Lernen Sie zu erzählen, oder schweigen Sie! U-Bahn Gedanken

Jeden morgen steigt sie mit mir in den Bus. Die Frau, die gerne telefoniert, wenn andere zuhören. Die letzte Reihe ist ihre Bühne. Dort ist sie die Königin. Eine etwas zerrupfte Monarchin, die ihrem Volk gerne im vorbei gehen den Schal oder die langen Haare ins Gesicht schleudert. Sie schleudert gerne. Erst die Haare, dann die Worte. Letztere brüllt sie in ihr Telefon und verdammt das Volk ihr zuzuhören. Man kommt ihr nicht aus. Jeden morgen ist sie es, die den ganzen Bus unterhält und einem gesichtslosen Zuhörer von ihren Amouresken  berichtet. Leider gleichen ihre Erzählungen, ihrem Äußern. Eigentlich ganz hübsch, aber man darf nicht zu genau hinsehen oder -hören. Die dunkelbraunen Strähnen wirken unter dem Neonlicht des Busses etwas stumpf und ein paar Bürstenstriche mehr hätten ihnen gut getan. Auch ihr Schal, der einmal weich und flauschig war, sieht aus als würde er jeden Abend achtlos auf einem nicht ganz sauberen Boden landen. Ihre Geschichten wirken ganz ähnlich auf mich. Sie wären hübsch anzuhören, wenn sie nur ein wenig gepflegter erzählt werden würden. Vielleicht würde es schon reichen, wenn sie jemanden erzählt werden würden, der sie hören möchte.

Es wird viel telefoniert in Bus und Bahn. Ich mag es eigentlich ganz gerne. Ein Dialog bei dem ein Gesprächspartner verborgen bleibt, lässt viel Raum für Spekulationen und Gedanken. Manchmal ist es sogar schöner, wenn man nur eine Stimme hört und sich die andere vorstellen kann. Eine junge Frau, die ich schon oft sah, erzählte ihrer Mutter über viele Wochen jeden Abend von ihrem Tag. Sie hat sehr schön erzählt. Der leisen, ruhigen Stimme konnte ich lange zuhören ohne mich gelangweilt oder gestört zu fühlen. Die Königin in der letzten Reihe stört mich. Ihre Stimme ist zu laut und sie benutzt gerne Worte, die ich versuche zu vermeiden. Ich möchte nicht wissen mit wem sie geschlafen hat. Das möchte ich überhaupt nur bei ganz wenigen wissen. Bei Menschen mit dreckigen Fingernägeln, ausnahmslos nie. Ihre Stimme übertönt die Zeilen in meinem Buch und ich beobachte meine Leidensgenossen. Man kennt sich. Aber nur von ihr wissen wir, um die Vorlieben bei der Männerwahl. Ein wenig wahllos scheint sie zu sein. Die Namen, die sie nennt, wechseln und ihre Dramen langweilen, weil sie so vorhersehbar sind. Amouresken müssen selbst erlebt oder mit großer Kunst erzählt werden, um nicht zu langweilen.

Auch sollten Streitgespräche zwischen Liebenden am Telefon beendet werden, bevor man in den Bus oder in die Bahn einsteigt. Es ist doch immer etwas bedrückend wenn zwei sich anbrüllen und man unfreiwillig in die Streitarena gestoßen wird. Auch Mausi-Herzi-Liebchen Gesäusel wirkt unangenehm lächerlich, wenn Mausi nur durch ein ans Ohr gepresste Telefon vertreten ist. Man will das Private genauso wenig hören, wie man bei Fremden auf der Bettkannte sitzen möchte. Wenn ich mir all diese Erzählungen aber täglich anhören muss, dann möchte ich sie doch bitte auf etwas höherem Niveau berichtet bekommen. Wird sich gestritten, dann sollte man für die Zuhörer der umliegenden Sitzplätze eine kurze Zusammenfassung geben, bevor gegiftet und gekeift wird. Man könnte sich kurz hinstellen, erklären was am Vorabend vorgefallen war und dann erst damit beginnen den Mann am anderen Ende der Leitung zur Minna zu machen. Womöglich gäbe es dann Szenenapplaus. Ich würde mich auch bereit erklären Stellung zu beziehen, wenn man mir vor dem Telefonat erklären würde, warum die Partnerin eine dumme Schnalle ist.

Einem Großteil der telefonierenden Erzähler möchte ich das Telefon aus der Hand nehmen und ein Buch zum Üben hinein legen. Unsere Königin bekäme „Von Paul zu Pedro“ von Franziska Gräfin zu Reventlow zu lesen. Wie herrlich dort von Liebschaften und Männern berichtet wird. Auch hier kommt der angesprochene nicht zu Wort, weil die Autorin Briefe schreibt. Zynisch aber fein beobachtet  und intensiv erlebt wird von Liebschaften erzählt. Wie gerne würde ich morgens in der U-Bahn von einer Amoureske hören, deren Protagonist als eleganten Begleitdogge tituliert wird. Ich würde mich sehr amüsieren. So aber höre ich von der Monarchin nur vom arroganten Arsch, der den Klodeckel nicht nach unten klappt. Also bitte, damit unterhält man doch nicht.

Wer in Bus und Bahn laut telefoniert, hat gefälligst etwas interessantes zu erzählen oder zu schweigen. Lernen Sie zu erzählen oder halten Sie die Klappe, möchte ich ihnen mit auf den Weg geben. Für meine Königin habe ich 4,99 Euro investiert und werde ihr am Montag das dünne Büchlein der von Reventlow in die Hand drücken. Mit eben der Widmung: „Lernen Sie zu erzählen oder halten Sie die Klappe.“ Und dann würde ich sie fragen, was sie eigentlich an Uwe findet. Peter hat für mich viel sympathischer geklungen. Das mit dem Klodeckel wird man ihm um Gottes Willen doch beibringen können.

 

 

53 Gedanken zu “Lernen Sie zu erzählen, oder schweigen Sie! U-Bahn Gedanken

  1. Mitgelitten und -gegrinst. Wenn du der Königin wirklich das Buch in die Hand drückst und diesen genialen Satz sagst, würde ich mich sehr über einen Bericht freuen, wie sie es aufgenommen hat.
    Kichernde Grüße
    Christiane

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    1. Ich würde das nur allzu gerne fortsetzen, indem ich das Buch mit Widmung überreiche. ;).
      Allerdings fürchte ich, dass ich der Dame damit gehörig gegen das Schienbein treten oder sie damit verletzen würde. Es könnte gut sein, dass ich es ihr einfach wortlos und freundlich lächelnd zustecke.
      Oder….ganz feige einfach liegen lassen.

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  2. Toll, was du immer zu erzählen weißt, liebe Mitzi, und so fein, dass man gerne liest und staunt. Vielmehr habe ich mich amüsiert über deinen Vorschlag, die Telofonierer möchten immer eine Zusammenfassung der Ereignisse vorweg geben, bevor sie öffentlich telefonieren.

    Amüsierte Grüße,
    Jules

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  3. Bitte, vielleicht teilen Sie uns Zeit, Ort und Buslinie mit. Stellen Sie sich nur vor, wir – also Ihre – Leser füllen den Bus, schauen Ihnen fasziniert bei der Buchübergabe zu und zollen sodann einen donnernden Applaus. Wäre das nicht wunderschön?
    Und hätte die zerrupfte Monarchin nicht einen unvergesslichen Moment?
    Und wir ebenso?
    Ein echter win-win-Vorschlag also 🙂

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    1. Oh ja, die Monarchin hätte sicherlich einen unvergessenen Moment. 😂 ein herrlicher Gedanke.
      Die Umsetzung bleibt mit Rücksicht auf unser Karma Punkte Konto besser auch in Gedanken. 😉
      Lachende Grüsse

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  4. Zumindest Sie wertes Fräulein…müssen nicht lernen zu Schreiben, denn das haben sie gerade auf die aller feinste Art bewiesen, jetzt würde ich gerne ein Telefonat mit ihnen führen, um auch den Rest heraus zu finden 😉 DANKE, ich bin entzückt von diesem Beitrag ❤

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  5. Mit Vergnügen gelesen. Wie schade, dass du nicht laut telefonierst. Da würde ich glatt mal vorbeischauen und mitkommen in dem Bus ….. Dem „lernen Sie zu erzählen oder schweigen Sie“ ist nichts hinzuzufügen, es ist genial, nur leider höchstwahrscheinlich erfolglos ….

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  6. Ihre U Bahn Hörerlebnisse & wie sie daraus eine formidable Geschichte formen ist reine Lesefreude. Schließe mich den Kommentaren an & bitte um Fortsetzung.
    Mir erscheint sogar die Vorstellung am anderen Ende des vermeintlichen Fon-Gespräches befindet sich gar niemand & alles ist eine Aufmerksamkeitsdefizitaufführung.
    Ein Worttheater in Tages Etappen & uns zur Freude.

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    1. Lieben Dank, ich werde weiter lauschen und hoffentlich einen Weg finden, das Büchlein zu überreichen.
      Ein amüsanter Gedanke, dass Selbstgespräche geführt werden. Bei manchen Monologen möchte man es glauben.

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  7. Danke für die Gedanken. Ich hatte erst vor wenigen Tagen eine sehr laut telefonierende Frau im Zug. Das halbe Abteil hat gekichert, weil sie vom Innenleben ihres Kühlschranks sehr ausführlich berichtete. Als man sie auf die Belustigung der Mitfahrenden aufmerksam machte, war sie ganz verstört ^^.

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  8. Eine Geschichte aus dem Leben bei der man mitleidet und „Ruhe“ brüllen möchte. Bei einer Busfahrt wurde ich auch notgedrungen Mithörin eines Dramas. Ein Mann brüllte eine amtliche Stelle an wieso sie seine Adresse seinen Eltern gegeben hätten, nun müsse er wieder leiden, nachdem er 20 Jahre lang seine Ruhe hatte. Ich rätsel heute noch was der Grund für dieses Zerwürfnis sein könnte……

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      1. Der Mann sah nicht so aus, als würde er mir das erzählen, er war so aufgebracht, dass es ihm egal war, dass der ganze Bus mithörte und beschimpfte die Dame, der Namen er auch laut nannte, wirklich sehr aggressiv. Das ließ einen erstarren!

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  9. wieder einmal liebe am montag morgen für dich 🙂 ich kann es sooo gut nachvollziehen, es geht mir so sehr wie dir. lernen sie erzählen oder halten sie die klappe ist wohl das beste credo für alle, die öffentliche verkehrsmittel benutzen! derlei dinge und beobachtungen waren übrigens einst der grund, wieso der episodenfilm überhaupt gegründet wurde. nur dann kam die fotografie dazwischen 🙂 aber heute noch liebe ich es allerdings, spannenden gesprächen fremder leute zu lauschen.

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  10. und deshalb liebe ich diesen kleinen, grünen Messanger 🙂
    Telephonieren bleibt somit erspart. Besonders nervig finde ich diese Anzugesel, die in einem ICE Ruhewagon lauthals in ihr Smartphone so Sätzen schreien wie „Frau Schreiber, natürlich muss das heute noch in die Buchhaltung“

    Dass will keiner Wissen, ich denke selbst Frau Schreiber nicht.

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    1. Der ist mir in der Bahn auch wesentlich lieber.
      Und ja, geschäftliches mag nötig sein, aber das interessiert die anderen überhaupt nicht. Da wäre eine gedämpfte Stimme angebracht.
      Anzugesel gefällt mir.

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