2X=0

Tippt man bei Google „Weihnachten ist…“ ein, lautet der erste Vorschlag „…Party für Jesus“.  Die Nonnen, die mich während meiner Schulzeit unterrichteten, hätten das vermutlich ein wenig anders formuliert.  Für mich ist Weihnachten vor allem etwas, das meine kompromisslose Seite zum Vorschein bringt. Ich bestehe auf einen Adventskranz einen großen Christbaum und einen Adventskalender.
In den Nullerjahren führte der Adventskalender meines Exfreundes  fast zur Trennung. Er hatte mir 23 einzelne Gummibärchen aufgefädelt und sie an den Kühlschrank gehängt. Ganz unten ein Mon Cherie – ausgelaufen, weil mit einer Nadel durchstochen. Er war stolz, ich war beleidigt. Ähnlich stur bin ich, wenn es darum geht den perfekten Christbaum zu besorgen.
Vor einigen Jahren lebte ich in Italien. Dem Land der Plastikpflanzen. Meine Liebe zum Geruch eines Nadelbaumes ging soweit, dass ich meinen damaligen Freund nötigte, mit mir von Verona nach Südtirol zu fahren um einen Baum zu kaufen. Über die Größe des Baumes stritten wir uns dann so heftig, dass er stinksauer ins Auto stieg und mich alleine zwischen Glühweinständen und Holzschnitzereien stehen ließ. Ich bin ihm eine Stunde später gefolgt. Mit dem Zug und einer 1,80 großen Fichte unter dem Arm. Den passenden Ständer konnte ich nicht mehr tragen. Den haben wir dann am nächsten Wochenende – wieder in Südtirol – besorgt.

Bei der Auswahl des richtigen Christbaumes bin ich für rationale Argumente nicht mehr zugänglich. Ähnlich irrational bin ich, wenn ich verliebt bin. Und damit schaffe ich dann auch endlich (und mehr als holprig) den Bogen zum zweiten Treffen mit Dr. X . Bei dem trafen nämliche beide Umstände zusammen.

Zwei Tage vor Weihnachten 2010 stand ich mit einer monströsen Fichte an der Trambahnhaltestelle und ignorierte die etwas irritierten Blicke der restlichen Fahrgäste. Das ich in Weihnachtsstimmung war, wusste ich, dass ich noch immer in X verliebt war, erst als seine SMS kam. „Wir sollten mal wieder knutschen.“ Das was er da geschrieben hatte war einfallslos und dumm. Das was er wenig später am Telefon sagte nicht. Ich mag Worte im Allgemeinen und ich mochte ganz besonders das was er sagte. Über eine Stunde stand ich an der Haltestellte, den Baum umklammert und hörte ihm zu. Nichts besonderes. Was so in den letzten Monaten passiert war. Kann jemand gut erzählen, sind die Inhalte zweitrangig. Ich lachte mit ihm, schickte ihm ein Foto der Fichte und ließ eine Bahn nach der anderen an mir vorbei fahren. Er hörte nicht auf zu reden, bis ich am Abend mit dem Handy in der Hand vor seiner Wohnung stand. Den Baum hatte ich zuvor noch nach Hause gebracht.

Es sind Kleinigkeiten, die mir in Erinnerung geblieben sind. Die Bücherstapel in seinem Arbeitszimmer, seine gestreifte H&M Pyjamahose, der winzige Balkon, auf dem er im Sommer Jagd auf die Tauben gemacht hatte und die Musik von Johnny Cash. Obwohl es Dezember war, saßen wir in dicke Jacken eingepackt auf dem Balkon und beobachteten seine Nachbarn durch die erleuchteten Fenster auf der anderen Straßenseite. Während er mir von der Frau erzählte, die ihre drei Katzen auf dem Tisch fütterte, teilten wir uns eine Tafel Schokolade. Er saß hinter mir und hielt mich umarmt, als wir beobachteten wie ein Paar gegenüber stritt. Als sie die Vorhänge zuzogen küsste er meinen Hals und als die ersten Lichter in den umliegenden Fenstern ausgingen saßen wir längst nicht mehr auf dem Balkon.

Es war nicht die Nacht mit ihm, die dazu führte, dass ich mehr wollte. Es war das Gefühl, das ich hatte, als ich am nächsten Morgen nach Hause ging. Die Überzeugung, dass er der ist, zu dem ich gehöre. Ich brauche Zeit, bis ich mich in einer fremden Umgebung wohlfühle und entwickle Freundschaften und Vertrauen nur langsam. Hätte X mich aber in dieser Nacht gefragt ob ich den Rest meines Lebens mit ihm und in dieser Wohnung verbringen möchte, ich hätte ohne nachzudenken ja gesagt. Ich verstehe bis heute nicht, was genau es gewesen war. Die Art wie er mich ansah, die Art wie er mit dem Daumen über die Innenseite meines Handgelenkes strich, sein Geruch, seine zerzausten Haare? Sein trockener Humor, der beißende Sarkasmus und sein kluger Kopf? Die schönen Worte,  im Winter auf dem Balkon Wein zu trinken? Das alles ist zu banal um mich so aus der Bahn zu werfen.
Er war der Eine und ich habe es instinktiv erkannt. Ich habe mich selten in meinem Leben vorher oder nachher so geborgen, geliebt, begehrt und glücklich gefühlt wie damals. Nicht in dieser Kombination und Vollkommenheit.

So klar, wie ich erkannte, dass ich genau diesen einen Mann haben wollte, erkannte ich auch, dass er mich nicht wollte. Er musste es nicht sagen. Sein erster Korb war deutlich gewesen und ich klug genug mir keinen zweiten zu holen. Außerdem wollte ich es nicht hören. Ich wollte das Perfekte und das Vollkommene dieses Abends haben. Um jeden Preis. Bekommen habe ich es nicht. Stattdessen kaufte ich mir am nächsten Tag genau die gleiche Männer Pyjamahose und für fast 200 Euro die Lampe, die in seinem Schlafzimmer stand. In meiner Erinnerung war das Licht sanft und weich gewesen und die Form originell und nicht alltäglich. Auf meinem Nachttisch ähnelte das Ding einem futuristischen Ei mit grelloranger Zeitanzeige und verbreitete kaltes, hartes Licht. 200 Euro für eine Lampe, deren Funktion darin bestand, durch Vogelgezwitscher und der Simulation eines Sonnenaufgangs, sanft zu wecken. Völlig sinnlos für mich. Mein Schlafzimmer liegt auf der Ostseite und ich wache grundsätzlich um täglich Punkt sechs Uhr auf. Nicht sanft, sondern durch das plärrende Radio meiner Nachbarin.

Weihnachten war grausam. Irgendwie habe ich den Familienteil hinter mich gebracht, die Freunde getroffen, die jedes Jahr nur über die Feiertage in der Stadt waren und nur auf den 26.12 gewartet. Dann waren alle Besuche und alle Feiern erledigt und ich konnte mich ins Bett legen und heulen. Mit Lampe und Pyjama. Es war das erste Mal, dass ich als Erwachsener stundenlang weinte und nicht aufhören konnte. Noch heute kann ich die Gefühle von damals sofort abrufen. Das wunderschöne Gefühl und das schreckliche auch. Die Kombination von Schmetterlingen im Bauch und einem Messer im Herzen ist nicht zu empfehlen. Daran scheiterte sogar der Beste. Er sagte damals nichts.

Bei den Pyjama Hosen bin ich geblieben. Größe S in der Männerabteilung bei H&M – unschlagbar bequem. Die Lampe habe ich kurz nach den Feiertagen weggeschmissen. Mit Schwung in die Tonne. Für einen kurzen Moment  hat es sich gut angefühlt. Etwa 30 Sekunden lang. Danach bin ich wieder ins Bett und habe weiter geheult. So etwa bis zum Sommer. (Ha! Wenn das mal keine Übergänge sind.)

24 Gedanken zu “2X=0

      1. ich hab es dann selbst gesagt….als ich merkte: Er meint mit Liebe -vögeln…Öhmmm ja ich war doof

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      1. Passt aber wirklich nicht.
        Die drei heiligen Könige kommen, um das neugeborene Kind im Stall zu besuchen. Einer der Könige tritt in einen Haufen Sch***, den ein Kamel dort platziert hat. „Jesus“, sagt er unwillkürlich. Das hört Maria und sagt zu Josef: „Du, Josef, ich glaube, Jesus ist doch ein schönerer Name als Gerhardt.“

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  1. Eine Geschichte, die witzig ,traurig und schön gleichzeitig ist… Echt gelungen! Nur schade, dass Du die Gummibärchen-Kette nicht gewürdigt hast… Ich hätte sie wahrscheinlich süß gefunden und wäre höchst gerührt gewesen! Ich hab´nämlich noch nie einen Adventskalender geschenkt bekommen,außer früher von meiner Mami… Allerdings gibt es natürlich Schlimmeres, aber man darf ja ´mal sentimental werden!

    Eine wunderschöne Woche, Nessy von den happinessygirls.com

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    1. Bis zum Sommer geheult….das trifft es genau. Ich konnte auch erst Jahre später darüber schreiben. Das es je besser wird, konnte ich mir damals nicht vorstellen.

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      1. oh das kenne ich gut. ich dachte wirklich, dass über sowas nicht wegzukommen sei. zum glück haben die menschen recht behalten, die mir versprochen haben, dass es irgendwann vorbei – und besser so sein wird.

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      2. Ich fürchte, wir werden es wieder nicht glauben, wenn es sich noch einmal so anfühlt.
        Den Text habe ich heute seit langem noch mal gelesen, weil besagter X heute Geburtstag hat. Heute bin ich froh, dass es ein klares Ende war.

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  2. vielleicht. obwohl ich ehrlicherweise gestehe, dass ich hoffe, dass mir sowas noch einmal zu erleben erspart bleibt. and they lived happily ever after und so.
    ich kann mir das gut vorstellen. manchmal ist es auch am besten so. ich hab es damals ja lange mit so einem hin und her probiert und kann nur sagen: das ist echt nicht empfehlenswert.

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