Das Textduell

Herzlichen Dank an  den lieben Wortmischer der die Idee eines Textduells hatte und es binnen weniger Stunden promt umsetzte. Zwei Texter, schreiben über das gleiche, vorgegebene Szenario aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Vorgaben sind  in der Gedankenschmiede nachzulesen. Mit  Jules hat er mir einen Partner an die Hand gegeben, den ich sehr schätze und in dessen Teestübchen der Ursprung des Textduells zu finden ist. Das Wort „Duell“ behagte mir anfangs nicht. Nicht nur, dass ich mich einem solchen Wortduell mit Jules gar nicht erst stellen würde – das ist wie Keks und Krümel – ich empfand es auch nicht als Duell, da wir ja unabhängig voneinander an etwas gemeinsamen arbeiten. Letztendlich ist es das aber doch. Ein Kampf mit dem eigenen Text, der so geschrieben sein sollte, dass er dem anderen, unbekannten Text des Partners nicht im Weg steht. Ob mir das gelungen ist oder ob ich etwas fabriziert habe, das als Themaverfehlung gilt, wird sich  zeigen. Spaß und Freude hatte ich allemal.

Elli

Was ist Ihr erster Impuls, wenn Sie morgens die Augen aufschlagen? Das erste Gefühl, das ihren noch schlafenden Körper durchströmt? Bei mir ist es das Gefühl unbändiger Freude. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt, sang meine Mutter  an meinem Bett. Nicht wissend, dass ich jede Nacht mit einer Unsicherheit einschlief, morgens aber unendlich erleichtert und mit dem Gefühl größter Freude wieder aufwachte. Auch wenn ich es mittlerweile nicht mehr Gott zuschreibe, morgens aufzuwachen, ist die Freude geblieben. Ein neuer Tag, bedeutet eine neue Chance. Eine Chance auf Glück. Daran halte ich mich fest, wenn die Freude über das Aufwachen verebbt und ich einen neuen Anker brauche. Man kann nie wissen, ob genau an diesem Morgen der eine Tag angebrochen ist, welche der Anfang für ein glückliches Leben ist. Ich definiere Glück nicht. Ich weiß nur, dass in diesem, meinem Leben, noch mehr drin sein muss. Also stehe ich auf und gebe dem Tag eine Chance – frei nach dem Motto „wer nicht Lotto spielt, kann auch nicht gewinnen.“ Ich bin kein Gewinner. Nicht solange ich Tag für Tag gegen Mittag unsichtbar werde.

Ich verblasse, wenn niemand meinen Akku auflädt. Mit jeder Stunde die verstreicht, werde ich durchsichtiger bis ich am Abend nicht mehr zu sehen bin. Verstehen Sie mich nicht falsch, man läuft nicht durch mich hindurch – ich bin ja noch da – man sieht mich nur nicht. Wie jetzt in diesem Moment zum Beispiel. Ich stehe mitten in den Räumen einer Galerie. Ich bin nicht zu übersehen und doch werde ich nicht gesehen. Ich bin wie eine Fahnenstange, dessen Stange niemanden interessiert und deren hübsches Fähnchen kaum einer ansieht, weil er sich nicht die Mühe macht, den Kopf in den Nacken zu legen. Ich stehe im Weg, das spüre ich an dem Blick in meinem Rücken und weigere mich zur Seite zu gehen. Ich will vollständig gesehen werden, notfalls mit Gewalt. Die Stange, die Fahne und die Schnüre. Ich habe versucht mir mein Fahnenhaar bis zur Mitte meines Stangenkörpers wachsen zu lassen – sinnlos. Kein Blick hangelt sich daran nach oben und er muss doch nach oben, ach, verlassen wir das dumme Fahnenbild. Durch meine Augen blickt ja doch keiner in mein innerstes Ich. Meinetwegen kann man mir auch in den Finger schneiden und durch diesen Schnitt in mich hinein sehen. modart_pixabaySo habe ich es Moina erklärt, als sie mich fragte wo mein Ich den sitzen würde. Ich sagte ihr, dass es womöglich längst nach unten gerutscht ist. Nicht in den Bauch, nicht in diese dunkeln Höhle – es will ja ans Licht. Ob mein Ich in den Händen liegen könnte, hat sich mich gefragt und ich habe genickt. Ihre gemalten Hände, die ich jetzt betrachte, sind mein Ich. Könnte ich mich selbst mit einiger Entfernung vor dem Bild Moinas stehen sehen, würde ich sehen wie mein Hände-Ich meinen Stangenkörper umfasst. Sieht das einer?

Ich drehe mich um, weil mir der Blick in meinem Rücken auf die Nerven geht.  Na, siehst du es, frage ich ihn provozierend wortlos. Keine Ahnung was er sieht. Ich bin zu müde, ihm zu erklären, dass die wenigen hellen Flecken an den Fingerspitzen ich bin. Eigentlich nur dieser eine helle Punkt, ich bin ja nur Eines und nicht Vieles. Manchmal auch andersrum. Obwohl es mühsam ist, erkläre ich es ihm wortlos mit einem Blick, den er kaum zu deuten wissen wird. Wo sitzt sein Ich? Im Bauch, bei den Resten der Schnittchen und des Sekts? Schnittchen und Sekt, ermüdend langweilig. Wenn er jetzt zu den Fressplatten geht, dann erkläre ich ihm gar nichts mehr. Die Schnittchenesser und Sekttrinker sind mir verhasst. Sie sind nur hier um sich den Bauch vollzuschlagen. Mein Ich interessiert sie nicht. Er bleibt. Ich starre ihn an und frage mich, ob ihm bewusst ist, dass wir bereits begonnen haben uns zu unterhalten. Man unterhält sich so selten wirklich intensiv. Meist wird es durch den überflüssigen Gebrauch zu vieler Worte zu einem banalen Geplapper. Jetzt nur kein falsches Wort. Gerade die nicht ausgesprochenen Sätze, können so vieles verderben. Ich schweige wortlos und unterhalten mich eine Weile mit seinen Händen, die im Zweifel die besseren Gesprächspartner sind. Die seinen und die meinen sind sich ähnlich. Fünf Finger, je zwei Mal und hübsch anzusehen. Unsere Reste gleichen sich kaum. Mir ist´s egal, ich bin´s gewohnt.

Wie lange kann man sich stumm unterhalten ohne das sich ein unangenehmes Schweigen dazwischen drängt? Ich weiß es nicht und fürchte mich davor den Bogen stillen Geplappers zu überspannen und ihn zu überfordern. Hier im Schatten von Bildern, die gefälligst mit dem nötigen Respekt angesehen werden müssen ist es noch leicht. Aber später…. Früher oder später müssen wir hier raus. Wenn er sich bis kurz vor acht nicht an den welken Canapès vergriffen und den abgestanden Champagner nicht in sich hineinschüttet hat, dann vielleicht. Vorsicht, Elli – die Schnittchen werden schon zu Canapés und die Plörre zu Champagner. Egal, wenn er die Finger davon lässt, dann vielleicht. Dann erzähle ich ihm von dem Glück, das mich am frühen morgen durchströmt. Vom Glück und der Hoffnung, dass endlich etwas passiert mit meinem Fingerspitzen-Ich und meinem Fahnenstangen-Körper.  Ich werde schon nachsichtig und gestehe ihm einen kleinen Fehltritt zu. Ein Glas oder einen Bissen, aber nicht mehr. Wir müssen hier raus. Das muss er doch merken.

22 Gedanken zu “Das Textduell

  1. Wunderbar!

    Hier merkt man deutlich, trotz Badelatschen und Jogginghose, den Unterschied zum Manne. Sehr viele bis in die kleinste Kleinigkeit durchdachte Gedanken mit ein bisschen viel zu viel Selbstzweifel … 🙂

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  2. Die feinfühlige Elli hat so ein zartes Gemüt und ist in ihrer reichhaltigen inneren Welt zu schade für die Welt einer Chemnitzer Galerie, wo sie vor allem mit Exzentrikern wie Pascal Ronnenberg konfrontiert ist, der mal wieder nichts merkt. Typisch.
    Liebe Mitzi,
    dein hübscher Text ist so was von typisch für dich und deine Weise zu schreiben. Tut mir leid, dass ich das gar nicht vorausgesehen habe und, um auch keinen Gag auszulassen, an deiner bzw. Ellis Gefühlswelt vorbeigeschrieben habe.
    Spaß hat es trotzdem gemacht.
    Lieben Gruß,
    Jules

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    1. Nichts darf dir leid tun, lieber Jules. Auch ich hätte ahnen können, dass du bei dieser Vorlage aus dem vollen schöpfst. Gerade der Kontrast ist aber amüsant. Elli und Pascal der Beginn einer katastrophalen Liaison ;). Wenigstens ahnte ich, dass deine Figur sich den Bauch voll schlagen wird.
      Es hat Spaß gemacht!
      Liebe Grüße
      Mitzi

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  3. Ich liebe es: Zwei so unterschiedliche Texte, die sich so prächtig ergänzen. Hier die verblassende Fahnenstange, die sich am Bauch-Ich des Schnittchenfressers reibt, und dort der aufgeblasene Kulturjunkie, der sich in die Fahnenstange verguckt. – Vielen lieben Dank für Deinen Mut und das schicke Ergebnis!
    (Ich finde, wenn man Eure Geschichten mischte, könnte man direkt einen Kurzfilm daraus machen.)

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    1. Es würde einen sehr schrägen Episodenfilm abgeben. Aber auch ich habe Jules Pascal überdeutlich vor Augen gehabt und in Gedanken den Auftakt weiter gesponnen, denn keiner von uns beiden deutete an was nach acht Uhr geschah.

      Vielen lieben Dank für dieses schöne Duell.

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      1. ja…aber eine wirklich Zukunft sehe ich für die beiden nicht 😉 Ihr habt das beide auf unterschiedliche Weise klasse gelöst!!!!

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  4. Ja, manchmal hat man vor lauter Sehnsucht einen Schleier vor den Augen und sieht nicht, wer vor einem steht … da ich Trithemius‘ Text zuerst gelesen habe, möchte ich Elli zurufen: Immer zuerst auf die Schuhe schauen! (- das wußte schon meine Großmutter) Und sobald du das Sushi entdeckt hast, weißt du ernüchtert: Nichts wie weg! Und zwar allein!
    Leider ist die Sehnsucht oft stärker. 😉

    Sehr schönes Experiment. Aus der Idee könnte man sogar ein ganzes Konzert machen.

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  5. Éin schöner, ,,zarter Text!“ Es hat mir wieder echte Freude bereitet , ihn zu lesen, seine Worte zu genießen… Elli ist in ihrem Egoismus gefangen, möchte wahrgenommen werden, ohne aktiv und ohne Vorurteile wahrnehmen zu können, schafft nicht den Sprung in die reale Kommunikation aus Angst vor ,,Geplapper“, was, sie sie selbst auch weiß, genauso in der nonverbalen Kommunikation stattfinden kann. Die dritte Möglichkeit der Kommunikation ist ausgegrenzt: Mit der Hilfe verbaler Worte nonverbal miteinander zu reden…Auf der anderen Seite hat sie etwas verstanden, was sie über die meisten Menschen erhebt, nämlich dankbar für das Leben zu sein und ihm eine Chance zu geben… Ich wünsch Dir eine wunderschöne, kreative Zeit, Nessy von den happinessygirls

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    1. Danke für deine schönen Zeilen, liebe Nessy.
      Der Versuch hat viel Spaß gemacht und gerade weil sich die Texte so unterscheiden, mag ich das Ergebnis ganz besonders.
      Liebe Frühlingsgrüße

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