Schafskälte

Mit drei Würfen hat er alle Dosen abgeräumt, der Klügste meiner Freunde und der, der mir von allen vielleicht am Wichtigsten ist. Er kennt mich noch ein kleines Stück besser, als die anderen und wusste, dass ich es ernst meinte, als ich ihn bat mir das größte der Stofftiere am Stand zu werfen. Manche Wünsche sind albern, aber sie brennen so heiß, dass sie erfüllt werden müssen. Auch wenn die Wünschende viel zu alt für ein 1,20 m großes Stofftier ist.  Zwei Mal in Folge müssen die Dosen mit drei Bällen abgeräumt werden. Der Klügste lacht und schüttelt den Kopf. Das würde nichts werden, murmelte er. Das muss, flüsterte ich. Unbedingt – ich brauche heute dieses Schaf. Mir ist zu kalt, als das ich ohne Schaf durch den Tag kommen würde.

Er schafft es, höre ich dich leise flüstern und erschrecke, weil ich dich so lange nicht gehört habe. Zwei Wochen lang war ich alleine auf der Wiesn und freue mich jetzt, dass du am letzten Wochenende doch noch auftauchst. Obwohl du nicht hinter mir stehst, spüre ich dich deutlich in meinem Rücken und lehne mich leicht an dich. Es ist ja viel schöner wenn einer hinter einem steht. Viel wärmer. Gerade hier, in diesem Gedränge, kann es einem so leicht kalt werden. Sicher, frage ich und kann mir nicht vorstellen, dass es zwei Mal hinter einander klappt. Sicher, höre ich dich murmeln und halte Sekunden später das Ungetüm in meinen Armen. Die Kleine, vom Klügsten meiner Freunde schleppt es und ich wundere mich, dass sie es mir ohne Diskussionen überlässt. img_2315Ich sehe dich neben ihr laufen und frage mich, ob ein kleines Mädchen dich möglicherweise auch noch spüren kann. Vielleicht kann sie es. Vielleicht auch nicht. Es ist egal. Wichtig ist nur, dass sie und ihre Schwester sich noch genauso über das Schaf freuen können wie ich. Wir sitzen Mittags mitten auf der Wiesen und sind zu dritt unendlich glücklich über „Schafi“. Endspurt, höre ich dich leise sagen, obwohl du weit weg zwischen Fremden an einem anderen Tisch sitzt und mich aus der Ferne ansiehst. Entfernungen spielen keine Rolle, solange du heute bis zum Schluss bleibst. Am letzten Wochenende muss ich dich dabei haben, sonst ist mir kalt und es wäre schade um den schönen Abend.

In der Geisterbahn sitzt du hinter mir und der Kleinen und im Irrgarten sehe ich dich duzendfach in den Zerrspiegeln lachen. Albernes Zeug, für das man ein Kind als Alibi benötigt um es genießen zu können. Du bleibst, als sie nach Hause gehen und ich mit dem Besuch aus Ostfriesland über das Festgelände zum nächsten Treffpunkt laufe. Du sitzt beim Schaf und schüttelst spöttisch schmunzelnd den Kopf, als ich mich darüber beklage, dass es mir die Luft zum Atmen nimmt, weil es doch sehr groß ist und ich acht Freunde mit der Aufsicht betraue, wenn ich mich für eine Dreiviertel Stunde in die Toilettenschlange einreihe. Das Gedränge macht mir nichts. Du stehst ja hinter mir und ich rieche dich so deutlich, dass mir andere Gerüche erspart bleiben. An der Hand habe ich eine Freundin, aber dich im Rücken. So muss es sein. Einer sollte immer hinter einem stehen. Heute bleiben wir bis zum Schluss, sagst du lange bevor wir es beschließen und ich weiß, dass auch du einen Abend immer im Biergarten des „Käfer“ beendet hast. Das machen wir schon immer so und auch ein Kindgroßes Schaf hält mich nicht davon ab.img_2385 Für den nächsten Tag prophezeist du mir Muskelkater und ich stöhne unter der Schaflast und dem Maßkrug in der freien Hand, während du an der Bande lehnst und den Blick für Sekundenbruchteile in die vorbei eilenden Ausschnitte fallen lässt. Man bietet mir an, das Schaf zu halten, aber ich gebe es genauso wenig aus den Händen, wie ich dich loslassen würde. Meine Schultern tun schon weh und als ich es denke, spüre ich dich wieder hinter mir. Angelehnt geht es besser und ich muss aufpassen, dass ich dich nicht mit dem alten Mann direkt neben dir verwechsle. Ein letzter Schluck Bier, das ich eigentlich nicht mag und das du dieses Jahr nicht für mich trinken kannst. Seit einigen Jahren muss ich es für dich trinken. Mit Schaf eine besondere Herausforderung. Eine, die ich gut meistere höre ich dich sagen und schiebe mich mit letzter Energie nach draußen. Raus zum Kettenkarussell und raus zu den gebrannten Mandeln, die ich auch nicht mag aber trotzdem esse. Hand in Hand laufen wir über die Festwiese und mein Besuch kann kaum noch Schritt halten. Er muss sich beeilen, weil ich an deiner Hand viel schneller bin. Wir müssen in Bewegung bleiben, sonst fällt mir ein, dass du ja gar nicht da bist und ich alleine laufe und lache. Noch ein paar Meter, dann sind wir draußen. Ohne die Menschenmassen wird es gleich kälter. Und ohne deine Hand beginne ich zu frieren. Du bist wohl noch geblieben. Ich sehe dich nicht mehr und stehe alleine zwischen den letzten Resten an Wiesenbesuchern. Mein Wiesnbesuch läuft mit mir nach Hause und versteht nicht ganz, warum wir so schnell laufen müssen. Weil es jetzt kalt wird, erkläre ich ihm und er versteht mich nicht.

Auf dem Sofa sitzt mein Schaf und neben ihm ist es wärmer. Als ich es sah, wusste ich, dass es wichtig ist. Es hält warm. Und es riecht ganz leicht nach Mandeln, Rauch und Bier. So wie du, nach einem Wiesntag. Oder so wie der Klügste meiner Freunde, der wusste, dass ich es brauchen würde.

 

23 Gedanken zu “Schafskälte

  1. Liebe Mitzi,
    mir ist bewusst, selbst dass die gesamte Welt Sie liebt, ist kein „Ersatz“ für den Verlust eines geliebten Menschen.
    Aber wenn jeder Mensch, dessen Herz Sie erobert haben, Ihnen nur ein Atom oder ein Molekül Wärme abgibt, müssen Sie wenigstens die nächsten tausend Jahre nicht mehr frieren!
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, jetzt wird mir ganz warm ums Herz. Einen Ersatz für einen Menschen gibt es nicht, aber all die Wärme und Freundlichkeit die mir andernorts entgegen strömt, macht mich glücklich. Und dieses Glück wird tiefer empfunden, weil es nicht selbstverständlich ist.
      Es grüßt Sie
      Mitzi mit Schaf auf dem Sofa sitzend und kein bisschen frierend.

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  2. Man kann sich eigentlich kaum vorstellen, dass im oberflächlichen Blitzeling eines Rummels eine so tiefe Geschichte sich abspielt, wie du sie hier vorstellst, liebe Mitzi. Es gibt für Außenstehende ein hauchzartes Gruselelement darin und natürlich gibt es auch Anklänge an die zu Tränen rührende Liebesgeschichte und den tragischen Verlust des Liebsten. Wie Tröstlich kann dann so ein Schaf sein, das irgendwie in eine andere Welt hinüberragt, aber nicht, weil es so groß ist, sondern weil es auf schier magische Weise zu dir gefunden hat.

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    1. Lieber Jules, du kennst mich schon ein wenig und ahnst, dass es auch kleiner hätte sein können, solange es im richtigen Moment zu mir findet.
      Unter uns…was mache ich nun mit ihm? Es hat den Weg zu mir gefunden und ich muss nun einen Weg finden, die Wohnung mit einem Schaf zu teilen. Wie die anderen 10.000 Dinge die mich umgeben, wird es noch viel wandern, bis es seinen Platz findet.
      Liebe Grüße

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  3. Sich so anlehnen dürfen und die Wärme zu spüren, das ist ein guter Halt in den wiederkehrenden Erinnerungshochburgen. Und dann kommt doch wieder der Moment des Loslassens. Davonlaufen und doch geradewegs in die Wärme alter Vertrautheit. Würde mir schwer fallen mit anderen Menschen um mich… aber ich weiß es ja nicht…lese es ja nur sehr berührt.

    Liebe Grüße,
    Silbia

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