Ein zweiter Blick

Er hätte jetzt ein Katze, teilte mir ein etwa siebzig jähriger Mann vor einigen Wochen mit. Ich kannte ihn nicht und stand nur zufällig morgens an der Bushaltestelle, auf deren Bank er saß. Neben sich ein Trolli zum transportieren von Einkäufen und in den Händen ein Smartphone, lächelte er mich freundlich an und deutete auf das Display auf dem wohl ein Foto der Katze zu sehen war.

Früh morgens schlägt mir schaler Biergeruch schnell auf den Magen. Das freundliche und aufgeregte Lächeln des alten Mannes lies mich darüber hinweg sehen und ich setzte mich neben ihn. Im Juli ist die Luft um kurz vor sieben Uhr noch klar und frisch genug, um für den nötigen Ausgleich zu sorgen. Seine Katze hieß Muschi, sagte er mir und lachte verschmitzt, als er sie zugab, sie nach Edmund Stoibers Frau benannt zu haben. Die Katze meiner Großeltern hieß auch Muschi. Aber nicht wegen Stoiber sondern weil es in den Siebziger Jahren ein gängiger Katzenname war. Ich glaube er ist aus der Mode gekommen. Muschi ist eine hübsche Katze und wohnt vermutlich schon länger bei dem alten Mann, als sein Telefon auf dessen Display noch die Schutzfolie klebt. Ich sah mir seine Katze an und weil sie ihm so wichtig war, stimmte ich gerne zu und bestätigte, dass es eine ausgesprochen hübsche Katze war.

Das Foto der Katze war das, was auch eine Bemerkung über das Wetter wein kann. Die Möglichkeit mit einem fremden Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich hörte, dass Muschi Trockenfutter nicht mag und er das Vieh so sehr ins Herz geschlossen hat, dass er sie mit dem teuren Katzenfutter aus der Werbung verwöhnte. Das würde Muschi so gerne fressen und er ihr so gerne dabei zusehen. Ich erfuhr noch viel von Muschi, bevor der Bus kam. Wie ich vermutete, stieg der alte Mann nicht ein. Er blieb sitzen und wartet auf den nächsten Fahrgast um auch ihm ein Bild der Katze zu zeigen und ein bisschen zu ratschen. Ich finde, dass man solchen Haltestellengesprächen auf keinen Fall aus dem Weg gehen darf. Wer weiß ob man nicht selbst irgendwann früh morgens alleine auf einer Bank sitzt und sich einfach nur ein wenig unterhalten möchte.

Im Sommer fahre ich anstelle der U-Bahn ein Stück mit dem Bus. Mehr frische Luft und neue Gesichter. Eines davon ist Muschis Besitzer. Ich weiß nicht wie er heißt, aber ich sehe ihn seit diesem Morgen jeden Tag. Wir kennen uns jetzt und er winkt mir meistens schon zu, wenn ich komme. Muschis Besitzer und ich mögen uns, ohne uns zu kennen. Man neigt dazu, das erste freundliche Lächeln des Tages zu mögen. Im Laufe der Sommerwochen lernte ich Herrn Muschi auch aus anderen Gründen gerne zu haben. Er hatte fast immer etwas zu erzählen und konnte seine kleinen Geschichten in wenigen Minuten berichten. Es ist eine große Kunst Erzählungen so zu komprimieren, dass sie beendet sind, wenn der Bus kommt. Schaffte er es einmal nicht, dann gab es am nächsten Tag die Fortsetzung. Bis in den Herbst hinein werde ich den Bus noch der U-Bahn vorziehen und bis dahin sicher erfahren, warum Muschi bei ihm gelandet ist, wo er doch eigentlich Hunde viel lieber mag. Seit Mitte August nenne ich ihn in Gedanken Herrn Mu. Der Katzenname passt nicht zu ihm, den seine Statur gleicht viel mehr der eines Bären. Ich bin gespannt wo der Bär, namens Mu, seinen Winterschlaf halten wird. Sicher wird er bei fallenden Temperaturen nicht mehr an der Bushaltestelle sitzen. Weder er, noch sein Freund, der an vielen Tagen ebenfalls dort sitzt. Dann winkt Herr Mu nur und erzählt seine Geschichten seinem Freund. An manchen Tagen bin ich spät dran. Dann verpasse ich Herrn Mu, der gegen acht Uhr morgens weiter zieht. Vielleicht nach Hause zu seiner Frau, vielleicht in ein Café und vielleicht auch zur Trambahnstation wo mehr Gesprächspartner auf ihn warten. Ich sehe ihm gerne hinterher und habe ihn und seinen Freund am Freitag heimlich fotografiert. Es ist das Bild das für mich symbolisch für Juli und Augustmorgen im Jahr 2016 stehen wird.

  

Herr Mu ist ein schönes Beispiel für Menschen bei denen sich ein zweiter Blick lohnt. Ich bin sicher, dass es einige Menschen in unserem Viertel gibt, die sich freuen, wenn sie ihn sehen. Der leichte Biergeruch ist nicht mehr abschreckend, wenn man den ihn näher kennen lernt. Ein Mensch der so offen und liebenswürdig ist wie Herr Mu, ist eine Bereicherung. Montag frage ich ihn nach seinem Namen. Dann werde ich ihm auch etwas erzählen. Heute erfuhr ich wunderschöne Neuigkeiten. Eine kleine Geschichte über das Leben und die Wunder und Überraschungen die es bereit hält. Ich glaube Herr Mu, wird sie zu schätzen wissen.

19 Gedanken zu “Ein zweiter Blick

  1. Mu der Bär… 😉
    Wahrscheinlich ist es seine erste Katze – sonst wüsste er, dass nicht er die Katze, sondern die Katze ihn hat. 😀 Aber das braucht er ja nicht zu erfahren. Die Katze weiß es – und ihm wird’s egal sein.
    Irgendwie habe ich übrigens das Gefühl, dass die Katze die einzige ist, die daheim auf ihn wartet. Und der er von dir und anderen temporären Bushaltestellenbevölkerern erzählt. Und wir ahnen wohl kaum, wie viel reicher sein Tag dadurch wird… 🙂

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    1. …und nicht nur seiner :).
      Selbst wenn nicht. Ich denke man bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man ein nicht ganz freiwilliges Gespräch führt. Einsamkeit ist grausam (sofern er es ist) und es ist so leicht sie etwas zu mildern. Mir gefällt der Mut, mit der manche Leute einfach zu reden beginnen.

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      1. Es gibt sicher Einschränkungen. Es gibt ja solche „lasst-mich-einfach-in-Frieden Tage“ (wobei „Frieden“ hier der Witz des Tages ist). Und manchmal kommt man mit Menschen ins Gespräch, die einem auf unerklärliche Weise einfach nicht gut tun. Aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist es auch ganz hilfreich, wenn man durch solche Gespräche für einen Moment aus seinem hamsterradigen Eigenkram herausgezaubert wird. 🙂

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      2. Schön gesagt. An „lass mich in Ruhe“ (Frieden ist wirklich ein Witz) Tagen kann man sich ja etwas abseits stellen und muss dann niemanden vor den Kopf stoßen. Oder einfach über den Schatten springen. Man kann es sich ja aussuchen 🙂

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  2. Solche Begegnungen finde ich auch immer bereichernd und diese wenigen Minuten hat jeder Mensch Zeit für ein kleines Miteinander. Es strömt einem dann manchmal soviel Dankbarkeit entgegen, dass es einen fast beschämt. Du hast diesen alten Herrn sehr liebevoll beschrieben und ich mag deine Art mit Menschen umzugehen sehr.

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    1. Das fast beschämende Gefühl kenne ich auch. Und das Lächeln des Gegenübers macht einen zugleich fröhlicher.
      Ich freu mich, dass du nachempfinden kannst, warum Herr Mu ein paar Zeilen wert ist und mir mindestens so viel zurück gibt, wie ich ihm.
      Liebe Grüße

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  3. Liebe Mitzi,
    ich komme eben hier vorbei, nachdem der letzte Bus weg ist und ich meinen Platz an der Bushaltestelle verlassen habe.
    Ich habe mich gewundert, warum heute bei Mitzi „nur“ 5 Kommentare sind. Sehe ich doch hier sonst 30,40 oder 60 Kommentare.
    Nachdem ich den Artikel gelesen habe, ahne ich warum viele Menschen nichts dazu schreiben. Denn auch ich weiß nicht, was ich dazu schreiben soll.

    Ich weiß nur, was ich NICHT schreiben will:
    – keinen flachen Spruch….oh wie schön
    . kein eigenes Erlebnis dieser Art. Denn ich mag es nicht, wenn ein Mensch eine schöne Geschichte erzählt und ich dann von meinen Erlebnissen berichte. Wie die Menschen, denen man von einer Krankheit erzählt, einem gleich ihre noch viel umfangreichere Krasnkengeschichte erzählen.
    – auch keine Abhandlungen, dass es für unsere Gesellschaft typisch ist, dass solche Erlebnisse etwas Besonderes sind. SIND SIE ABER!
    Und nur besondere Menschen wie Sie Mitzi, erleben so etwas überhaupt!
    Sehr viele Menschen eilen mit gesenkten Kopf durch die Straßen, vorbei an Bushaltestellen, vorbei an Menschen, fliehen vor den Gedanken, vor den Worten, vor dem Gespräch.

    Das lässt viele Leser einfach andächtig schweigen, mit Gedanken, einem merkwürdigen Gefühl im Bauch, mit Freude, aber auch ein wenig „Zukunftsängsten“, ob wir auch irgendwann an der Bushaltestelle sitzen und auf Mitzi warten.

    Darum, liebe Mitzi, kann ich nichts dazu sagen! 😉

    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich,
      ich las Ihren Kommentar schon gestern und heute gleich noch einmal. Das schöne an geschriebenen Worten ist ja, dass man sie konserviert bekommt und sich so ein ums andere Mal freuen kann. Wie schön Sie nichts sagen können, lieber Heinrich. Der letzte Absatz berührt mich sehr. Denn dieses merkwürdige Gefühl, das sie erwähnen, kenne ich nur zu gut. Ich selbst werde eine penetrante Alte werden, die schrecklich neugierig ist. Vielleicht bleibt einer stehen – ich hoffe es. ;).
      Danke. Für diesen und viele anderen Kommentare. Ich sagte hoffentlich bereits, aber es ist eine große Bereicherung hier für Sie und all die anderen Schreiben und Erzählen zu dürfen.

      Herzlichst
      Mitzi

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  4. Gut für Herrn Mu, dass er so mutig ist jemanden anzusprechen, um in ein Gespräch zu kommen!
    Wunderbar, wenn er dann auf Menschen, wie dich trifft, die hinhören.
    Ich freue mich auf mehr von Herrn Mu, durch dich!

    Liebe Grüße,
    Silbia

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  5. Eigentlich traurig.
    Mich eriinert die Geschichte an einen Tierparkbesuch in einer kleinen Stadt. Dort gab es offensichtlich ein Altersheim. Am Nachmittag saßen einige Bewohner auf den Bänken des Tierparks. Jeder für sich. Herausgerissen aus ihrer Lebenswelt. Aber wäre es denn anders, wenn sie noch in ihren Heimatorten lebten? In dieser unserer anonymen Welt voller Individualisten?

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  6. Du hast natürlich Recht und ich kenne diese Situationen auch, aber ich fühle mich dann immer so ausgeliefert, will den Moment der Ruhe, bevor der Tag mich fordert, bevor ich zuhöre und rede und konzentriert bin, will keine fremden Geschichten in meinem Kopf, höchstens die auf meinem MP3-Player, auf deren Fortsetzung ich mich schon seit dem Vorabend freue. Aber ich bin ja nett, also nein, eigentlich eher nicht, ich bin geduldig, ziehe die Ohrstöpsel raus und höre zu. Manchmal bin ich beeindruckt, meistens nicht. Aber ich höre zu… und dann kommt da auch schon mal so eine Fremdenfeindlichkeit um die Ecke, bei der netten alten Dame oder so eine große Verbitterung, dass ich sprachlos bin. Aber habe ich eine Wahl? Um noch mal Kurt Vonnegut zu zitieren, schließlich sind wir hier, um Augen, Ohren und vor allem Gewissen des Schöpfers des Universums zu sein. Und Vonnegut war kein religiöser Mensch. Meistens jedenfalls nicht.

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