Kaschmir für den schwulen Mann

Jede Frau braucht einen schwulen Freund? Blödsinn! Jede Frau braucht einen guten Freund.  Dass er zwingend schwul sein muss, erschließt sich mir nicht. Die gleichgeschlechtlichen Paare in meinem Freundeskreis haben nur wenig mit den teils bizarren Duracell Häschen aus „Sex and the City“ zu tun. Sie würden mir einen Vogel zeigen, wenn ich sie auffordern würde mit mir schicke neue Unterwäsche  zu kaufen; sie trinken Bier oder Wein und Prosecco nur unter Zwang und verbitten sich Gespräche über Menstruationsprobleme oder Enthaarungsmethoden.  Es sind Kerle – hetero wie homo.

Mein bester Freund ist mein engster Vertrauter, mein Seelenverwandter und eine der Konstanten in meinem Leben. Nebenbei ist er auch schwul. Wäre das seine einzige Kernkompetenz, das Schwulsein, wäre er vermutlich nicht mein bester Freund. Seine geschlechtliche Orientierung ist absolut unwichtig und bietet mir keinerlei Vor- oder Nachteile. Der schwule beste Freund eignet sich hervorragend zum Einkaufen? Nun wirklich nicht. Obwohl wir einen ähnlichen Geschmack haben, eignen wir uns nur bedingt dazu gemeinsam einkaufen zu gehen. Warum? Na, weil er ein Kerl ist.
Der jährliche Kaschmir-Sale zum Beispiel. Ich bin Alice im Wunderland und schmiege mich, strahlend vor Glück, an einen fantastischen Pullover. Und er…er zieht in Zeitlupe die Augenbrauen nach oben, hält mir das herrliche Stück vor die Brust und wirft einen Blick auf das Preisschild.  180 €? Spinnst du? Außerdem ist der viel zu groß. Ich antworte, dass er ist aus Kaschmir ist, von 310 € herunter gesetzt wurde und nur noch in dieser Größe da ist. Die Augenbrauen des besten Freundes wandern bis zum Haaransatz und er wiederholt: 180 € für einen Pullover, der dir zu groß ist? Ich hasse es, wenn er recht hat und betone stur, dass mich dieser Pullover über den Winter retten wird. Ich will ihn ja eh nur zu Hause auf dem Sofa anziehen. Er sieht mich an und wiederholt, jedes Wort betonend:  180 € fürs Sofa? Ich dachte diesen Monat wird’s eng. Sinnlos diesem Mann etwas zu erklären. Irgendwann verstummt er. Der Klügere gibt nach und wir wissen beide, dass ich am ersten kalten Abend des Jahres in genau diesem Pullover an seinem Küchentisch sitzen werde. Ich werde wie ein in Kaschmir gehülltes Michelin Männchen aussehen und ihn zweifelnd fragen, ob ich fett aussehe. Sagen wird er nichts. Aber seine Augenbrauen werden für einen kurzen Moment des Triumphes nach oben wandern, bevor er den Kopf schüttelt.
Ich kann nur dringend davon abraten mit Schwulen shoppen zu gehen – sofern es sich dabei um Männer handelt, was per gängiger Definition unvermeidbar ist.

Schwule sind geduldige Zuhörer und verstehen Frauen? Mein Freund hört mir zu, weil er sich für mich interessiert. Und natürlich versteht er Frauen. Genauso wie Männer. Nicht weil er schwul ist, sondern weil er empathisch und sensibel ist (außer wenn es um Kaschmir Pullover geht) und weil er eine gute Menschenkenntnis hat.
Der beste schwule Freund will einer Frau nicht an die Wäsche? Das ist wohl richtig. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir uns auch unter anderen Umständen nicht an die Wäsche wollen würden. Wir lieben uns, aber wir würden uns in einer Beziehung binnen kürzester Zeit in den Wahnsinn treiben. Wir verhalten uns auch so wie ein altes Ehepaar und keifen uns gerne mal mehrere Minuten an. Bei urplötzlichen Gefühlsausbrüchen, die sich in einer impulsiven Umarmung entladen, reagiert übrigens jeder Mann  gleich. Für einen kurzen Moment wird er stocksteif, verharrt irritiert und legt dir dann etwas linkisch den Arm um die Schulter. Erst wenn er glaubt, verstanden zu haben, was denn nun schon wieder los ist, entspannt er sich.

Mein bester schwuler Freund erfüllt keine Klischees. Das Adjektiv „schwul“ ist hier, wie in den meisten Fällen schlicht, überflüssig. Ich erwähne es nur noch in einem Nebensatz, wenn Freundinnen ins Schwärmen kommen. Aber auch da, reicht es in der Regel wenn ich vom Kaschmirpullover berichte. Nur meinem Vater, dem habe ich anfangs, im Sinne der leichteren Einordnung, manchmal auf die Sprünge geholfen. Überflüssig.  Er will gar nicht wissen, wer hier mit wem zusammen ist. Nicht weil es ihn nicht interessiert, sondern weil es ihm aus tiefstem Herzen egal ist. Er geht mit einer bewundernswerten Toleranz durch das Leben, ohne die Dinge bemüht vorsichtig zu umschreiben. Den lesbischen Stammtisch einer seiner Bekannten, bezeichnet er zum Beispiel als hochgradig anstrengend. Nicht weil sie Frauen lieben, sondern weil er zu viele Frauen auf einem Haufen grundsätzlich als anstrengend empfindet. Nur einmal habe ich ihn überfordert. Damals als er eine alte Schulfreundin von mir nicht wieder erkannt hat. Es war auch nicht leicht. Sie ist mittlerweile mit einer Frau verheiratet und geht als Mann durch das Leben. Sein Kommentar, nach dem er lange geschwiegen hatte: „Versteh ich nicht.“ Nach einer weiteren Pause fügte er an: „Muss ich auch nicht.“

Und das trifft in meine Augen auf Beziehungen jeder Art zu. Ich muss nicht unbedingt alles verstehen, ich sollte es nur akzeptieren.

16 Gedanken zu “Kaschmir für den schwulen Mann

  1. Ist auf dem Foto der besagte Pullover zu sehen? Zu große Kaschmirpullover können ja auch ganz dünn sein. Darin sehen die meisten Frauen gut aus, vorausgesetzt, sie sind überhaupt ansehnlich. Aber der grobgestrickte mit diesem Muster? Darin geht eine zierliche Frau unter. Ist halt nur eine Ferndiagnose 😉

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  2. Androgyne Jennifer

    danke Ich habe noch den wolligen Duft in der Nase
    Etwas traurig bin Ich dabei nur geworden
    Ich habe keine lesbische Freundin
    Na ja und wo sich mein Pullover verhakte
    War „empathisch“ wasn das ?
    Empathisch will Ich nicht sein
    Mitleid ist klebrig
    Wohl fühlen
    Mitfühlen ganz und gar
    Wie im Kaschmirwollenen

    Zuletzt sah Ich wieder „Matrix“ zwei mit einem naturgeschlechtlichem Freund
    Und das Orakel fließig zu Neo und Er stellt in frage widerstrebt will nicht wahr haben
    Das Er schon längst entschieden hat
    Sie das kannst Du erst wenn Du Deine Entscheidungen verstehst

    Dir Dein ferner Vogelfreund
    Joachim von Verstehen und zu Wollen

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  3. was für ein wunderbarer text, hier möchte ich mindestens 20x auf gefällt mir drücken! obwohl ich sagen muss, dass ich tatsächlich einen klischee-schwulen kenne, was aber glaube ich stark daran liegt, dass er als solcher sozialisiert wurde und alle seine besten freundinnen sein wollten. mein bester freund ist durch und durch hetero, steht dafür total auf spontane emotional ausgebrochene umarmungen. mein papa ist vermutlich noch mehr hetero (ich sage es nicht nur, weil er mein papa ist!) und dafür der beste shoppingpartner. ok dieser exkurs war jetzt irgendwie nicht so relevant. in etwa so relevant, wie die sexuelle gesinnung anderer menschen. dass manche das als bedeutungsvolles attribut sehen verstehe ich nur dann, wenn sie sich in einen menschen verlieben. wenn der dann per se schlichtweg nicht ins beuteschema fällt, ist es blöd. aber in jedem anderen moment… so ich hoffe du weißt was ich sagen will, mein geschwurbel wird nicht mehr sinnvoller und ich wollte eigentlich nur zustimmen 😉

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    1. Ich weiß genau was du meinst – die Klischees sind durch Vorurteile oder wenige Begegnungen entstanden und können so leicht durch andere Erfahrungen ausgehebelt werden. Ich denke man muss sie mit Humor sehen und aufpassen, die Schubladen nicht zu schnell und zu fest zu verschließen.

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      1. Das ist absolut richtig! Man sollte wenn es irgend möglich ist einfach jedem Menschen so begegnen als hätte man noch nie einen Menschen kennengelernt.

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