Tante Ellas Yukata

Die Antwort auf meine Frage, wie ich aussehen würde, war ein tiefes Einatmen. Danach Stille. Die Dauer der Stille war der Maßstab für die Unzufriedenheit mit meinem Aussehen. Ballerinas, die ich in allen Farben und Ausprägungen besitze, wurden in der Regel mit einem kurzen Schnauben honoriert. Trug ich im Winter meine nierenwärmenden, ausgewaschenen  Wollstrumpfhosen in Kombination mit einem knielangen Kapuzenpullover ertönte vom Sofa ein schmerzvoll lang gedehnter Atemzug. Dieser endete meist erst dann, wenn ich unter die aufgeschlagene Decke neben dem Atmenden schlüpfte und das Elend verbarg. Er atmet nicht immer, mein Freund. Oder doch, er atmet natürlich immer. Aber das bewertende Atmen bekomme ich nicht allzu oft zu hören. Als Frau will man ja gefallen und hebt sich die scheußlichen Abgründe des Kleiderschrankes lieber für die Abend auf, an denen man alleine auf dem Sofa liegt. Wenn das Dschungelcamp beginnt und die unsäglichen Möchtegern Prominenten mein Wohnzimmer bevölkern, dann liege ich zum Beispiel alleine auf dem Sofa. An diesem Abend war ich nicht alleine und das was ich trug, war ausgesprochen hübsch. Jedenfalls zu hübsch, als das ich mir das sich leicht verfärbende Gesicht des auf dem Sofa sitzenden Mannes erklären konnte. „Ausatmen“, murmelte ich. Und weil ich voraussetzte, dass meine hochgezogenen Augenbrauen für ihn ebenso deutlich zu lesen waren, wie für mich sein atmen, blieb ich vor ihm stehen und zog sie fragend hoch, die Augenbrauen. Eine Weile standen wir uns atmend und Augenbrauen hochziehend gegenüber, bevor er zu grinsen begann.

„Das ist ein Test, hm?“, schmunzelte er und ich schüttelte den Kopf. Das billig rote Kleid, in dem ich wie eine Animierdame ausgesehen habe, war ein Test gewesen. Das zarte Stück Stoff, das mich jetzt umhüllte nicht. Es war wunderschön, aufregend gemustert und verdiente kein dämliches Grinsen.  Kampflustig positionierte ich mich vor ihm und forderte ihn auf, etwas dazu zu sagen. Es hätte mir gereicht, ein Schnalzen seiner Zunge zu hören. Mein Freund verteilt keine Komplimente über mein Aussehen. Er atmet oder schnalzt mit der Zunge. Beides in feinen Nuancen, die mich erahnen lassen, was er denkt. Wenn er gar nichts mehr tut, ist ein klärendes Gespräch angebracht. In Bezug auf Kleidungsstücke haben wir keine besonders ausgeprägte Gesprächskultur. Wir kommunizieren in Satzfetzen, und grunzen, schnauben und schnalzen um die gesprochenen Satzzeichen zu verdeutlichen.

„Was?!?“ Fuhr ich ihn giftig an.
„Ja genau! Was? Was ist das?“
„Ein Yukata.“
„Ich wiederhole, was ist das?“
„Ein traditionelles japanisches Kleidungsstück aus Baumwolle.“
„Kaum. Deine Haare sind elektrisch aufgeladen.“
Er streckte den Arm aus, um den Stoff zu befühlen und ich sprang zurück.
„Normalerweise sind sie aus Baumwolle. Ich steck mir die Haare eh noch hoch.“
„Mhm.“
„Was mhm? Gefällt es dir nicht?“
„Deine Haare sind schön.“
Ein Lächeln zuckte in meinen Mundwinkeln, bevor ich den cleveren Schachzug erkannte und ihn bat nicht abzulenken. Ich zitierte aus Wikipedia: „Ein Yukata dient als unkomplizierte Variante des Kimonos, ist leichter zu binden und preisgünstiger.“
„Warum trägst du die preisgünstige Variante eines Kimonos?“
„Um dir zu gefallen“, entgegnete ich schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Um mir zu gefallen? Zieh sie aus, dann stehen die Chancen besser.“
„Idiot. In japanischen Hotels trägt man das nach dem Baden. Man kann es auch zu Sommerfesten oder als Schlafanzug tragen.“
Er grinste. „Ein Kleidungsstück, das man sowohl im Bett, als auch zu sommerlichen Festivitäten tragen kann, würde mich misstrauisch stimmen. Hast du das Ding schon länger? Ich hab´s schon mal gesehen.“

Ich strich über den Stoff meines schönen Yukata und blickte auf meine nackten Beine, die der Stoff nur knapp bis zu den Oberschenkel verdeckte. Den Yukata hatte ich mir aus dem Kleiderschrank seiner kürzlich verstorbenen Großtante gesichert und es wunderte mich, dass die alte Dame damit vor ihm herumstolziert sein sollte. Überhaupt war ich verwundert gewesen, das schöne Stück in ihrem Schrank zu finden. Es war außergewöhnlich und ich habe lange im Internet recherchiert, um heraus zu finden um was genau es sich handelte. Die Variante seiner Großtante besaß keine Ärmel und ich war entzückt, dass sie einen Yukata besaß, der so kompliziert gewickelt werden musste. Unmöglich ihn einfach wegzuwerfen. Während ich nachdenklich in die Küche tapste um die Reste des Mittagessens aufzuwärmen, hörte ich ihn im Flur rumoren. Einige Zeit später stand er im Türrahmen und hielt ein aufgeschlagenes Fotoalbum in den Händen. „Ein Yukata, sagst du?“ Mein Nicken war genervt und ich verspürte wenig Lust, das Gespräch fortzusetzen. Unwillig warf ich einen Blick auf das Foto, das er mir unter die Nase hielt. Es zeigte Großtante Ella in ihrer Küche sitzend. „Liebes, das was du da trägst, ist kein traditionelles, japanisches Badegewand.“ Er legte das Album auf den Tisch und ich spürte das Schmunzeln seiner Lippen an meinem Hals. Dann wickelte er mich langsam aus dem Stoff der Gardinen, die vor über fünfzig Jahren an Großtante Ellas Küchenfenster gehangen haben.

Ein Beitrag zum alphabetischen  Kleider machen Leute auf Wortmischers Seite.

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29 Gedanken zu “Tante Ellas Yukata

  1. „Ich spürte das Schmunzeln seiner Lippen an meinem Hals“ … Das brüllende Lachen in meiner Küche hättest Du hören sollen, als ich eben Deine Geschichte vorgelesen habe!
    Vieln, vielen Dank für Deinen tollen Beitrag, der beweist, dass man sogar aus dem aberwitzigsten Kleidungsstück noch eine gute Erzählung machen kann. Klasse. Echt.

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  2. Gestern Abend, als ich im Konmmentar im Teestübchen las, dass du dir das Ypsilon vornehmen wolltest für Wortmischers Kleidungsprojekt, da sorgte ich mich, weil es ja nur ein einziges Kleidungsstück gibt, das mit Ypsilon beginnt, eben Yukata. Dass du aber aus Tante Ellas Küchenvorhängen einen wickeln können würdest, ist ungemein lustig, nötigt mir aber auch Achtung ab, denn ich kann mir nicht mal ein Badetuch gescheit umbinden, wüsste also ums Verrecken nicht wie so ein Yukata zu wickeln wäre. Toller Beitrag, liebe Mitzi, und so herrlich selbstironisch.

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  3. Lieber Jules, ich muss gestehen, dass auch ich keine Ahnung habe, wie man ein Yukata zu wickeln hat. Gestern Nacht, als ich noch etwas ganz anderes dazu schreiben wollte, verbrachte ich einige Zeit damit, mir das Binden von Kimonos im Internet anzusehen. Es ist eine Wissenschaft für sich und die Gefahr, dass ein Japaner mich rüde zurecht weist, war mir zu groß. Es wurde zu dem, was es jetzt ist. Der atmende Mann bekommt es heute Abend zu lesen. Erinnern wird er sich nicht. Außer seinem Atem und meinen hochgezogenen Augenbrauen ist die Erzählung ausgedacht.

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  4. *windet sich lachend hinter der Verleihtheke* Die Kunden gucken schon komisch!
    Aber eine sehr gute Idee. Ich bin schon lange der Meinung, dass alte Vorhänge kleidsamer sind als manches aktuelle Kleidungsstück. *gg*

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  5. Hätte ich gewusst das es hier einen so feinen Text gibt, hätte ich mein Stück Lieblingsbitterschokolade noch nicht gegessen. Der Beitrag liest sich nämlich ebenso fein und hätte Kalorien gespart. Aber so habe ich doppelten Genuss gehabt. Und ehrlich gesagt, muss ich von Bitterschokolade nicht so lachen.. den Glückseffekt haben deine Zeilen (besonders die mimische Kommunikation) ausgelöst! 🙂 Danke dafür!

    Herzliche Grüße aus der Silbenkemenate,
    Silbia

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  6. Dein Freund kann froh sein, dass du keinen Kimono trägst. Es sei denn er steht auf Frauen im Korsett und Fußschmerzgesichtsausdrücken…

    Diese wunderschönen Roben sind die Hölle auf Erden 😀

    PS: Dann musste sie aber verdammt gut nähen können und sie upcycelte anscheinend gerne 😉

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    1. In der fiktiven Erzählung leidet wohl eher die weibliche Figur am Unwissen, was ein Yukata wirklich ist oder dreht sich etwas zusammen.
      Aber du hast recht, im upcycling waren Großtanten bestimmt geschickter und Kimonos betrachte ich lieber aus der Ferne. 🙂

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  7. Ein wenig wahnsinnig, sich das Y vorzunehmen, bist Du durchaus 🙂 …und ich hab diesen Wahnsinn genossen und zuletzt herzlich laut gelacht: Fettnapf mit Untertauchen (eigentlich mein Spezialgebiet im RL). Danke für diese schöne Geschichte und liebe Grüße auch hier 😉

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      1. Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, habe nur der Lieblingstochter heut Mittag davon erzählt aber den Begriff verfälscht (Yukatana)…sie zog nur die Augenbraue hoch und meinte mich berichtigen zu müssen (*seufz* 17jährige, jaja, was die alles so wissen) 😉

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