Alles im grünen Bereich

Ob ich ihm einen Besuch abstatten wolle, erkundigte sich Dr. X bei mir. Eine Frage, die durchaus ihre Berechtigung hatte, da ich vor seiner Haustür stand und es außer einem Besuch wenig Gründe gab, das zu tun. Da es aber nie auszuschließen ist, dass jemand einen sehr guten Grund hat in einem fremden Viertel, vor einer fremden Haustür zu stehen, schüttelte ich den Kopf und antwortete mit einem klaren Nein. Ein so klares Nein muss mit einer entsprechend klaren Körperhaltung unterstrichen werden. Kopf hoch, Brust raus, Bauch rein und Abgang. Ich bin gut in klaren Ansagen und noch besser in schnörkelosen, keine Fragen offen lassenden Abgängen. Theoretisch.

Praktisch möchte ich nicht darüber nachdenken, wie es wirkte, als ich mit gesenktem Kopf und peinlich berührt davon geschlichen bin. Es wäre lächerlich gewesen ihm zu versichern, dass ich zum Theater nun mal durch seine Straße musste und die Gelegenheit nutzte mich zum Idoten zu machen. Er weiß, dass ich mich nicht gerne lächerlich mache, den er erwähnte es kein einziges Mal als er mich am Abend darauf anrief.

Ob ich ihn wieder vor verschlossener Tür stehen lassen würde, wenn er auf einen Besuch vorbei käme, erkundigte X sich am Telefon und ich antwortete mit einem klaren Ja. Ich würde ihn so stehen lassen, wie damals als sein Haus wegen einer Fliegerbombe evakuiert wurde und er mit Flipflops und Schlafanzughose erst auf der Straße begriff, dass er diese Nacht nicht mehr in seine Wohnung konnte. Damals stand er mit einer Flasche Wein und dem charmantesten Lächeln der Stadt vor meiner Tür und bat um Asyl. Damals nahm ich ihm den Wein ab und knallte ihm die Tür vor der Nase zu, weil er mir Monate zuvor das Herz gebrochen hatte. Ich sagte ja, ich würde auch diesmal die Tür nicht öffnen, legte auf und ging duschen. Meine Haare waren gerade trocken, als es läutete. Ob er rein dürfe, fragte er und ich schüttelte den Kopf um ihn trotzdem eintreten zu lassen. Er ist ein hässliches Ekel. Die Haare nie anständig gekämmt, unangenehm breite Schultern und viel zu groß um mir in einem kleinen Raum noch Platz zu lassen. Ein immer leicht verschmitztes Lächeln und sich seiner Präsenz viel zu bewusst. Kein Mann sollte Hände haben, deren Finger lang, schmal und gepflegt sind ohne auch nur einmal mit Handcreme in Berührung gekommen zu sein. Ein Mann darf einen nicht nach Jahren mit einem Kuss auf die Stirn begrüßen. Das ist unangebracht und unverschämt. Und verdammt perfekt. So perfekt wie er. Perfekt für mich.

Ich sei erkältet, erklärte ich ihm und er schmunzelte. Wie gut, dass er Arzt sei, meinte er und ergänzte, dass seine Klinikviren, die er sicher mit sich rumschleppte, mit meiner Erkältung locker mithalten könnten. So beginnt man kein Gespräch. Nach Jahren der Stille hat man über das Wetter zu sprechen. Nach Jahren rennt man nicht einfach in eine fremde Küche und sucht nach Weingläsern. Man schnappt sich nicht einen herumliegenden Apfel und beißt ihn einfach an. Als Frau kann, mehr noch, man muss sich dann diesem Tempo anpassen. In meinem Fall schraubt man sich auf Augenhöhe indem man sich auf die Arbeitsfläche in der Küche setzt, den Apfel zurück erobert und mit vollem Mund nuschelt, dass man sich gut vorstellen könne, künftig als Arztfrau durch das Leben zu gehen. Mein Numerus Clausus würde seit dem Abi sicher das nötige Niveau erreicht haben, meinte er und kramte nach dem Flaschenöffner. Kein Mann sollte eine Weinflasche mit nur einer Hand öffnen können. Das ist angeberisch und ein dämlicher Taschenspieler Trick. Als Ausnahme kann man nur gelten lassen, wenn sich die andere Hand im Nacken einer halb auf dem Herd sitzenden Frau befindet. Einer angehenden Arztfrau, wie ich noch einmal betonte, weil ich mich durchaus auch als Hausfrau wohlfühlen würde. Wenn ich mich um den Hund kümmern würde und künftig ihm die Anträge überlassen würde, könnte das eine Option sein murmelte er den Wein einschenkend.

Vor Jahren schrieb mit der, der sich gerade unter der Dusche die Klinkviren vom Körper schrubbt, dass er Perfektion misstraue. Er wolle mich nicht mehr sehen, damit wir es uns ersparten heraus zu finden, wer wir wirklich seien. Ich gehe ins Bad und beruhige ihn. Auf seinem T-Shirt sei ein kleiner Fleck. Er stört das sonst perfekt gleichmäßige Hellgrau des Stoffes. Alles im grünen Bereich.
Jetzt ist er da und stört mit seiner Präsenz meine Ruhe. Lehnt an meinem Fenster und grinst die olle Obst an, als wäre es die künftige Schwiegermutter. Er hat hier nichts zu suchen. Ich misstraue Perfektion und würde es uns gerne ersparen heraus zu finden, wer wir wirklich sind. Ehrlicher, würde ich es gerne mir ersparen den gleichen Fehler erneut zu machen und gegen die Wand der breiten, schönen Schultern zu rennen. Ich sage ihm, dass ich Perfektion misstraue und er schließt das Fenster. Meine Fenster seien ungeputzt und mein Obst schrumpelig. Der Nagellack am kleinen, linken Zeh abgeblättert und mein rechter Schneidezahn einen Millimeter länger als der linke. Ich sei ein Zwerg und es würde ihm Rückenschmerzen bereiten sich mit mir stehend zu unterhalten. Die Sommersprossen auf der Stirn sind ungleichmäßig verteilt und ich würde manche Sätze unbeendet in der Luft hängen lassen. Alles im grünen Bereich, sagt er, die Hand in meinem Nacken.

38 Gedanken zu “Alles im grünen Bereich

  1. Liebe Mitzi!
    Der Name Dr. X lässt Schlimmes erahnen. So erinnert das doch sehr an die gefürchteten Kriminalstücke à la „Scotland Yard jagt Dr. X“. Mysteriös und undurchschaubar. Passen Sie bloß auf, dass er die Hand um Ihren Nacken nicht zu fest zudrückt. Das wäre jammerschade 🙂
    Herzliche Grüße
    Oberkriminalkuhmmissar Mallybeau M.

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    1. So habe ich das ja noch gar nicht gesehen, liebe Mallybeau. Ob da mein Unterbewusstsein die Namenswahl beeinflusst hat? Am Ende wissen die Finger schon besser bescheid, als das Hirn. Und dann auch noch Dusche – das ist doch das Schlagwort für jeden Horrorfilm. Ich passe auf und werde das Pfefferspray in Griffweite behalten falls ich wieder einem X begegne.

      Herzlichen Dank für die sachdienlichen Hinweise!

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  2. Klingt gefährlich und kompliziert. und nach Hoffnung. Meiner Erfahrung nach sind die bislang dauerhaftesten und glücklichsten Beziehung nach die, in denen sich sehr unkompliziert und entspannt alles einfach irgendwie gefügt hat. Ohne Drama, ohne Verletzung – einfach nur Freude und Interesse nach mehr.

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