme komme ich so schlecht durch den Winter und da wären die beiden Hütten toll. Handwerker habe ich genug in der Familie und Besucher ausreichend im Freundeskreis. Diesen Traum würde ich mir unheimlich gerne erfüllen. Und meine jetzt gemietete Wohnung würde ich mir auch kaufen. Die ist nicht sehr teuer und es gibt weit bessere. Aber ich mag sie und ich möchte mir durch all das Geld nicht den Charakter verderben lassen. Deshalb muss ich auch einiges des Geldes abgeben. Irgendwann einmal habe ich eine Banklehre gemacht und kann noch heute  gut mit Geld umgehen. Nicht, dass das eine mit dem anderen im Zusammenhang steht, wie man immer wieder sieht, aber bei mir ist es so. Ich kalkuliere so großzügig, dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss und gebe den Rest ab.

Ich weiß, dass sagt sich leicht. Deshalb muss ich ja zehn Millionen gewinnen, um auch noch einen Rest zum abgeben zu haben. Seit ich zehn bin, kalkuliere ich immer mal wieder einen Lottogewinn durch. Der Erwerb der Hütte und die Anschaffung eines Hundes sind in all den Jahren gleich geblieben. Neu ist, dass ich das Geburtshaus meiner Großmutter zurück kaufen muss. Es gibt jemanden, der sehr an diesem Haus hängt und er sollte es unbedingt bekommen. Mein Vater braucht auch etwas. Nicht brauchen unbedingt, aber er sollte einmal ohne Rechnen ein Auto kaufen können. Meine Mutter ist grundzufrieden, aber es würde ihr gut tun, eine kleine Wohnung in einer italienischen Stadt als Rückzugsort zu haben. Sie wird sich mit Verona anfreunden müssen, weil ich doch egoistischer bin, als ich zugeben mag. Den Rest brauche ich nicht, der geht dann wirklich zu Organisationen die nicht so egoistisch wie ich sind.

Noch etwa sieben Stunden werde ich damit verbringen zu planen, was ich mit meinem Lottogewinn anstellen werde. Sagen Sie mir nicht, dass das dumm ist, weil ich erst mal gewinnen müsste. Eins zu fünfzehn Millionen! Ich bitte Sie, das klappt doch nie im Leben. Soviel verstehe ich von Statistik. Es ist also weit klüger sich vorher zu freuen, als sich die Freude für eine statistisch so geringe Chance aufzuheben.

43 Gedanken zu “Realismus? Ich bitte Sie!

  1. Wusstest du, dass es in den USA Selbsthilfegruppen fuer Lottogewinner gibt?….das Leben, die Freunde,so viele Dinge aendern sich, die meisten kommen langfristig nicht damit zurecht ….trotzdem viel Glueck🌌🎉😃

    Gefällt 2 Personen

    1. Ich hörte davon, dass es Hilfe auch hier gibt.
      Es kann gut sein, dass einen ein solcher Gewinn überfordert. Man hört ja oft von Gewinnern, die nach Jahren verarmt sind und die der Gewinn überhaupt nicht glücklich gemacht hat. Wenn man es so sieht, habe ich gestern doch Glück gehabt 😉

      Gefällt 2 Personen

      1. Ich denke eher, dass der Druck des Umfeldes zu gross wird, der moralische Druck abzugeben…….da hast Du wirklich nochmal sooo richtig Glück gehabt 😉

        Gefällt 1 Person

      2. Das auch. Man empfiehlt deshalb auch, es nicht jedem zu erzählen. Zum Beispiel Arbeitskollegen etc. Mir würde es schwer fallen, Geld auszugeben, wenn mein enger Umkreis weiter hart kalkulieren muss. Wer weiß, ob es mich also wirklich glücklich machen würde und ja….glück gehabt 🙂

        Like

      3. So oder so macht man sich zum Aussenseiter…. Und das gefaellt nicht jedem….noch win paar Kommentare von mir und du spielst nie wieder:*)

        Gefällt 1 Person

  2. Zweimal in meinem Leben spielte ich Lotto. Einmal nach einem erfolgsversprechenden Traum und das zweite Mal weil ich so Sehnsucht danach hatte, so wie du, einmal großzügig Geld verteilen zu können. Es hat nicht geklappt. Aber ich wünsche dir viel Glück und würde mich freuen dann noch mehr von dir lesen zu können 🙂

    Gefällt 3 Personen

    1. Es geht mir ähnlich. Der Reiz besteht nur an manchen, sehr wenigen Tagen. Solange ich mich danach nicht ärgere, ist er kleine Einsatz fast egal.
      Das Verteilen ist mit das Schönste. Ähnlich wie bei Weihnachtsgeschenken.
      Einen schönen Sonntag.

      Gefällt 2 Personen

  3. Liebe Mitzi,
    Sie haben dem Realismus eine völlig neue Form und Gestalt gegeben! Ich habe auch schon oft darüber nachgedacht, was ich mit einem Lottogewinn täte. Das sind wunderschöne Tagträume, auch bestens geeignet als Übergangsträume vom Tag zur Nacht. Ich bastele mir vor dem Einschlafen immer einen Traum. Da ist der Lottogewinn manchmal auch dabei (gewesen). Aber es lässt sich auch vorzüglich über andere Wünsche träumen und ganz selten gelingt es mir, diesen Traum dann im Schlaf weiterzuträumen.
    Als ich aber eines Tages mich mit meiner Liebsten darüber unterhalten habe, was ein Lottogewinn für uns bedeuten würde, hatten wir so unterschiedliche Ansichten, wie das Lottogeld zu verwenden ist, dass ich mir ab diesem Tag gewünscht habe, nicht im Lotto zu gewinnen. Mir war klar, dass ein Lottogewinn uns entzweien würde und da meine Liebste nicht mit Millionen „aufzuwiegen“ ist, DARF ein Lottogewinn bei mir nicht geschehen!
    Um die Chancen zu erhöhen, NICHT im Lotto zu gewinnen, haben wir sofort die Abgabe von Lottoscheinen eingestellt.
    Das hat ganz gut geklappt und wir müssen nun noch nicht einmal nach den Lottoziehungen Zahlen vergleichen und können unsere uns zustehende Portion Hoffnung für andere Dinge verwenden.

    Es gibt irgendeine andere Lotterie, bei der man eine monatliche „Rente“ auf Lebenszeit bekommt.
    Ok, die nehmen wir! 😉

    Gruß Heinrich

    Gefällt 3 Personen

    1. Lieber Heinrich,
      was für eine schöne kleine Erzählung. Und wie gut, dass Sie und Ihre Liebste über die Verwendung des möglichen Gewinns gesprochen haben. Nicht auszudenken, dass doofes Geld das Wertvollste was man besitzt zerstört. Nun können Sie sich jede Woche aufs neue freuen, die Gefahr gebannt zu haben und sich anderen Tagträumen zuwenden.
      Die monatliche Rente kommt in meinen Träumen auch manchmal vor. Sie hat ihren besonderen Reiz, da man die Anlage nicht versauen kann und womöglich ein wenig mehr geerdet bleibt.
      Manchen wir es so – Sie und Ihre Liebste die Rente und ich am Mittwoch den Jackpot ;).
      Liebe Grüße
      Mitzi

      Gefällt 3 Personen

Hinterlasse einen Kommentar