Halloween? Doch nicht heute! 

Halloween kommt mir immer etwas ungelegen. Es liegt einfach blöd. Gerade heute, passt es mir gar nicht. Früher war das egal, da gab es Halloween bei uns noch gar nicht. Da ist am 31.10. eh nicht ausgegangen, weil der darauffolgende Feiertag ein „stiller Feiertag“ ist und man nun wirklich keine zehn Mark Eintritt bezahlt hat, nur damit man miterleben konnte, dass die Musik um Mitternacht abgestellt wurde. Es kam mir also schon immer gelegen, dass der 31.10. bei uns zum Geburtstag meines Vaters erklärt wurde. Meine Großmutter hat Weitsicht bewiesen und ihren Sohn so zur Welt gebracht, dass er ein Leben lang am Tag nach seinem Geburtstag nicht in die Schule und nicht zur Arbeit musste. Noch besser wäre Ende April gewesen, dann hätte man den darauffolgenden Tag ausschlafen können und hätte sich nicht an den Gräbern die Beine in den Bauch stehen müssen. Vermutlich haben ihr die wenigen Hafturlaube meines Großvaters einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mein Vater wurde Ende Oktober geboren und daran ändert auch Halloween nichts.

Sie kennen meinen Papa nicht und ich vermute, dass er auch keinen großen Wert darauf legt, dass ich Sie vorstelle. Hier vorstelle. Im echten Leben wäre er neugierig. Er kennt sie alle. Die Menschen die mich begleiten. Er muss sich meine Erzählungen anhören und ich hoffe, es macht ihm Freude, dass er so dicht an mir und meinem Leben dran ist. Das war er schon immer. Gemerkt habe ich es aber erst als Erwachsene. Als Kind hat er sich dezent im Hintergrund gehalten und typisch für die 80iger meiner Mutter das Wesentliche überlassen. Das ist ok. Zwei interessierte Elternteile hätte ich in den Teenager Tagen auch nur schwer ertragen. Es war anstrengend genug, dass er dank seiner Lehrlinge und eigener Erfahrungen ziemlich genau wusste, was ich so trieb. Als ich aus Amsterdam zurück kam, tat er mir den Gefallen, nicht nachzufragen, was ich dort erlebt habe. Meine Mama zeigte wesentlich mehr Interesse und ich war heilfroh zwei Museen besucht zu haben über die ich berichten konnte. Rembrandts Nachtwache hielt mich vom Schwindeln ab. Er wusste auch genau was in den Clubs, die ich besuchte, los war. Seine Lehrlinge und die jungen Kollegen hielten ihn auf dem Laufenden und mehr als einmal legte er Veto ein, wenn ich leichtsinnig erzählte wohin ich gehen wollte. Seltsamer Weise habe ich ihm geglaubt und meine Freunde überredet, dass manche Orte das falsche Publikum anzogen. Viel überzeugen musste ich sie nicht. Sie kannten meinen Vater, weil er dabei war, wenn wir meine Geburtstage auf unserer Hütte feierten. Meine Mama hat sich das nur einmal angetan und ich kann sie gut verstehen. Papa schlief mehrmals in der Speisekammer und platzierte sich bei den Trinkspielen so, dass er und nicht ich trinken musste. Ich habe ihm hoch angerechnet, dass er den Kater am nächsten Morgen für mich übernommen hat. Darauf angesprochen schüttelt er den Kopf. Das sei Zufall gewesen. Ich glaube ihm nicht. Genauso wenig glaube ich, dass immer dann wenn ich ausging, im Fernsehen etwas so spannendes lief, dass er grundsätzlich wach war, wenn ich heim kam.

Viele halten ihre Väter für die Besten. Aber meiner ist es. Manchmal wird er stumm. Als ich nach Italien auswanderte, hat er Wochenlang gar nichts mehr gesagt. Aber er steckte mir das Geld zu, ohne dass ich die ersten vier Wochen nicht überlebt hätte und er besuchte mich an meinem Geburstag im Jahrhundertsommer in der Gluthitze Veronas. Es muss anstrengend gewesen sein, aber ich musste ihm meine Freunde vorstellen und jeden einzelnen Platz zeigen, der mit etwas bedeutete. Obwohl mein Vater heute mehr als früher redet, spricht er über manches aus Prinzip nicht. Er hat mir noch nie gesagt, was ich ihm bedeute. Ich hab dich lieb, hörte ich von ihm noch nie und werde es in diesem Leben vielleicht auch nicht mehr hören. Es wäre, als würde er mir mitteilen, dass Wasser nass ist. Liebe ist ja auch viel mehr als ein Wort. Es ist der Wein, der mir schmeckt und von dem er immer zufällig ein paar Flaschen zu viel eingekauft hat. Es ist das vollgetankte Auto, dass ich benutzen darf und die Tatsache, dass er immer noch mal raus muss und mich dann auch gleich nach Hause fahren kann. Es ist das unbeholfene, ruppige Tätscheln meiner Schulter, wenn eine Welt zusammen bricht und die unzähligen Male in denen er meine Wohnungen gestrichen hat. Und er ist da. Immer.

Wissen Sie wie schwer es ist jemanden bedingungslos zu lieben? Bei meinem Vater ist es so leicht. Das ist seltsam, den er ist überhaupt nicht perfekt. Aber er ist der perfekte Vater für mich. Wie er das hinbekommt, weiß ich nicht.  Es ist mir auch egal. Ich bin glücklich, wenn ich bei ihm bin. Und deswegen ist heute auch nicht Halloween, sondern Papas Geburtstag. Leichtsinniger Weise hat er mir nie untersagt hier über ihn zu schreiben. Es wäre ihm arg unangenehm. Und jetzt hat er auch noch ein Smartphone und lernt es zu bedienen. Ach herrje…

 

44 Gedanken zu “Halloween? Doch nicht heute! 

  1. wie schön. es gibt nichts tolleres als eine wunderbare beziehung zur familie. ich musste viel über mich lernen, um die beziehung zu meinem vater etwas besser zu verstehen und sie auch anzuerkennen. es ist oft schwer, wenn einen jemand gelegentlich besser kennt als man selbst, das nagt vor allem in teenagerzeiten schwer am nervengerüst. aber das wichtigste ist, dass sie da sind, wenn die apokalypse ausbricht. was für ein wunderschöner tochterliebesbrief, den du ihm hier geschrieben hast. ich wünsche mir fast, dass er ihn zu lesen bekommt.

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    1. Das hast du schön geschrieben.
      Auch ich hab eine Weile gebraucht um die „Baustellen“ in der Familie halbwegs verstehen zu können. Als Erwachsener versteht man die Dinge manchmal leichter.
      Liebe Grüße

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      1. ja das stimmt. man braucht oft distanz, man muss sich zeit nehmen, man muss sich selbst besser kennenlernen und sich auch bewusst werden, dass eltern neben ihrer elternrolle auch menschen sind, mit fehlern und ängsten. das hilft oft, dinge zu verstehen und anzunehmen.

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  2. Mein Herz … Volltreffer, mal wieder.
    Oh, wie ich dich um einen solchen Vater beneide. Meiner war immer abwesend. Vielleicht war es da auch nötig, es (vor kurzem erst) einmalig zu hören zu bekommen: „Ich hab dich lieb“ …

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  3. „Ich hab dich lieb!“, geht heutzutage manchen leicht von den Lippen. Die vielen schönen Gesten, von denen du schreibst, sind Ausdruck einer wie selbstverständlichen Vaterliebe, die wenig Aufhebens machen muss, weil sie einer Tochter zukommt, die alles feinfühlig bemerkt und zu schätzen weiß.
    Diese wunderbare Liebeserklärung an deinen Vater ist ein prima Geburtstagsgeschenk, wenn er sie liest, liebe Mitzi. Nebenbei, die Heiden hier im Norden kennen keinen Feiertag an Allerheiligen. Drum war mit Bayern Zeit und Ort gut gewählt für „ein Leben lang am Tag nach seinem Geburtstag nicht in die Schule und nicht zur Arbeit“ Herzlichen Glückwunsch!

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    1. Ich vergesse immer, dass Allerheiligen kein bundesweiter Feiertag ist. Ein Punkt mehr, der für München spricht ;). Großmutter zog in das richtige Bundesland.

      Wenig Aufhebens machen um eine Selbstverständlichkeit, die keine ist. Das passt auf meinen Vater sehr gut.

      Grüße aus dem Feiertagsbundesland, lieber Jules

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  4. Herzlichen Glueckwunsch zu einem so wunderbaren Vater! Deine Liebeserklärung ist wohl das schönste Geburtstagsgeschenk, das ein Vater von seiner Tochter erhalten kann! Eure Kommunikation zeight, dass es die Kleinigkeiten sind, die den Unterschied machen, nicht die grossen Gesten! Happy Birthday, Mitzi Papa@-}–

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  5. Welch herrlichen Prachtkerl hat die Oma da also in die Welt gewuchtet und groß gezogen. Und wie schön, dass er gerade das Smartphone zu bedienen lernt.Er wird dann hoffentlich in einer ruhigen, ungestörten Minute, diesen herzallerliebsten Geburtstagsbrief finden und sich vermutlich klammheimlich ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischen, das dann selbstverständlich nur vom angestrengten Lesen kommt 🙂

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    1. Sollte das der Fall sein, dann nur vom Lesen.
      Ein herrlicher Satz – einen Prachtkerl in die Welt gewuchtet…:) Wenn ich mir die Wonneproppen Bilder von früher ansehe, dann trifft es das recht gut.

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  6. Aber klar kennen wir Deinen Vater schon – Du hast ja mal erzählt, daß man wunderbar in einer stillen Ecke mit ihm ein Bier trinken und quatschen kann, wenn man nicht so wie Du im Weihnachtstrubel alles mitmachen will, was die quirlige Verwandschaft so hergibt (wenn ich mich recht erinnere), als Du uns alle eingeladen hast, zu kommen, wenn wir uns einsam fühlen.;-)

    Mir sind verbale Liebesbezeugungen zwischen Eltern und Kindern schon immer suspekt. In amerikanischen Spielfilmen sagen Eltern andauernd „Ich liebe dich“, in dem gleichen Ton, wie sie sagen „Ich liebe Himbeereis“, und die Kinder fühlen sich genötigt zu antworten „Ich dich auch“. Man sollte doch sehr sparsam damit umgehen, sonst wird es zu einer bloßen Floskel. Fast bin ich davon überzeugt … nein, gar nicht fast, ich bin mir sicher, zwischen Eltern und Kindern haben diese Worte überhaupt nichts zu suchen – besser, die Zuneigung und Verbundenheit zeigt sich so, wie Du sie beschreibst.

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    1. Richtig, ich habe schon öfter von ihm erzählt. Und die Einladung habe ich sogar ernst gemeint ;). Als ruhiger Punkt im familiären Chaos ist er große Klasse.
      Mir ist das amerikanische „i love it“ immer schon etwas suspekt. Nichts ist einfach nur gut, alles ist super gut und fantastisch. Ist mir immer etwas zu viel. Interessant der Gedanke, dass Eltern mit ihren Liebesbekundungen eine Antwort erzwingen oder erwarten.
      Obwohl ich ein „ich hab dich lieb“ als sehr schönen Satz empfinde und glaube, dass er sehr gut tut, darf keine Erwartung dahinter stehen. Am wichtigsten ist wohl, dass man weiß geliebt zu werden. Wie sich das äußerst, ist dann zweitrangig. Ich selbst komme mit der wortlosen Variante am besten zurecht.

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  7. Was sagt mehr als Taten ? Mir ist es auch lieber wenn jemand einfach da ist ohne viel Aufhebens darum zu machen. Eine wundervolle Hommage an deinen Papa, er wird sich bestimmt geehrt und erfreut fühlen, denn du hast ihn als einen wundervollen Menschen beschrieben. Gratulation für den Papa und dir für deine lieben Worte.

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  8. Ich geb den Text meinen Töchtern, sie sollen ihn zweimal abschreiben, weil sie noch nicht auf die Idee gekommen sind, mir so etwas Schönes zu schenken. Oder vielleicht liegt es nicht an ihnen, sondern.. .ach was, kann überhaupt nicht sein.

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  9. Sehr, sehr berührend. Interessanter Mann Dein Vater. Hast DU es den Deinem Vater schon mitgeteilt, ich meine, das was Du uns hier schrubst? Dein Einwurf: „Ich hab dich lieb, hörte ich von ihm noch nie und werde es in diesem Leben vielleicht auch nicht mehr hören. Es wäre, als würde er mir mitteilen, dass Wasser nass ist.“ finde ich sehr gut und nachdenkenswert. Irgendwann sagt er’s Dir, vielleicht.. Mein Vater und meine Mutter leben leider nicht mehr. Dein Vergleich lässt mich die Denkrichtung wechseln in Bezug auf meine Eltern, die mit großen Emotionen sehr sparsam umgingen, wenn überhaupt. Danke. VG Willi

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    1. Ich muss es nicht mehr hören. Es wäre vermutlich tatsächlich überflüssig.
      Schwerer ist es sicherlich, wenn man die Eltern nicht mehr hat und sich darauf verlassen muss, dass es so gewesen ist. An große Emotionen erinnert man sich leichter. Aber auch ohne, es ändert sicher nichts an dem Empfinden, das sie hatten :-*

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  10. Wer braucht schon Halloween.Wer braucht schon die meist nicht ernst gemeinten Worte:Ich liebe Dich. Du kannst Dich gluecklich schaetzen, so einen Vater zu haben.Ausserdem hoere Ihm zu, er sagt es Dir doch fast taeglich:
    ICH HABE ZUFAELLIG DEINEN Lieblingswein da!
    NIMM DAS Geld für Deine Reise!.Fahr mit auf die Huette!
    Das ist Realität und nicht so unueberlegt wie ein „ich liebe dich“
    Du musst ein gluecklicher Mensch sein, denn Du wirst geliebt.

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  11. Liebe Mitzi,
    Deine so wunderschöne und im Wortsinne liebevolle Beschreibung Deines Vaters hat mich beim Lesen wirklich gerührt. Vielleicht, weil ich ja auch ein Papa bin, der solche Sachen macht, um nur jedes Unheil von meinen (mittlwerweile längst sehr erwachsenen) Kindern fernzuhalten. Es ist Liebe. Und manchmal sag ich es es ihnen auch. Nicht häufig. Manchmal. Beim In-den Arm-nehmen. Leise.
    Und das ist schön.
    Schöne Worte hast Du da hingeschrieben.
    Lieben Gruß!

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