Der Hirschkopf bleibt!

Den Streit eines Paares mitzuerleben berührt mich unangenehm. Es widerstrebt mir zu sehen, wie dünn die Schicht an Liebe ist, die über den harten Bodensatz von Egoismus, Sturheit und Gleichgültigkeit gestreut wurde. Wenn die Diskussion der Farbe von Sofakissen zu verbalen Totalausfällen führt, dann sollten Paare zum Therapeuten. Der Streit, der mich unangenehm berührte, amüsierte dich. Warum eine Therapie, meintest du. Ein kurzer Ikea Besuch am Samstag Nachmittag würde ihnen doch sehr deutlich machen, dass ihre Beziehung Mist ist. Deine Stimme war laut genug, dass nicht nur ich sie hörte und wir zwängten uns schnell zwischen genervten Eltern und diskutierenden Paaren aus der Gefahrenzone. Auch wir waren nicht einer Meinung. Deiner Meinung nach, waren Ikea Möbel etwas, über das man nicht einmal nachdachte, ich fand sie hübsch. Ich lockte dich mit Köttbullar und dem Versprechen nur Handtücher zu kaufen. Sie schnell zu kaufen, war deine Bedingung gewesen. Die Auswahl zwischen hell- oder dunkelblau, mein Problem. Eine simple Frage, die zu entscheiden ich dir überlies. Die Antwort, dass es eigentlich egal war, weil man neue Fliesen und nicht neue Handtücher brauchte, war nicht unbedingt zielführend. Wir waren wie alle anderen Paare an diesem Samstag Nachmittag von zwei verschiedenen Sternen. Nur das unsere Sterne sich fröhlich umkreisten und genug Anziehungskraft besaßen, um nicht auseinander zu driften. Man könne, wenn man eh neu verfliest auch gleich die Wand um einen Meter versetzten. Das Bad sei zu klein, erklärtest du mir zwischen Köttbulla und Apfelschorle. Ich erklärte mich einverstanden, wenn du es dem Vermieter erklären würdest. Mein Vorschlag, dann auch gleich das Fenster zu vergrößern, wurde mit einer Handbewegung zwischen die Billyregale gefegt. Ich solle doch bitte ernst bleiben, das wäre in einem Mietshaus nicht ohne Zustimmung aller Eigentümer möglich. Aber die Wand, das würde gehen. Und überhaupt, was wäre mir den wichtig, hast du mich gefragt als ich das Köttbullar Versprechen einlöste.

Der hier, sagte ich und deutete auf den kleinen Bilderrahmen – dem einzigen Stück, das bisher in unserer Tasche lag. Meine Antwort ließ dich schmunzeln und du murmeltest etwas von herrlich anspruchslos. Im nächsten Moment hast du dich neben mich gesetzt und die Servierte aufgefaltet. Der harte Ikea Bleistift kratzte hart über das dünne Papier, aber der Grundriss meiner Wohnung war deutlich zu erkennen. Wohin mit dem Rahmen, wolltest du wissen. Hier an die Wand, war meine Vorgabe – der Rest fand sich in den nächsten zweieinhalb Stunden. Wir verließen meine Wohnung und zogen gedanklich weiter zu der Hütte im Wald, die meine Eltern seit Jahrzehnten gepachtete hatte. Die Hütte daneben, größer und mit einem gemauerten Fundament – das war der Ort von dem ich mir schon immer vorstellte dort zu leben und dort sollte auch der Rahmen hängen. Ein halbes Duzend Servierten dienten als Pläne für den Umbau. Der Hirschkopf, draußen über dem Balkon, der musste bleiben und weiter über das Tal blicken. Aber die schrecklichen Duschen im Keller, die mochte ich nicht. Auch die Küche mit dem Holzofen durfte sich nicht allzu sehr verändern, aber die Spüle war doch recht unpraktisch. Es gibt Männer, die können ihre Partnerin mit einem Blick zum Schweigen bringen, du brachtest mich zum Reden. Die Welten, die ich mit Worten entstehen ließ, konntest du mit Stift und Papier sichtbar machen. Wände mussten hier nicht eingerissen werden – du bautest nach meinen Vorgaben gleich das ganze Haus neu. Erträumt man sich im Ikea Restaurant ein ganzes Haus, dann ist es ein großer Vorteil mit einem Architekten am Tisch zu sitzen. Nach einer Stunde holte ich uns Kaffee, nach der zweiten du und in der dritten aßen wir Kuchen. Während um uns herum die Besetzung der Tische im Viertelstunden Takt wechselte, blieben wir sitzen. Zwischen uns entstand der Ort, an dem wir gerne gelebt hätten. Während mir nur wichtig war, dass vor dem Fenster im vordersten Zimmer ein kleiner Schreibtisch stand, hast du überlegt wie man die oberen Räume warm genug bekommen könnte. Ob es so wichtig sei, fragte ich und du hast genickt. Sonst würden mir beim Schreiben doch die Finger einfrieren. Beinen bisherigen Beruf gab ich mit der Münchner Wohnung gleich mit auf. Um uns herum stritten sich Paare und Eltern versuchten ihre Kinder bei Laune zu halten, während du einen der Räume zum Schlafzimmer machtest. Es war das Zimmer, vor dessen Fenster nur Wald zu sehen ist. Mir gefiel der Gedanke an den Duft von feuchten Tannennadeln, dir der quadratische Grundriss, der ein zwei Meter Bett ermöglichte. Ich würde nicht nur wie ein Stein schlafen, erklärtest du, sondern auch wie einer rollen und grundsätzlich erst auf ihm zur Ruhe kommen. Den großen Tisch im Wohnraum wolltest du selbst machen – schließlich musste er um die Ecke des Kachelofens. Auf dessen Bank platzierte ich die Katze, die uns zulaufen würde und überlegte ob wir mit einem oder zwei Hunden leben würden.

Uneinig waren wir uns am Ende nur über die Farbe der Handtücher. Der Rest war klar. Wir bauten uns an diesem Nachmittag ein ganzes Haus um einen Bilderrahmen herum. Hätten wir mehr Zeit gehabt, hättest wir es geschafft. Wir hätten dem Besitzer das Grundstück und die beiden Hütten abgeschwatzt. Ich weiß, dass wir es geschafft hätten. Noch heute stelle ich mir vor, dass ihr beide – du und mein Vater – es geschafft hättet mir dieses Haus auf der Waldlichtung genau so umzubauen. Ein Architekt und ein Handwerker, mehr braucht es doch nicht. Gesprochen hättet ihr vermutlich nicht sehr viel oder erst beim zweiten Bier. Aber ich, ich wäre plappernd in der Sonne gesessen und hätte euch damit in den Wahnsinn getrieben.

Der Bilderrahmen hängt heute an der Wand, die nie versetzt wurde.

50 Gedanken zu “Der Hirschkopf bleibt!

  1. IKEA bringt es an den Tag! Vor der Hochzeit tingelten wir damals durch Fachgeschäfte, um Geschirr für den ‚Geschenketisch‘ auszusuchen. Das war aufschlussreich und hätte mich warnen sollen. Es hat dann langfristig nicht funktioniert. Wie könnte es auch – mit einer Frau, der englisches Porzellan mit Goldschnörkeln nicht gefällt?!?
    [Kein Scherz, aber hoffentlich lustig ;-)]

    Gefällt 3 Personen

  2. Ikea ist genau das: mit Möglichkeiten im Kopf zu spielen, das haben die echt drauf…und wenn man sonst nichts kauft, Kerzen und Servietten gehen immer. Da gibts auch keinen Streit um die Farbe, nur ob es SCHON WIIIIEEEDER welche sein müssen. Ja, müssen, braucht frau IMMER, auch wenn sie nicht romantisch veranlagt ist. Und ich liebe es, im Restaurant zu sitzen und die Leute zu beobachten – die Gänge sind mir meist zu voll. Besonders in Altona… Da kann man dann die beengte Wohnsituation, die junge Paare anfangs eingehen, schonmal nachempfinden. Ist eben immer ein Erlebnis. Ich finde als Beziehungstest erst zu Ikea und dann ein Kurzurlaub 😉
    Schöne Sonntagsgrüße

    Gefällt 3 Personen

    1. Ich besuche die Läden auch gerne. Zum einen, wann man immer etwas findet und zum anderen, weil ich dort sehr gerne die Leute beobachte.
      Vieles Gefällt mir auch nicht. Bei Bildern aber zum Beispiel, da will ich keines haben. Die müssen bei mir einen persönlichen Bezug haben. Die Mischung macht es.
      Ich hatte noch nie Probleme – weder im Urlaub noch bei Ikea. Aber sollte es mal so gar nicht passen, dann würden die beiden Experimente sicher auch gründlich schief gehen.

      Liebe Grüße und einen schönen Sonntag

      Gefällt 3 Personen

  3. … bei meiner ersten Liebe wusste ich, dass ich bleibe als ich sein Bücherregal sah, nicht nur wegen der Autoren sondern auch auf Grund der Optik… alle Bücher waren vom Diogenes Verlag in Taschenbuchausgaben, die Buchrücken ausschließlich Weiß, Gelb und Schwarz … es hielt 8 Jahre… bei IKEA waren wir nie ;-D

    Gefällt 2 Personen

  4. Den Streit eines Paares mitzuerleben berührt auch mich unangenehm. Vor allem, weil meine gute Erziehung (oft totgeglaubt – immer wieder auferstanden) mir nicht erlaubt, so laut zu lachen, wie ich gerne möchte. 😉
    Irgendwie habe ich diese Vision wechselfarbener Heimtextilien. D.h. die Farbe passt sich der Gemütsverfassung der Benutzer an. Das vermeidet Uneinigkeit bei der Auswahl. Und später wird’s desto lustiger – wenn sich beispielsweise das Tischtuch durch ausgesprochene Übellaunigkeit grün verfärbt:
    „Herrschofdseitn, muasd ma du ollawei dös Dischduach griagrantln? Hiasch, damischa!“
    [oder in schönstem Standarddeutsch: Herr schafft Saiten – müssest mir du alleweil das Tischtuch grüngranteln? Hirsche, damenhafter!]

    Gefällt 4 Personen

    1. Mein Freund hat immer alles, was ihm lächerlich erschien, laut kommentiert und mich dabei in Verlegenheit gebracht – aber eigentlich hatte er recht und ich so immer etwas zum lachen (leise und verschämt).
      Uh…die Heimtextilien sind aber auch gefährlich. Wenn sie sich bei Verliebheit rosa färben und ein eigentlich zerstrittenes, auseinander gelebtes Paar vor einem solchen rosa Tischtuch sitzt….dann gibt’s ärger und die Frage „wer ist es?“
      Grüngranteln gefällt mir so gut, dass ich es übernehmen werde. Natürlich als greagrantln. Feine Idee, lieber Random.

      Gefällt 2 Personen

      1. Möglicherweise bin ich ja auch nur zurückhaltend, weil es länger lustig bleibt, wenn die Streitenden sich unbelauscht fühlen. 😀
        Diese Heimtextilien würde ich wahrscheinlich nicht wirklich haben wollen. Mir gefällt daran in erster Linie die Vorstellung, was wäre, wenn andere welche hätten…

        Gefällt 1 Person

    1. Klasse Artikel.
      So wirklich nachvollziehen kann ich es aber nicht. Genauso wenig wie Ehekrisen wegen einer falsch ausgedrückten Zahnpastatube. Bei Kleinkram bin ich in den letzten zwanzig Jahren tiefenentspannt 🙂

      Gefällt 3 Personen

      1. ich kann es auch nicht nachvollziehen, ich denke, es sind eher nur Machtkämpfe, die ein Schlachtfeld brauchen 😉

        Gefällt 4 Personen

      2. Ja, ganz bestimmt ist es so, dass es um Machtkämpfe und Schlachtfelder geht. Notfalls eignen sich schon auch der Zustand der Zahnpastatube oder die Farbe der Handtücher als Ausgangspunkt für Streit. Zumindest wenn keine substantielleren Meinungsverschiedenheiten in Sicht sind ;-}

        Gefällt 2 Personen

      3. So wie Sex in einer Beziehung innerhalb kurzer Zeit pretty boring wird, so ist das auch beim gemeinsamen Abendessen, es wird von Tag zu Tag immer langweiliger…

        Deshalb werden vorübergehend kleine interessante Beziehungsspielchen geschaffen, wie z.B. polemische Diskussionen über die „richtigen“ Schuhe oder Zahnpasta oder Autos oder oder oder…

        Altogether this keeps every boring relationship going and makes a lot of fun!

        Like

  5. Allerfeinst! Solche Planerei, die von jemandem mitgetragen wird,
    der es auch fertigbrächte, die ist toll – ich erinnere mich…:-)

    Beste Grüße,
    Silbia

    Gefällt 1 Person

  6. Ich habe Deinen Blog zwar erst vor wenigen Wochen entdeckt, doch ich freue mich mittlerweile auf jeden Deiner Artikel. Irgendwie schaffst Du es, nicht nur Bilder mit Deinen Wörtern zu malen sondern mich auf eine emotionale Reise zu schicken. Es begann alles so lustig mit Ikea und wurde am Schluss so richtig bittersüß melancholisch… Aber vielleicht liegt das auch nur an der Musik. Oder an der Wand, die niemals versetzt wurde.

    Danke.

    Mira

    Gefällt 2 Personen

  7. Mich fasziniert, wie du mit dem literarischen Du deine Erinnerungen aufleben lässt, liebe Mitzi. Ich glaube, mir wäre das zu gefährlich, weils einen doch emotional stark mitnimmt, wenn es um eine verlorene Beziehung geht, die Erinnerung aber doch eine schöne Erfahrung ist. Nicht?

    Gefällt 2 Personen

    1. Es ist wohl ähnlich wie mit deinem guten Freund, lieber Jules. Ich halte meine Erinnerung lieber hier, als auf dem Friedhof aufrecht.
      Alles was mir wirklich nahe geht und mich noch belastet, findet man hier nicht. Nur das, was bereits akzeptiert wurde.

      Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar