Die dicke Hilda, Kaffee und ein Award

Sag mal „wortgeflumselkritzelkram“ drei mal hintereinander ohne dazwischen Luft zu holen, bitte ich meinen Freund und nehme einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse. Er sieht mich müde an und nuschelt superkalifragilistischexpialigetisch. Diese Antwort kann ich akzeptieren. Er weiß ja nicht, dass mich die Inhaberin des charmanten Blogs wortgeflumselkritzelkram zum Liebsten Award nominiert hat und superkalifragilistischexpialigetisch ist eines der wenigen Worte das diesem hübschen Blogtitel (und dem ausgesprochen schönen Inhalt) gerecht wird.

Er nimmt mir seine Tasse aus der Hand und stöhnt leise auf, weil ich Kaffee süßer mag als er und heimlich auch den seinen gesüßt habe. Barfuß oder Lackschuh, frage ich ihn und erobere die Tasse zurück. Ich trinke schneller als er und diese Frage sollte für ihn ebenso leicht wie für mich zu beantworten sein. Er schmunzelt und antwortet richtig. Ich starte mit hohen Hacken, die ab und zu aus Lack sind. Laufe, tanze und springe durch die Nacht und tapse im Morgengrauen barfuß die Treppen nach oben. Vor einigen Jahren vergaß ich meine Schuhe auf der Toilette einer Bar als ich mir die Notfall Ballerinas, die ich immer dabei habe, anzog. Er trug sie mir bis in die U-Bahn nach. Da saß ich mit drei goldenen Luftballons und freute mich ihn mit meinen Schuhen zu sehen. Es gibt wenige Männer, die einfach in die Damen Toilette spazieren, Schuhe retten und sie nachtragen. Sicher wüsste er auch meine Lieblingsstadt. Es ist auch die seine. München – weil wir hier geboren sind, Schuhe auf Toiletten vergessen und nachts mit goldenen Luftballons auf die letzte oder erste Bahn warten. Würde man mich vertreiben, dann könnte ich mir Hamburg vorstellen oder wenn es ein anderes Land sein soll Salerno in Italien. Es ist purer Zufall, dass ich auch in Salerno ein Paar Schuhe verloren habe. Die Frage nach meiner frühsten Erinnerung kann er nicht beantworten. Während er neuen Kaffee aufsetzt denke ich darüber nach. Am besten kann ich mich an die Küche meiner Kindheit erinnern. Der Radio auf dem Regal spielte fast immer und die Eckbank hatte rote Polster. Der Geruch, die Stimmen meiner Eltern und das was sich vor dem Küchenfenster abspielte vermischt mit dem Geruch von Karottengemüse…ich glaube diese Szenen liegen am längsten zurück. Wie würden meine Memoiren heißen, frage ich meinen Freund als er mir eine Tasse Kaffee reicht. Schreibend – lebend – durchs Leben stolpernd – aus Sturheit optimistisch – gerne am Abgrund taumelnd, zitiert er aus meinem Blog und vertauscht „lesend“ mit „lebend“. Das könnte passen. Angestellt oder selbständig ist leicht zu beantworten. Sein eigener Herr zu sein, ist eine reizvolle Vorstellung. Für mich aber auch beängstigend. Ich schätze es zu wissen, dass jeden Monat pünktlich mein Gehalt kommt und bin zu ängstlich um diesen Schritt zu wagen. Mein Freund, dessen Tasse ich mir wieder geschnappt habe, ist unter der Dusche und kennt solche Ängste nicht. Die Vor- und Nachteile sind ihm ebenso bewusst wie mir, aber er hat sich anders entschieden und könnte wohl kaum in einem starren Korsett wie dem meinen arbeiten. Ich denke, es ist eine Typfrage. Warum blogge ich, rufe ich in das Badezimmer und kann die Antwort nicht verstehen. Erst ein bisschen später sitzt er wieder neben mir und sieht mir über die Schulter während ich die Antwort tippe. Ich blogge, weil ich gerne Geschichten erzähle. Weil es jeden Tag etwas gibt, das es wert ist erzählt zu werden. Würde hier keiner lesen, dann würde ich hier auch nichts schreiben. Dann würde ich meine Geschichten meinen Freunden erzählen. Ein Blog macht nur dann Sinn, wenn er auch gelesen wird.

Du hast die Raupe vergessen, sagt mein Freund und tippt auf die fünfte Frage: „Wenn ich einen Raupe wäre,…..“ Hm….dann würde ich ein Schmetterling werden? Keine gute Antwort, meint mein Freund und sucht seinen Kaffee. Wir sehen uns an und lachen. Wenn ich eine Raupe wäre, würde ich Nimmersatt heißen und man dürfte in meiner Nähe keinen Kaffee unbeaufsichtigt stehen lassen. Nicht an einem Samstag Morgen, wenn ich noch nicht ganz wach bin. Ich drücke meinem Freund, der überraschend zu Besuch gekommen ist ein Bussi auf die Wange und freue mich über die nächste Frage. Wie würde ich einen Tag ganz nach meinen Wünschen verbringen.  Er würde genauso beginnen wie heute. Da wurde ich von zwei kleinen Mädchen geweckt, die unter meine Decke gekrochen sind und sich neben mich auf das Sofa gelegt haben. Ein perfekter Tag braucht nicht viel. Ein Kind im Arm ist ein guter Anfang. Könnte ich ihn mir selbst zusammenstellen, dann hätte er von allem etwas und ich wäre wahrscheinlich auf unserer Hütte mitten im Wald. Morgens ein Kaffee vor dem Haus in der Sonne. Später eine Wanderung zum Gipfel und dort ein Stunde im Buch lesen. Nachmittags mit Freunden auf der Lichtung in der Wiese sitzen und herrlich nichts tun und abends das Feuer anmachen. Im Winter am Holzofen kochen im Sommer vor der Hütte grillen. Nachts die Sterne ansehen und ins Bett gehen, wenn es schon wieder hell wird. Nächste Woche bin ich oben und ich sehe, dass auch mein Freund sich schon auf diese Tage freut. Abwechselnd werde mich meine Freunde besuchen und egal was wir machen – es wird mir Freude bereiten. Verdi oder Strauß ist eine Frage die ich nur aus dem Bauch heraus beantworten kann. Ich habe zwei Jahre nur wenige Meter von der Arena in Verona entfernt gewohnt. Und wer einmal an einem italienischen Sommerabend auf seinem Balkon Verdi gehört hat, der mag ihn für den Rest seines Lebens. Besonders dann, wenn der Nachbar die Arien mitsingt. Nicht nur die von Verdi, aber die besonders inbrünstig. Wein oder Bier? Wein. Der passt einfach besser zu Verdi. Mein erstes Buch kennt auch der spontanste meiner Freunde, der den dritten Versuch startet etwas vom Kaffee abzubekommen und murmelt etwas vom fetten Walross. Wie konnte ich nur annehmen, dass dieser Mann mich kennt. Richtiger handelt es von der dicken Hilda. Und von Kratzi, den drei Schweinchen, Mandi, Quicker und Wendelin. Es ist ein Wörterbuch für Kinder und trägt den Titel „Mein allerschönstes ABC“. Ich hatte es verloren und dieser wunderbare Freund, der nun endlich seinen Kaffee trinken darf, hat es auf dem Flohmarkt entdeckt und mir gekauft. An die SMS von damals erinnere ich mich noch. „Hab die fette Hilda gefunden und gekauft.“

Liebe Sabine, der geduldigste meiner Freunde und ich haben deine Fragen genossen und sitzen nun schon seit Stunden über Kaffee, der dicken Hilda und haben im Hintergrund Verdi laufen. Später beim Wein werde ich ihn nach seiner frühsten Kindheitserinnerung fragen und mir erklären lassen, wie er die Unsicherheit als Selbständiger aushält. Ich werde einen Tag ganz nach meinen Vorstellungen haben und jedem empfehlen, sich einfach mal wieder etwas fragen zu lassen. Ich hoffe man nimmt es mir nicht übel, dass ich mich wieder über die Regeln des Awards hinweg setze und weder nominiere noch weitere Fragen stelle. Es ist nicht ganz fair, wo ich doch zugleich hoffe, dass diese schöne Tradition weiter lebt.

 

 

 

39 Gedanken zu “Die dicke Hilda, Kaffee und ein Award

  1. liebste mitzi, ich bin so sprachlos gerade….wie wunder-wunder-wunderschön. ich bin hin und weg und liebe diesen beitrag. und ich danke dir dafür, auch dass du dich über die regeln hinweg setzt (sind regeln nicht dafür da? 😉 ) und für deine netten komplimente bezüglich meines blogs. ich lese deinen beitrag jetzt gleich nochmal, weil er es wert ist, dass er öfter gelesen wird. dein blog und das, was und wie du schreibst, ist etwas ganz besonders und ich danke dir, dass ich teilhaben darf.

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  2. Hach … Man hat bei dir oft das Gefühl, dass man die Szenen, die du erzählst, miterlebt. Heute habe ich ganz eindeutig Kaffee gerochen. Wenn du dich doch mal selbstständig machen solltest, dann wärest du eine tolle Werbe-Agentur für Dallmayr. 🙂

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  3. Ach Mitzi, kannst du bitte einfach mindestens einmal die Woche Fragen beantworten? Du und Zeilenende, ihr seid, jeder auf seine wunderbar einzigartige Weise, meine liebsten Awardfragenbeantworter. Ich lächele, freue mich und habe im Geiste mit meiner liebsten Freundin bei einem Gläschen Holunderschnaps (es ist Sonntag, da darf man besonders früh trinken) diese Fragen für uns beantwortet. Liebste Sonnengrüße aus Nymphenburg,
    Vimala

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    1. Da hast du Recht, Vimala. Am Sonntag ist das ok und Holunderschnaps ist auch mehr Medizin als Alkohol.

      Danke für dieses schöne Kompliment – es freut mich sehr und ich habe noch welche vom versteckten Poeten, die ich mir bald mit etwas mehr Ruhe vornehmen werde.

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  4. Da machst Du wieder richtig Lust auf den Liebster! Sobald man länger als 6 Wochen bloggt, wird es ja doch etwas anstrengend damit. Schön zu sehen, dass es auch anders geht – und dann wieder so unfassbar poetisch.

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    1. Ich bin erleichtert, dass ich den Liebsten ein wenig „umwandeln“ kann und es anscheinend gefällt. Die Fragen sind meistens schön, aber meine Antworten „ohne Drumherum“ erscheinen mir immer etwas langweilig. Und du hast Recht – wenn man ihn eine Weile nicht hatte oder nicht gelesen hat, dann bekommt man wieder Lust.

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      1. Da stimme ich Dir total zu – „einfach nur antworten“ will man dann ja auch nicht. Ich hab noch zwei in der Pipeline und schon ein schlechtes Gewissen, dass meine Antworten immer noch auf sich warten lassen. Die Fragenden haben sich da ja auch was dabei gedacht. Ach, ach … Ich warte noch auf den Musenkuss.

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      2. Man muss auch in der Stimmung sein. Aber ich weiß, was du meinst. Wenn es zu lange dauert, dann tut es einem leid und das schlechte Gewissen regt sich.
        Die Muse kommt bestimmt.

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  5. Liebe Mitzi.
    Es ist alles schon gesagt worden in den vorherigen Kommentaren, aber auch ich möchte Dir ein Bouquet aus Freesien, Rosen und noch mehr der schönsten Blumen überreichen für diesen wunderbar dahinfließenden Text. Es war eine Wonne ihn zu lesen und ich bin ganz froh, über die Fragen von Sabine und Deine Antworten.

    Eines meiner ersten Bücher übrigens war „Mein allerschönstes Buch für Regentage“ (https://www.amazon.de/allersch%C3%B6nstes-Regentage-Sachen-Basteln-Spielen/dp/3773550014) von Richard Scarry. Ich musste so schmunzeln, als ich beim Textlesen eben darüber gestolpert bin und Du glaubst es nicht: auch ich habe mir als Erwachsene dieses Buch, welches ich als Kind zerbastelt und bemalt und ausgeschnippelt habe noch einmal gekauft, weil ich es einfach so wundervoll fand. Ich muss zuhause noch gleich mal nachschauen, ob ich es noch irgendwo habe.

    Herzliche Grüße!

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    1. Ziemlich verlegen und mit roten Bäckchen freu ich mich von Herzen über diese schönen Blumen!

      Ich habe „dein“ Buch gleich mal gegoogelt und bin begeistert. Es kommt mir so bekannt vor, obwohl ich dieses noch nie gesehen habe. Die Zeichnungen sind sich so ähnlich und ich kann mir vorstellen, dass du es gemocht hast.

      Liebe Grüße

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  6. Also an deinem Zungenbrechervorschlag bin ich sofort gescheitert, gleich nach dem ersten Mal… Ich bin in solchen Dingen allerdings auch wirklich nicht gut.

    Ansonsten stimme ich pro Barfuß und als Raube würde ich mich eben an allen noch so ungesunden Sachen statt essen 😀

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