Montags Einhorn

Heute hatte er keine Chance. Der Montag. Nicht den Hauch einer Chance gönnte ich ihm, als er gerade einmal sechs Stunden alt war. Unter normalen Umständen hätten wir – der Montag und ich – ein paar Minuten miteinander gerungen und uns dann damit abgefunden, den Rest des Tages miteinander zu verbringen. Die besten Freunde werden wir bis zur Rente nicht mehr, aber er steht mir näher als zum Beispiel der Dienstag. Der Dienstag ist ein unmöglicher Tag. Er verlangt von mir, dass ich mich in einer 90 Minuten langen Sportstunde quälen lasse. Gleich nach dem Aufwachen erinnert er mich daran, dass ich die Sporttasche packen muss und grinst mich den ganzen Tag über hämisch an. Immer wenn ich die Quälerei am Abend vergesse, kommt er um die Ecke und raunt mir zu, dass mein Tag erst um halb zehn Enden wird. So gemein ist der Montag nicht. Montag und ich, das passt schon.

Heute nicht. Heute war kein Platz für Montag. Der Sonntag saß noch auf dem Sofa, der Samstag lag im Bad und der Freitag lungerte in der Küche. Zumindest die Reste der jeweiligen Tage. Sonntags-Weingläser auf dem Couchtisch und Sonntags-Besuchs-Geruch in den Kissen sind hübscher als Montags-Weckergebimmel. Im Bad die Reste von Samstag. Badeperlenstaub in der Wanne und Lippenstiftreste an, mit den Zähnen geöffneten, Zahnpastatuben. Da kann die Montagmorgen-Feuchtigkeitscreme nicht mithalten. Auch die Küche war besetzt. Die Freitagabend-Saucentöpfen standen im Weg. Das Montagsmüsli lacht da nur müde. Kein Platz für Montag. Die ganze Wohnung war noch vom Wochenende in Beschlag genommen. Der arme Kerl hatte verloren. Und dabei hat er alles versucht, um mir ein Lächeln zu entlocken.

Er kann ja nichts für das verregnete Wetter und versuchte tapfer, das Nasskalte für mich schön zu machen. Er lies den Regen durch die Äste der Kirschbäume prasseln, damit sich kalter Regen mit zarten, rosa Blütenblätter-Schauern vermischte. Einen ganzen Schwung hat er mir in die Haare geworfen und ich habe ihn trotzdem nur angeraunzt. Erst als er einige der kleinen Blätter auf ein Knäul Regenwürmer warf und sie tanzen lies, lächelte ich kurz. Nur einen Moment, bis der Wind meinen Regenschirm umklappte und ich frierend weiter lief. Für Montag war noch immer kein Platz in meinem Kopf. Kopf und ich wollten in die Samstags-Badewanne oder das Sonntags-Sofa. Fast hätte er mich doch noch milde gestimmt, der Montag. Am Vormittag schickte er mir eine als Spam getarnte E-Mail mit dem Betreff: „Auch du kannst ein Einhorn sein, Mitzi.“ Harte Geschütze um mich abzulenken. Ich lief von Büro zu Büro und erzählte, dass das doch wohl der hübscheste und zugleich bizarrste Spam-E-Mail Betreff aller Zeiten ist. Meine Kollegen hatten ihre eigenen Montage auf dem Schoß sitzen und lächelten nur müde. Erst am frühen Nachmittag stand einer in meiner Tür und fragte:  „Hey Einhorn. Scheißtag, oder?“ Ich zuckte mit den Schultern und schämte mich ein bisschen. Man hat im Jahr schließlich nur 365 Tage und es wäre ziemlich blöd 52 davon mit schlechter Laune zu verbringen, nur weil sie am Wochenanfang stehen. Der arme Kollege erlebte mit, wie schnell sich meine Laune ändern kann und erhielt in den nächsten Stunden mehrere E-Mails mit dem Betreff: „Lieber Herr X, auch Sie können ein Einhorn sein!“ Mein Kollege ging heute schon früher und bereute es wohl bitter, mir vor einiger Zeit auch seine private E-Mail verraten zu haben.

Montag und ich sind mittlerweile zu Hause und haben hervorragende Laune. Nicht nur, weil mir bewusst wurde, dass morgen Dienstag ist und die Zeit vor Dienstag genutzt werden will. Nein, wir sind auf dem Heimweg an einem Blumenladen vorbei gekommen und ich habe mir Freesien gekauft. Die ersten dieses Jahr. Beim Geruch von Freesien habe ich ausnahmslos immer gute Laune.

Steht Ihnen der Montag im Weg? Auch Sie können ein Einhorn sein! Sein Sie mutig und öffnen Sie die E-Mail, falls Sie auch in Ihrem Postfach gelandet ist. Ich würde zu gerne wissen, was darin steht. Aus Angst mir unnötiges Einhorn Zubehör zu bestellen, habe ich die Mail ungeöffnet gelöscht.

Es grüßt Sie ein Einhorn, das eben noch der Meinung war, das Blütenblätter verzierte Regenwürmer und eine Spam E-Mail genug Stoff für einen Text hergeben.

37 Gedanken zu “Montags Einhorn

  1. Herrlich! Nur als die Freesien ins Spiel kamen, tauchte in mir die unabweisbare Vision auf, wie Sie das lyrische Ich (quasi das Einhorn in Ihnen ihm) den ganzen Strauß erst kurz anschauet und dann ratzeputz aufmampft. Scusi. Je besser der Text, desto eindrücklicher die Bilder, auch wenn sie darin evtl. gar nicht vorkommen!

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    1. Oje, ich hoffe Freesien sind nicht giftig.
      Es täte mir leid das Einhorn – oder am Ende mich – versehentlich vergiftet zu haben. Sollten hier Parallelen zwischen Einhorn und mir bestehen, dann ist die Gefahr groß. Es dürfte dann genauso verfressen sein, wie ich. 😉

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  2. Oh und das tun sie. Sie tragen sogar noch weiter. Ich stelle mir die Fortsetzung als ein Abenteuer-Roadmovie vor, in dem Mitzi sich auf die Suche nach dem Urheber der Mail aufmacht, um die Einhorn-Metamorphorse zu vollziehen.
    Aber auch allein für sich bewundere ich deine Disziplin, in einem solch aufgeräumten Haushalt zu wohnen. Mir hat gerade der Montag der letzten Woche zugewinkt. 🙂

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  3. Ich hatte oft schon am Sonntag miese Laune, weil ich daran dachte, dass ich am Montagmorgen nicht aufstehen mag. Damit ich das nicht mehr mit dem Montagmorgen ausfechten muss, habe ich schon seit einigen Jahren meinen Arbeitsbeginn am Montag nach hinten verschoben. Heißt zwar auch etwas später Feierabend, aber am Montag war mir das lirgendwie egal. Für mich eine feine Lösung. Und an meinem Montagmorgen dürfte niemand mehr rütteln!

    Liebe Grüße,
    Silbia

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    1. So kleine Fluchten, werden einem heilig.
      Bei mir ist es der Freitag Nachmittag. Am Donnerstag arbeite ich meinetwegen bis um acht – aber am Freitag will ich um zwei gehen. Immer 🙂

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  4. „Always be Yourself, Unless You Can Be a Unicorn, Then Always Be a Unicorn“

    Buch von Pernille Kok-Jensen über die „Weird and Wonderful World of the Generation Tumblr“, das ich ziemlich bescheuert fand und schnell zur Seite legte, lang bevor ich die letzte von 150 Seiten erreicht hatte. Nicht dass ich womöglich noch zum Einhorn mutiert wäre.

    Aber „Pernille“ finde ich einen tollen Vornamen.

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    1. Um Bücher die „Generation“ im Titel tragen, mache ich einen weiten Bogen. Der Name ist aber wirklich toll.
      Ob ich wirklich ein Einhorn sein möchte? Seit ich mit fünf den Film gesehen habe, eher nicht 😉

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  5. Also, wenn ich irgendwann anlässlich einer Spam-Email solche Artikel zusammen bringe, klopfe ich mir auf die Schulter, lehne mich zurück und lasse den Montag Montag sein. Oder eben Dienstag. Mittwoch. Notfalls auch Donnerstag. Begrüße den Freitag. Und feiere mit dem Samstag die Ankunft des Sonntags.

    Apropos Dienstag: Was ist das nochmal für eine Sportstunde am Dienstag in der Früh?

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    1. Das klingt nach einem guten Plan.
      Überhaupt sollte man sich ruhig auch grundlos auf die Schulter klopfen und durch die Woche schlittern.

      90 Minuten von allem etwas. Ausdauer, Boxelemente und Bauch Beine Po 😉

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      1. Ach du meine Güte, da schwitzt man doch so. Gar nicht ladylike. Da gehe ich doch lieber schwimmen. Um sechs Uhr in der Früh. In einem eiskalten Bus. In einem eiskalten Wasser. Immerhin schwitzt man dann nicht.

        Ups, habe mich gerade erinnert: Ladies schwitzen nicht. Sie transpirieren. In dem Sinne: Weiterhin fröhliches dienstagliches Transpirieren 😉

        P.S.: Nein, ich bin nicht die Wahnsinnige, die um sechs Uhr in der Früh ihre Bahnen zieht. Jedenfalls nicht mehr.

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  6. Tatsächlich. Auch ich habe eine Einhorn-Mail im Postfach vorgefunden. Und natürlich gelesen. Amüsant. Geistreich. Selten so was Spannendes gelesen. Also, es geht in der Einhorn-Mail darum, dass…
    Aber, halt! Bei meiner Mail steht im Betreff nix von ‚Mitzi‘. Vielleicht stand in deiner Mail doch was ganz anderes. Und überhaupt… Du würdest dich wahrscheinlich nur ärgern, weil du die Mail ungelesen gelöscht hast. Genieße einfach den dienstagsvorfreudigen Restmontag. 😉

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    1. Du hast wahrscheinlich recht und es ist besser, dass ich gar nicht erst weiß welch geistreiche Text mir entgangen ist.
      Am Ende, würde ich dann jetzt nicht mit der Sporttasche in der Hand, im Türrahmen stehen, sondern längst auf einem Einhorn…

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      1. Stimmt. Die Nebenwirkungen wären unabsehbar…
        Und geistreiche Texte findet man ja immer wieder (und zur Not kann man sie selber noch ein wenig anreichern). 🙂
        [Sprach das Gespenst – und geisterte weiter im Text…]

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  7. Ich möchte ein Einhorn sein! Leider wird mir nur Gewichtsreduktion, Darmreinigung, Brustvergrößerung oder Penisverlängerung angeboten. Was hast du getan, um Einhörnerangebote zu bekommen? Mir scheint, wir müssen uns auf ein Glas Wein treffen 😉

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    1. Den von dir genannten Mist habe ich leider auch. Das Einhorn war wohl die Entschädigung für den Montag.
      Aber vielleicht erspart uns ein Glas Wein künftige seltsame E-Mails. Ich weiß nicht wie das funktionieren soll, aber einen Versuch ist es wert. 🙂

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    1. Ich fürchtete, dass du mir den Link zu einem leuchtenden Horn schickst, das man sich auf den Kopf schnallt. 😂
      Aber diese kleinen Lampen sind goldig.
      Liebe Grüße

      PS die nächste Einhorn Mail mach ich auf. Wenn sie was taugt, leite ich sie dir weiter. 😉

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  8. Ein in jeder Hinsicht nachvollziehbarer und wunderbar geschriebener Text! Fein zu lesen.
    ABER bezüglich der Einhörner bin ich etwas im Zweifel. Sind das nicht die Viecher, die nur für Jungfrauen sichtbar sind oder die nur mit Jungfrauen kommunizieren ? Ob das nicht zu progressiver Einhörnervereinsamung führt ?! Außer natürlich in Saudi-Arabien, aber ob Einhorn dort leben möchte ?

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  9. Liebe Mitzi,
    ich kann Einkaufszettel, Blogartikel und Blogkommentare schreiben. Ich kann auch schreiben, wie sehr mir Ihre Texte gefallen. Aber ich kann es nicht in Worte fassen, welche Gefühle diese Texte auslösen. Für diese tiefempfundene Begeisterung finde ich einfach keine Sprache – nicht einmal einzelne passende Worte!
    DANKE!
    Gruß Heinrich

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  10. Herrlich! So habe ich die Wochentage noch nie gesehen. Weg mit dem montagsmüsli und her mit der Sonntagscouch! Dieser Sonntag jedenfalls hat mir etwas wunderbares beschert:)

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