Spontan entschieden

Wichtige Entscheidungen treffe ich gerne spontan, aus dem Bauch heraus und unter Missachtung jeglicher Aspekte der Vernunft. Nicht alle. Aber etwa ein Drittel der wichtigen Entscheidungen wird von mir ohne vorheriges Nachdenken getroffen. Mit siebzehn zum Beispiel beschloss ich, dass ein ganz bestimmter Mann mein zukünftiger Seelenverwandter werden würde, obwohl ich noch kein Wort mit ihm gesprochen hatte. Drei kleine Muttermale auf der linken Wange erinnerten mich an den Gürtel Orions und waren mir Zeichen genug. Mir ein sonnig gelegenes Grab unter den Nagel zu reißen, war eine ebenso spontane Entscheidung, wie die, mir den Mann mit Orions Gürtel auf der Wange zu schnappen. Beide waren zum Zeitpunkt der jeweiligen Entschlussfassungen noch belegt. Der Mann hatte seine damalige Freundin noch nachts neben sich liegen und im Grab lagen zwei Verstorbene.

Von fremden Gräbern hätte ich die Finger gelassen.  Das man aber Tante Mitzis und Onkel Michels Grab nach langen Jahren aufgeben wollte, behagte mir nicht. Ein letztes mal besuchte ich das Grab, weil ich mir die Geburtsdaten notieren wollte. Ich biss in einen mitgebrachten Apfel und fragte mich, was mit den möglichen Resten darin dann eigentlich geschieht. Man kann mir Pietätlosigkeit unterstellen, aber es interessierte mich einfach. Kauend rief ich die Friedhofsverwaltung an und fragte nach. Wenn Sie mich für unsensibel gehalten haben, dann rufen Sie mal in der Verwaltung am Westfriedhof in München an. Dort erklärt man ihnen – ohne dass Sie nach Details gefragt hätten – , dass es schon mal vorkommen kann, dass noch Oberschenkelknochen und Schädel auftauchen.  Man würde sie in der Erde lassen und den neuen Sarg darauf setzen. Ein fremder Kerl auf Tante Mitzis Oberschenkeln? Na, da würde sich der Michel bedanken. Wie viel eine Verlängerung den kosten würde, erkundigte ich mich und erfuhr, dass man in der Verwaltung jetzt Mittagspause machen würde. Fragen würden erst ab 13:00 Uhr wieder beantwortet werden. Am besten persönlich, es sei ja doch ein empfindliches Thema.

Empfindlich waren die dort nicht. Kennen Sie ein paar der alten Münchner Fernsehserien die in den Achtzigern im Vorabendprogram gelaufen sind? Vielleicht den Monaco Franze, die Polizeiinspektion 1 oder wenigstens alte Tatort Folgen? Falls nicht, müssen Sie sich keine DVD´s kaufen. Gehen Sie einfach in die Friedhofsverwaltung in der Baldustraße. Kulisse, Protagonisten, Mundart und sogar Kostüme sind dort hervorragend erhalten geblieben. Suchen Sie das Gespräch mit einem Herrn Bogner!

Ich: „Hallo.“
Bogner: „Grüß Gott!“ – mit strafender Stimme.
Ich: „Grüß Gott!“ – als Münchner hätte ich es wissen müssen. Noch dazu am Friedhof. „Ich möchte das Grab meiner Tante Mitzi kaufen.“
Bogner: „Weiß die das?“ – er sitzt mit dem Rücken zu mir und verspeist die Reste einer Leberkäs`Semmel.
Ich: „Ja, ich hab´s ihr gerad´ gesagt.“ – hätte er sich umgedreht, hätte er den missglückten Witz vielleicht verstanden.
Bogner: „Und? Was sagt´s, die Tante?“
Ich: „Nix. Sie liegt ja drin.“ – jetzt dreht er sich um und wischt sich umständlich den Mund mit einem Stofftaschentuch ab.
Bogner: „Wo liegt´s denn?“
Ich wusste es nicht und erntete einen strafenden Blick. Obwohl Computer auf den Tischen stehen, erhebt sich Herr Bogner leise schnaubend und schreitet eine Regalreihe mit Ordnern ab. Einmal geht er zurück zum Schreibtisch um seine Brille zu holen, einmal um sie wieder abzulegen. Ein drittes Mal kehrt er mit einem Ordner unter dem Arm zurück und wirft ihn krachend auf den Tisch. Er blättert recht langsam. So eine Münchner Leberkäsesemmel will erst mal verdaut werden.
„Jetzad´le!“,  sagt Herr Bogner, was so viel heißt wie, sieh einer an, da haben wir es gefunden, und kommt mit einem vergilbten Blatt Papier zu mir.
„Mihael und Maria Irsaj….Ausländer?“ Wenn einer wie Bogner das fragt, hat es nichts mit Rassismus zu tun, sondern entspringt einer etwas plumpen Neugier.
„Er. Jugoslawien. Sie nicht.“ Einem wie Bogner reicht das. Er nickt zufrieden und informiert mich über das was ich schon weiß. Das Grabnutzungsrecht ist vor vier Wochen ausgelaufen. „Drum will ich´s ja kaufen.“
„Na, na, na, na, na.“ Stottert er schnell und plötzlich munter, mit erhobenem Zeigefinger. „Kaufen können Sie hier gar nix. Nutzen, das können Sie.“ Er legt seine Hand auf die meine. „Brauchen´s aktuell an Platz? Des wäre schon wieder möglich. Locker, sogar!“ Er scheint sich zu freuen und hakt nach. „Hamma jemanden?“
Ich schüttle den Kopf. Im Moment erfreuen sich alle bester Gesundheit.
Fast scheint er enttäuscht zu sein und fügt ernst hinzu, dass sich das ja ganz schnell ändern könne. Urnen seinen übrigens auch möglich. „Liegt Ihnen des eher?“
„Mir schon, ja. Aber grad haben wir niemanden zum Beerdigen.“
„Kann schnell gehen.“ Der Herr Bogner. Ein echter Sonnenschein. Er informierte mich noch über das was erlaubt war und was man nicht durfte.  Das besondere Highlight hob er sich für den Schluss auf. „Den Grabstein, bekommen´s ganz umsonst. Den wollten die anderen nicht. Pietätlos, wenn´s mich fragen.“

Die „anderen“ war mein Großonkel und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er mit dem Ding hätte anfangen sollen. Das Aufstellen im Vorgarten, erschien sogar mir pietätlos. Mit einem zweiten Apfel schlenderte ich zurück zu Tante Mitzi und setzte mich im Schneidersitz vor ihr Grab. Ihr vor die Füße, sozusagen. Da saß ich als Kind schon. Ich glaub es hätte ihr gefallen, mich noch immer dort sitzen zu sehen. Mir gefällt es jedenfalls und ich freue mich schon heute darauf, wenn der Vertrag abläuft. Hoffentlich ist dann Herr Bogner noch da.

30 Gedanken zu “Spontan entschieden

  1. Auch spontan entschieden – hat aber ansonsten nichts mit diesem Beitrag zu tun…

    Es begab sich aber zu der Zeit…
    …also, ganz aktuell begibt es sich, dass dich Random Randomsen zu einem Trip einlädt. Gö, do schaust?
    Die Teilnahme ist natürlich sowas von freiwillig… Aber ich freue mich, wenn du mit von der Partie bist. Das Reiseprogramm für meinen Liebster-Award-Trip findest du hier:

    Liebster 1.2 – waschera?

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      1. Passt scho! 🙂 Es freut mich sehr, wenn dir mein Fragenkatalog zusagt. Und die anderen nominierten Blogs sind auf jeden Fall (mehr als) einen Besuch wert. Ich wünsche dir eine schöne und spannende Reise auf dem Liebster-Award-Trip.
        Herzliche Grüße, Random Randomsen

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  2. Herrlich erzählt deine Geschichte, ich sehe den Herr Bogner förmlich kauend vor mir. Was ist denn nun mit dem Grabstein paßiert? Ich kenne das mit den spontanen Entscheidungen auch, aber in Bezug zu Männern kann ich nur davon abraten 🙂

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  3. Du hast also bei deinem Seelenverwandten gleich Sterne gesehen? Besser gehts ja nicht. Die Szene in der Friedhofsverwaltung ist herrlich. Jetzt hast du also die Nutzungsberechtigung für ein „sonnig gelegenes Grab“. Obwohl ich deinen schönen Text jetzt mehrfach gelesen habe, finde ich keine Antworten auf folgende Fragen: Was hat die Verlängerung der Nutzungsberechtigung gekostet? Wann läuft sie aus? Was wurde aus dem Grabstein? Und zuletzt: Was sind das am Schluss für Löcher im Text?

    Und à propos: Was ist da Seltsames auf deinem Startbild als Hintergrund zu sehen?

    Es grüßt dich herzlich,
    Jules

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    1. Das passierte mir am Freitag beim Text „fremder Kopf“ auch schon. Da stand dann unten mit viel Abstand etwas vom der Unterwäscheabteilung im Karstadt – sehr unpassend, aber auch da hat man es mir gesagt. Konzentration, Mitzi!
      Gerne beantworte ich deine Fragen. 2009 bezahlte man für 15 Jahr 535 Euro für ein Grab in dritter Reihe. Am Weg ist es teurer – aber wie im Theater bevorzuge ich die dritte Reihe. Man bekommt alles mit, sitz aber nicht auf dem Präsentierteller. Der Grabstein stand noch, als ich verlängert habe – er ist also an Ort und Stelle geblieben. Wer weiß, vielleicht werfe ich mich irgendwann zu den beiden dazu. Herr Bogner meinte ja, dass Urnen auch gehen ;).

      Das Hintergrundbild ist ein Schnipsel Geschenkpapier, das ich zwischen meinen Blöcken gefunden habe. In Farbe würde man eine Gänseblümchen-Wiese erkennen. Ich finde so sieht es fast plastisch aus, als hätte ich Papierstreifen auf den Boden geworfen.

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  4. … hat Seelenverwandtschaft nicht etwas mit dem inneren Gleichklang denn der äusseren Faszination zu tun… egal, die im Geschäft mit dem Tod sind haben einen ganz eigenen nicht Humor der sich mit deinem Sinn für Komik wundervoll verbandelte… ;-D

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  5. drei sterne aus dem gürtel des orion – sehr schönes auswahlkriterium 😉
    und ein sonnig gelegenes grab in der dritten reihe – goldig 😉
    wieder eine bezaubernde geschichte – dankeschön dafür!
    ich glaub wir kennen uns eher nicht – oder kennst du wen aus der eifel???
    schönen abend – gute nacht!
    waldwanderer

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  6. Auch ohne TV (hab keinen) kann ich mir ein Bild vom werten Herrn Bogner machen.
    Ich glaube von dieser Art Mensch kennt jeder einen. Der Herr hier erinnert mich an ein Telefonat mit einem Herrn meiner Krankenkasse – auch mit Dialekt und alles muss seine Ordnung haben… 😉
    Mir fällt dabei ein und auf, ja, es war auch ganz spontan bei mir. Mit einem Friedhof habe ich nichts zu tun, aber mit einem Ruheberg. Da war es eine nette schriftliche Angelegenheit und mein Urnenplatz unter einer Buche im Wald ist gesichert… ehm reserviert für 20 Jahre, dann kann ich verlängern… 🙂

    Beste Grüße aus der Silbenkemenate,
    Silbia

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    1. Bogners gibt’s viele :)))
      Unter einem Baum. Das ist auch meine liebste Vorstellung. Da braucht es dann keinen Stein…ein lebender Baum ist ein schöner Ort, an dem alles wieder eins wird. Da würde ich meine lieben auch gerne besuchen.

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      1. Es ist ein Wald, der völlig naturbelassen bleibt. Kein Schmuck, maximal ein kleines Schild am Baum. Wenn man dort jemanden besuchen will, muss man auf die Uhr schauen, der Weg ist nach oben und unten jeweils für eine halbe Stunde freigegeben, für Autos. Also gaaanz abseits und mittendrin im Wald… so mag ich es.

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    1. Das scheinen die Beitragsbilder so an sich zu haben. Nach dem öffnen verschwinden sie. Oder ich habe den Dreh noch nicht raus.
      Vielleicht stelle ich sie mal über den Text direkt noch in den Artikel – dann schneidet es auch nicht immer die Hälfte ab.
      Liebe Grüße

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  7. Liebe Mitzi,
    ich befürchte, Dir geht die notwendige Ernsthaftigkeit ab, die unabdingbar ist, um Verwaltungsvorgänge jedweder Art mit der stoischen Demut hinzunehmen, die einem „guten“ Bürger zu Eigen sein sollte.

    Ich bin ein Fan bayrischer Mundart (allerdings nur im Fernsehen) obwohl mir fränkisches Blut (wobei nach der festen Überzeugung der dortigen Eingeborenen Franken gar nicht zu Bayern gehören darf) mütterlicherseits zu Teil wurde. Der Rest ist allerdings durch und durch Bergisches Land (W-SG-RS), somit unrettbar für weitere Assimilierungsversuche verloren.

    Dank deiner nicht vorhandenen Ernsthaftigkeit und der fehlenden Demut gegenüber Verwaltungsvorgängen durfte ich wieder lachen, über die Bogners dieser Welt, über Ämter im allgemeinen und im besonderen. Über die geistigen Windmühlenflügel, denen es auszuweichen gilt und denen man doch, beim besten Willen, nicht immer ausweichen kann. Da gilt es dann tapfer zu sein, das Visier herunterzuklappen, die Lanze festzuhalten und dem Gegner heroisch entgegenzutreten.

    Geh daher bitte noch recht häufig in Müncher Ämter (muss ja nicht nur die Friedhofsverwaltung sein – die kennen wir jetzt schon, Du hast da eine Riesenauswahl) und lass uns daran teilhaben.

    Zu Deiner Antwort von gestern, ich hätte eigentlich gern den Dialog fortgeführt, weil Du Dinge angesprochen hast, die mir wichtig erscheinen. Aber nicht nur Dir mangelt es an Zeit und das Kommentariat eines Blog sollte nicht zu sehr ausufern.

    So lasse ich die Dinge so wie sie sind, „hoppe“ von Veröffentlichung zu Veröffentlichung und werde sicher irgendwann eine passende Gelegenheit finden, die Gedanken vom 7./8. Februar anzubringen. Viele Grüße

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    1. Liebe Michael,
      das Franken zu Bayern gehört, erscheint auch mir ein großes Missverständnis zu sein. Österreich, ja da fühl ich mich mit dem Dialekt daheim und verstanden….aber Franken….Hübsch ist es da. Sehr sogar. Auch angenehme und freundliche Zeitgenossen. Aber der Dialekt, das ist mit Verlaub, eine Zumutung. Sagen die Franken wohl auch über die Oberbayern.
      Demut und Respekt kann ich Ämtern nur bedingt entgegen bringen. Angesichts der ausufernden Gemütlichkeit, Öffnungszeiten und dem Kuriositätenkabinett an Mitarbeitern sind es meist harte Gänge. Mit Humor genommen, aber die reinsten Sozialstudien. Ich berichte gerne wieder…spätestens bei der Vertragsverlängerung.
      Gelegenheiten zum Gedankenaustausch finden wir sicher noch. Ich freue mich darauf.
      Liebe Grüße
      Ach und…ich habe natürlich schon angelesen und überflogen. Etwas, das ich ganz in Ruhe und nicht zwischen Tür und Angel lesen werde.

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  8. Die spontane Entscheidung finde ich sehr schön. Denn Reste der Verstorbenen bleiben sonst völlig pietätlos teilweise tatsächlich im Grab, landen auf der Erdmassendeponie oder beim Grünschnitt. So sieht’s aus. Auf den Friedhofsämtern herrscht noch „Ordnung“ 😉 ebenso wie in den Amtsgerichten. Da wiehert noch der gute alte Amtsschimmel.

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    1. Eigentlich bin ich bei sterblichen Überresten unempfindlich. Am Ende sind es wohl tatsächlich nur Knochen. Solange ein Grab aber auch ein Ort ist, an dem ich mich einer Person verbunden fühle, soll es ruhig noch lange bestehen bleiben.
      Amtsgerichte dürften ähnlich kurios sein 😉

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