Natürliche Konfrontationen

Ich töte Tiere. Einfach so. Damit ich meine Ruhe habe. Schlimm? Es wird noch schlimmer. Ich töte sie nicht, um sie zu essen. Ich töte grundlos. Nicht alle Tiere. Bei Schweinen, Rindern und Hühnern kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich nur das esse, was das Schwänzchen oder die Schnauze ausgiebig in die Sonne gestreckt hat. Oder – wenn es weder Schwänzchen, noch Schnauze besitzt – in den Wochen vor seinem Schlachttermin, im Gras scharren konnte. Dank der Landwirtschaft meines Onkels, ist mein Karma-Punktekonto diesbezüglich im grasgrünen Bereich. Dunkel- um nicht zu sagen blutrot wird es bei Tieren, die nicht unter die Gattung der Säugetiere fallen. Obwohl…mit Nacktschnecken und Würmern habe ich auch kein Problem. Eigentlich muss sich nur eine einzige Spezies vor mir fürchten. SPINNEN.

Ich weiß, dass Spinnen mehr Angst vor mir haben, als ich vor ihnen. Ich weiß, dass es äußert unwahrscheinlich ist, sie im Schlaf zu verschlucken. Ich weiß, dass sie nützlich sind und meine Angst total bescheuert ist. Und doch. Sehe ich eine, fange ich an zu kreischen. Ich kreische sonst nie. Hilfreiche Tipps, wie das aufsaugen mit dem Staubsauger oder ein Glas über das Objekt meines Ekels zu stülpen machen mich nur noch hysterischer. Ich soll das Vieh in den Beutel des Staubsaugers befördern? Mein Staubsauger steht nachts im Schlafzimmer. Das ist als würde man mir vorschlagen, mit Chucky der Mörderpuppe eine WG zu gründen. Und ein Glas? Mit einem Glas in der Hand soll ich mich dem Monster nähern? Also bitte. Sie würde mich anspringen. Die Spinne. Genau ins Gesicht. Nein, die Spinne muss weg. Da meine Freunde sich weigern, quer durch die Stadt, zur Spinnenbeseitigung zu fahren, erschlage ich die Biester laut kreischend mit meiner Yogamatte. Zusammen gerollt ist sie eine erprobte Tatwaffe. Als Mordinstrument wandert sie später, angesichts meines schlechten Gewissens und einer ausgeprägten Scham über so idiotisches Verhalten in den Müll. Und auch, weil die kleinen Beinchen dran kleben.

Ich verstehe nicht, warum ich bei diesen winzigen Tieren so ängstlich bin. Es muss an der Größe liegen. Mit Kühen zum Beispiel habe ich überhaupt kein Problem. Ganz im Gegenteil. Diese Kolosse mag ich. Obwohl ich ein Stadtkind bin, bin ich auf dem Hof meines Onkels mit ihnen aufgewachsen. Auch außerhalb des Stalles, sind sie kein Problem. Wir haben eine kleine Hütte in den Bergen. Mit dem Auto kommt man nur auf einer abenteuerlich schmalen Straße dort hin. Ab und zu stehen auf der Straße Kühe. Warum sie den beschwerlichen Weg von ihrer Weide durchs Unterholz dort hin auf sich nehmen ist mir ein Rätsel. Aber manchmal stehen sie da. Wer schon mal im Auto sitzend vor einer Kuh stand weiß, dass Hupen sinnlos ist. Da hilft nur der direkte Dialog. Aussteigen, hingehen und…. Ja, dann wird es schwierig. Eine Kuh lässt sich ja nicht zur Seite schieben. Ich bin froh, wenn ich dann alleine bin und nicht noch jemand im Auto sitzt, der mein seltsames Treiben beobachten kann. Kuh und ich unterhalten uns. Ich mache ihr klar, dass ich da vorbei muss. Interessiert sie meistens nicht. Ich drücke mit der Schulter, vorne rechts oder links, ein bisschen gegen den massiven Körper. Sie versucht mir über das Gesicht zu schlecken, bleibt aber stehen. Ich bemerkte, dass die Kuh ein Kalb ist, aber trotzdem zu groß und zu schwer um es zu schieben. Ich klatsche ihr halbherzig und mutig (von Todesfällen durch Kühe verursacht hört man ja selten) gegen die Flanke und warte ab während sie mich gutmütig und freundlich ansieht. Dann hol ich die Tasche aus dem Auto, lass es stehen und geh den Rest des Weges zu Fuß nach oben.

Die Kuh gewinnt. Immer. Ihre Hörner sind hübsch, aber die gutmütigen, muhenden Damen vergessen manchmal, dass sie auch verdammt spitz sind. Angst machen sie mir trotzdem nicht. Angst macht mir nur das, was mir überhaupt nicht schaden kann. Spinnen. Jahrelang habe ich vor meinem irrationalen Verhalten die Augen verschlossen. Seit einem Monat kann ich das nicht mehr. Mein vierjähriges Patenkind kam fröhlich auf mich zugelaufen. In der hohlen Hand eine Spinne. Noch bevor es ein Wort sagen konnte, kreischte ich los, packte das Kind und schüttelte Kind und Spinne, in des Kindes Hand, auf dem Balkon hin und her. Das Kind lachte. Trotz Hysterie handelte es sich natürlich um ein sanftes Schütteln. Als x-fache Tante, kann ich hysterisches Schütteln als „wir spielen fliegen“ tarnen. Mein lautes Schreien und das Niedertrampeln der Spinne führte dennoch zu Irritationen des Kleinen. Ein paar Minuten später hat er mir ernst erklärt, dass Spinnen doch nur kleine Tiere sind, die man nehmen und sanft nach draußen befördern sollte. So hätte es ihm seine Mama erklärt. Um die Erziehung der Mutter nicht zu torpedieren, erklärte ich dem Kind folgendes: „Mama hat recht. Aber das eben, das war eine böse Spinne. Eine mit roten Augen. Eine die noch nicht ausgewachsen war und die wir gerade noch rechtzeitig platt gemacht haben.“ Er sah mich zweifelnd an und ich fuhr fort. „Ohne dich hätte ich das nicht geschafft. Du bist wirklich  sehr, sehr tapfer und mutig.“ Zweifel verflogen, Kind stolz, Tante beschämt. Leise ergänzte ich, dass wir seine Mama besser nicht beunruhigen und ihr am besten nichts vom Monster erzählen sollten. Pädagogisch mehr als fragwürdig.

Meine Freundin rief gestern an. Das Kind hätte seit neustem Angst vor Spinnen. Ob ich etwas damit zu tun habe. Mist. Sie kennt mich.

18 Gedanken zu “Natürliche Konfrontationen

  1. Ich besitze so ein Spinnenfangding, das heißt eigentlich „Snappy“ – musste ma googeln. Das ist jedenfalls eigentlich dazu gedacht, Insekten lebendig zu fangen und sie dann wieder freizulassen. Also draußen. Ich bin aber so mies, dass ich die Spinne zwar damit fange, aber dann kommt sie ins Klo und ich spüle schnell (und erschauer am ganzen Körper vor Ekel und vor Schreck vor mir selbst, dass ich so gemein bin. Aber ich habe EINMAL das Spinnenfangding korrekt benutzt und die Spinne war am nächsten Tag wieder in der Wohnung. Seit dem denke ich mir immer: Niiiicht mit mirrr!!). Fühlst du dich schlecht, weil du tötest? Also Spinnen? Ich schon. Manchmal.

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    1. Oh shit, hab ich das schon veröffentlicht *lach. Das ist ja noch gar nicht fertig….Aber vielen lieben Dank, ich bin also nicht die einzige, die so überreagiert. Ob ich mich schlecht fühle? Ja….das tipp ich gerade. So…wie bekomm ich das jetzt wieder in den Entwurfstatus ohne Deinen Kommentar zu löschen?

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    1. Du warst ja schnell! Da tipp ich einmal auf veröffentlich, statt speichern und schwupps schon kommentiert. Ich fürchte jetzt, beim ganzen Text, wirst du das mit dem „mach weiter so“ noch einmal überdenken 😉

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  2. Bei mir sind’s Bienen und Wespen, die derartige Reaktionen auslösen. Und da sind Spinnen dann auch die besten Freunde. Bei uns vor dem Küchenfenster hat es sich schon seit März eine Kreuzspinne von der Größe eines 5-Mark-Stücks (kennt das noch jemand?) kommodig gemacht.

    Dafür habe ich aber auch in diesem Sommer keine einzige Biene oder Wespe auf der Roten Grütze sitzen gehabt.

    Ich habe der Spinne schon einen Mietvertrag für das nächste Jahr angeboten…

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  3. also jetzt habe ich nochmal alles gelesen, ging ja vorhin noch nicht lach, nein ich kann das mit der angst auch gut verstehen (zwar nicht vor spinnen) und wenn du sie nicht in deinen staubsauger haben willst dann musst du das problem auf andere weise lösen. ok du könntest natürlich auch einer selbsthilfegruppe beitreten oder mal eine woche im dschungel übernachten…aber deine methode geht auch.

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  4. Ich ahnte, was mich erwartet 😉
    Aber du hast Recht. Sie sind harmlos und nützlich. Ein Kompromiss: Ich bringe vor dem Badezimmer- und Küchenfenster Fliegengitter an. Sie kommen nicht rein und ich mach sie nicht mehr platt.

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  5. ich nicke. und meine allererste wohnung war eine spinnenhöhle. als ich ankam begrüßten mich 2 beine, die sich grade aus einer weiß umsponnenen puppe befreiten. ich glaube nicht, dass ich je was ekelerregenderes gesehen hab. allerdings habe ich in diesen 6 monaten gelernt, dass spinnen ein seltsam feines gespür haben, was mir das zusammenleben mit ihnen etwas erträglicher gemacht hat. eine wohnte in den sesselleisten und wagte sich nur spätabends raus, wenn ich noch nicht zuhause war. nachdem wir uns in eine ziemliche patt-situation manövriert hatten, weil ich das nciht wusste, und spinne und ich uns gegenüber von einander tot stellten, hatte ich für die künftigen abende draus gelernt. tür aufmachen, licht aufdrehen, den blick von der sesselleiste abwenden. so konnte sie schnell verschwinden und ich so tun, als ob sie nicht da wäre.

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