24 Stunden Burn-Out

Kennen Sie das Gefühl morgens aufzuwachen und schon vor dem Aufschlagen der Augen zu wissen, dass man es besser nicht täte? Das Augenaufschlagen und überhaupt das Aufwachen. Der Grund ist objektiv betrachtet klein, nichtig und ein regelmäßiger Gast. An manchen Tagen wird er über Nacht groß. Das sind die unangenehmen Tage.  Die Augen noch geschlossen hört man das fröhliche Zwitschern der Vögel, riecht den Frühling durch das offene Fenster und ahnt, dass es nur noch ein paar Minuten dauert, bis die ersten Sonnenstrahlen auf die Bettdecke treffen. Wenn man – oder ich – dann keine Lust hat mit Elan aus dem Bett zu springen, dann hat mich das 24 Stunden Burn-Out erwischt. Ein kleines Glück im großen Unglück ist es, wenn man sich den Tag dann frei nehmen kann. Dann steckt man sein Umfeld nicht mit der kalten Asche an, die einem bei jedem Wort aus dem Mund rieselt.

Das sich ein solcher Tag hinter dem Begriff 24 Stunden Burn-Out versteckt, weiß ich erst seit gestern. Da erzählte mir eine Freundin von diesem Phänomen und es kam mir, bisher namenlos, sehr bekannt vor. Leider gab sie mir keine Methode zur Bekämpfung mit an die Hand und ich bin heute morgen auf mich alleine gestellt. Da solche Tage in Tatsachen begründet liegen, die sich nicht aus der Welt schaffen lassen, kann man die Ursachenbekämpfung getrost außer acht lassen. Gegen die Wand rennen ist vermutlich nur für wenige Menschen eine befriedigende Lösung. Ich habe erst vor kurzem frisch gestrichen und weis um die Unnachgiebigkeit meiner Wände. Wenn Sie hier eine Metapher zu erkennen glauben, dann liegen Sie richtig. Bei Sonnenschein kann ich nicht unter der Bettdecke bleiben. Das wäre einem so schönen Tag gegenüber respektlos. Besser ist es, wie bei jeder Krankheit und jeder unschönen Emotion, sich erst einmal in sie hinein fallen zu lassen und sich anschließend wieder aufzupäppeln. Das geht übriges sehr gut. Es heißt man könne sich nicht am eigenen Kragen aus dem Sumpf ziehen. Blödsinn, dann wäre ein nicht kleiner Teil der Menschheit längst abgesoffen. Meine kleinen Alltagsprobleme sind ebenso wie ich Frühaufsteher. Ein großer Vorteil, denn auch an üblen Tagen besteht die Chance auf eine Wende am frühen Nachmittag. Dann, wenn die Problemchen es müde geworden sind Runde um Runde vor mir auf und ab zu tanzen. Große sind es nicht – die haben andere Namen. Die kleinen, fiesen führen zu einem 24 Stunden Burn-Out. 24 Stunden klingt nur auf den ersten Blick harmlos – ich jedenfalls bin nicht bereit mich einen geschlagenen Tag lag mit schlechter Laune durch die Gegend zu schleppen. Und nicht nur schlechte Laune. Jeder Schritt ist zu viel, jeder Gedanke anstrengend und ein lieb gemeintes Wort wird zur versteckten Aufforderung doch gefälligst fröhlich und belastbar zu sein.

Ich pack mich am Kragen und schleppe mich in die Küche. Bei jedem schlechten Gedanken schließe ich die Augen, was zwangsläufig dazu führt, dass ich auf dem Weg zum Milchaufschäumer gegen Wände renne. Auch so ein Blödsinn – dass man sich selbst keine Ohrfeige verpassen kann. Kann man sehr wohl und manchmal kann das genau das Richtige sein. Die Augen sind wieder offen und ich mit einer großen Tasse Milchkaffee auf dem Balkon unter dem Sonnenschirm. Den brauche ich, ich habe nämlich auch gleich mein Notebook mit rausgeschleppt. Nicht umsonst will ich mich den ganzen Winter darauf gefreut haben, meine Nachbarn mit gleichmäßigen Tastaturanschlägen in den Wahnsinn zu treiben. Das bin ich ihnen schuldig. Windspiele, Kindergeplärr und Streitigkeiten habe ich ja auch umsonst bekommen. Auf dem Balkon schwebt noch ein Rest von gestern Abend. Sechs Personen mit sechs Tellern und Gläsern auf sechs Quadratmetern.  Ein so schöner Abend hängt sich zwischen den Holzdielen fest und kann auch am nächsten Morgen noch wahrgenommen werden. Ein 24 Stunden Burn-Out verträgt sich nicht mit Milchkaffee, Sonnenschein und warmen Holz unter nackten Füßen. Schnell lässt es sich auf einen Kompromiss ein und reduziert die Stundenzahl seines kurzen Daseins. Ganz verschwinden mag es, eben erst aufgetaucht, aber nicht. Es lässt mich keine Bücher lesen, die zu denken verlangen. Seicht darf es sein und man kann es austricksen das Burn-Out indem man eine Krimi liest, bei dem nicht gedacht aber flott gelesen wird. Biographien uninteressanter Menschen eigenen sich auch. Dann schlafe ich auf der Liege ein und kümmere mich nicht um das Straßenkehrer-Auto.

Mein Burn-Out scheint sich geschlagen zu geben. Ich tippe schneller und flüssiger. Mir wäre es nicht aufgefallen, aber der Nachbar rechts oben erkundigt sich bereits ob ich ihn nun öfter mit dem gleichmäßigen Klacken erfreuen werde. Ein Wunder, dass er es überhaupt hört – zwischen all dem Straßenlärm und seinem schreienden Baby. Ich könnte ihm anbieten, das Kind im Maxi Cosi neben mich zu stellen. Vielleicht funktioniert Tippen wie ein Rasenmäher, der manche Babys auch einschläfert. Während ich noch überlege, hat er das Fenster wieder geschlossen. Ich bin nicht schuld – Herr Meier unten saugt seinen Plastik-Balkon-Rasen und das Altglas wird gerade abgeholt. Es stört mich nicht, weil ich erstaunt feststelle, dass ich wohl nur ein 8 Stunden Burn-Out hatte. Noch traue ich dem Frieden nicht und mache mir vorsichtshalber eine zweit Tasse Milchkaffee. Und meine Nachbarn wollen sicher auch noch ein wenig vom Klang der Tastatur eingeschläfert werden. Selbst schuld, wenn sie nicht arbeiten wie jeder normale Mensch an diesem Montag. Ausgenommen ich – ich hab ja Burn-Out. 10,5 Stunden Burn-Out.

60 Gedanken zu “24 Stunden Burn-Out

      1. yep….jetzt hat das Kind einen Namen……naaa, nicht wirklich, heute ist so ein Tag, an dem hätte ich gleich im Bett bleiben sollen 😉

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    1. Bei mir heißt der 8- Stunden- oder meinetwegen 24-Stunden-Burn-Out „Monday-Morning-Blues“ und stellt sich gern mal nach einem verlängerten Wochenende mit viel Sonne ein. Kann von mir nur überwunden werden, indem ich Anlauf nehme und mit Karacho – oh, wie mir diese Schreibweise widerstrebt, auch wenn sie richtig ist; es muss doch heißen carajo – in die Aufgabenflut des Montags hineinrenne. So wie gegen eine kalte Atlantikwellenwand.

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      1. Carajo? Das gefällt mir!
        Deine Montagsrosskur gefällt mir. Da renne ich auch mit Anlauf. Nur an diesen dummen ganz besonderen Tagen, lockt mich auch eiskalter Atlantik nicht 😉

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  1. Den habe ich auch oft morgens und ich ziehe mich dann am eigenen Schopf heraus. Sonne, Kaffee und die Nachrichten, die einem das Gefühl geben, so schlecht geht es einem ja gar nicht, sind hilfreich oder eben dein Beitrag, der so köstlich ist, dass ich schmunzeln musste und die Sonne strahlte danach heller und der Kaffee schmeckte aromatischer. Könntest du dies nicht jeden Morgen liefern, bitte ???? 🙂

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    1. Lieben Dank, Sylvia.
      Der Gedanke, dass es einem ja eigentlich gar nicht so schlecht geht, ist ein gesunder. An Jammertagen holt er einen wieder etwas runter.
      Jeden Morgen? Ich würd ja gerne, aber ich fürchte das muss ich auf die Rente verschieben. 😉

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  2. Es ist erstens ganz herzerfrischend, zu sehen/lesen, dass auch andere mit solchen Tagen ringen und zweitens herrlich, dafür jetzt einen Namen zu haben! Einmal betitelt lassen sich manche Dinge besser wegschieben… Danke! Sonnige Grüße aus Hamburg!

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    1. Sonnige Grüße in den Norden.
      Schön zu hören, dass wir uns anscheinend alle mit solchen Tagen herumschlagen müssen. Und wegschieben ist der richtige Ansatz. Schade um die Sonnenstunden.

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  3. Nichts hilft besser gegen „schlechte Laune“ als ein Milchkaffee!
    Ich habe gelernt, dass es zwei Alternativen gibt damit umzugehen. Entweder hat das Burnout dich im Griff, oder du das Burnout. Egal ob 24Stunden oder über Wochen …

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    1. Ich jammere auf hohem NIveau und kenne nur die Stundenvariante. Aber bei vielen Dingen sind deine Varianten auch die meinen. Sofern es einem möglich ist – Augen zu oder auf und durch. Es hilft ja nichts.
      Liebe Grüße

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      1. Es ist gut, dass du es wahrnimmst, als das, was du beschreibst. Selbstreflektion hilft vor echten Abstürzen. Ich weiß wovon ich rede, ich habs nicht sehen wollen …
        Liebe Grüße auch dir!

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  4. Immerhin ist dir ein amüsanter Text über diesen Zustand gelungen, liebe Mitzi. Besonders poetisch wurde es gleich zu Anfang: „Dann steckt man sein Umfeld nicht mit der kalten Asche an, die einem bei jedem Wort aus dem Mund rieselt.“ Zounds! Dazu haben dann wohl Frühlingssonne, Milchkaffee und „warmes Holz unter den Füßen“ beigetragen.
    Das Geräusch von Tastaturen nervt übrigens nur, wenn man es nicht selbst hervorbringt. Im ICE ist mir das schon oft so gegangen. Ich fühlte mich schon eine Weile unwohl, wusste aber nicht wieso, bis mir das leise Tastaturklimpern ins Bewusstsein drang.

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    1. Viele Geräusche überhört man, wenn man sie selbst verursacht. Ich mag das Klacken von Schuhen auf dem Asphalt nicht besonders – könnte aber beschwören, dass ich selbst kaum zu hören bin, was nicht stimmen kann ;).

      Das warme Holz kann ich nur empfehlen, lieber Jules. Es unter den Füßen oder Händen zu haben stimmt immer versöhnlich.

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  5. Ach, vielleicht geht das rum. Ich hab heute auch so einen Tag 🙂 Danke, dass du dem Ganzen einen Namen gegeben hast. Kalte Asche, die aus dem Mund rieselt ist übrigens ein Bild, das mich jetzt eine Weile begleitet 🙂

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      1. Hallöchen 🙂
        Eiswürfel wären gefährlicher als kalte Asche … Toll dein Blog , jetzt hat meine Stimmung wenigstens einen Namen .
        Ich hab das immer auf mein Alter geschoben ,da kann man vieles drunter verstecken .
        Balkon hab ich leider keinen außerdem wohne ich in der oberen Etage , da hilft bei solch schönem Wetter nur Fenster weit auf und Tasten quälen. Zum Kaffee noch ein frisches Brötchen und alles ist perfekt.
        Für Nachbars Baby hab ich einen tollen Vorschlag : er soll den Maxi-Cosi auf die Waschmaschine im Schleudergang stellen …. keine Angst , das Baby fliegt nicht weg 🙂 ….. übrigens , die alten Schreibmaschinen waren um einiges lauter als so ein Laptop …. “ Lärm ist Leben“ hat mal jemand großes ( ich weiß nur nicht mehr wer ) gesagt.

        einen schönen Tag wünscht die wolfskatze …. 🙂

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      2. Hallo Wolfskatze (starker Name),
        ich gehe auch langsam dazu über, dem Alter einiges in die Schuhe zu schieben. Irgendwer muss ja schuld sein 😉
        Fenster auf geht sicher auch und jetzt wo du es schreibst…ein Brötchen hat noch gefehlt. Den Schleudergang hat das junge Paar bereits entdeckt. Gerne spät abends. Aber wie du sagst, Lärm ist Leben und ich schlafe zum Glück auch wenns über mir rumpelt.
        Liebe Grüße

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  6. Hmmm…ich dachte bisher…das ist einfach schlechte Laune….aber nach deiner wirklich tollen Erläuterung und dem Kopfkino von deiner klappernden Tastatur gegen Windspielgeklimper (hihihihihi) werde ich mir ab sofort auch, falls es mich ereilt…ein 1 – 5 Stunden Burnout zulegen! Das hört sich schon mal viel besser an, als einfach nur schlechte Laune…
    Weißt du was, LACH doch einfach die SORGEN an die WAND….stabil genug ist sie ja, wie du schreibst…
    Kichernde Grüße von
    Gabi

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  7. Ist das mit dem 24h Burnout denn medizinisch nachgewiesen? Dann könnte ich ja zu meinem Hausarzt gehen und, sagen wir, schonmal 5-15 24h Krankmeldungen für 2016 mit nach Hause nehmen und hätte kein schlechtes Gewissen mehr. Vielleicht könntest du mir (als niedergelassene Ärztin?) diese auch zuschicken? Ich versichere dir ganz im Ernst das ich an dieser Krankheit ab und an leide. In echt.

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    1. An der Anerkennung der Fachwelt wird noch gearbeitet ;).
      Ich musste ja auch Urlaub nehmen.

      Wenn du aber einen Zeugen benötigst, dann beruf dich gerne auf mich. Ich versichere leidenschaftlich und überzeugend, die Arbeitsunfähigkeit.

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  8. Ist „24-Stunden-Burn-Out“ eine aktuelle Benennung für einen heiligen Sabbat, Sonntag, Feiertag oder profanen Urlaubstag? Ich mag es, wenn regelmäßig mal Ruhe einkehrt, auf dem Sofa, im Biergarten oder nach beliebiger Facon …

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  9. Liebe Mitzi,
    ich hoffe, ich verletze nicht die diskrete Höflichkeit, wenn ich Sie nach eher „intimen“ Dingen frage.
    Ich vermisse irgendwo zwischen Küche, Wand, Kaffee und Tastatur die Dusche.
    Ich würde niemals unterstellen, dass Sie ungeduscht den Tag verbringen, egal ob mit oder ohne Burn.
    Normalerweise wäre es auch völlig egal, ob sie es nur vergessen haben zu erwähnen.
    Warum ich doch so indiskret nachfrage, liegt daran, dass ich diese BurnOut-Tage auch sehr gut kenne, der Verlauf sich aber dramatisch ändert, nachdem ich unter die Dusche gestiegen bin. Ich will nicht sagen, dass der BurnOut unter Wasserunverträglichkeit leidet und sich dann verzieht, aber ich spüre eine dramatische Änderung des Verlaufs in dem Moment des Duschens.
    Deshalb (und NUR deshalb) habe ich in Ihrer doch sehr präzisen und detailierten Beschreibung eines 24 Stunden BurnOuts die Duschszene vermisst.
    (Immer bei dem Wort „Duschszene“ muss ich an Psycho und Norman Bates denken, aber ich will nun nicht noch den BurnOut mit solchen Assoziationen verkomplizieren….. 😉
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich,
      das Wort „Duschszene“ ist in der Tat mit grausigen Assoziationen verbunden.
      Ein Burn-Out ist allerdings auch grausig. Ich werde daher ihren Rat beherzigen und es nächstes Mal mit einer ausgiebigen Dusche bekämpfen. Es klingt schlüssig. Wasser hilft gegen Verbrennungen jeglicher Art und ein positiver Effekt sollte sich einstellen.
      Wenn ich demnächst über die Wohltat einer Dusche schreiben werde, dann wissen Sie und ich, dass ich keine intimen Details ausplaudere, sondern lediglich ihren Rat befolgt habe.
      Herzliche Grüße

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  10. … meine Nachbarn mit gleichmäßigen Tastaturanschlägen in den Wahnsinn zu treiben

    Die professionelle Variante davon heißt »Adler« oder »Olympia«! Mit ein wenig Glück findet sich dafür auch noch ein funktionsfähiges Farbband. Im übrigen bezeichnet der Modebegriff Burnout auch nur den Zeitpunkt, an dem es erforderlich wird, der Umwelt unmißverständlich mitzuteilen, daß es einem schlecht geht.
    Das sollte man mit allem Nachdruck betreiben!

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    1. Das sollte man! Im Besten fall kurz vor besagtem Zeitpunkt.
      Olympia und Adler eigenen sich auch für Balkone ohne Steckdose und herrlich zum Freisetzen überschüssiger Energien….tolle Dinger!

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