Frag mich…..lieber nicht.

Beim Ausfüllen von Fragebögen und Profiltexten bin ich gnadenlos ehrlich. Anonym oder nicht – wer mich fragt, weiß mehr als er wissen wollte. Der Kantinenbetreiber in meiner Firma weiß jetzt, dass sein Salatdressing meinem Vorhaben, drei Kilo abzunehmen, im Weg steht; die GEZ ist über die Radiofunktion meines iPods informiert und im letzten Beurteilungsgespräch hat mein Chef mich darauf hingewiesen, dass eine zusätzliche Zeichnung auf die Frage nach dem Fluchtweg nicht notwendig gewesen wäre.

Die zweite oder dritte Nachricht von Dr. X – bevor er mich eine Woche später gnadenlos abservierte – überraschte mich daher nicht. Ob wir nicht mal gemeinsam mein Profil ein wenig deeskalieren wollten? Schließlich sei nicht jeder so unerschrocken wie er. Wir wollten. Unser erstes Telefonat drehte sich um die Angaben in meinem Profil.

Frage: Warum hast du dich für Online Dating entschieden?
Meine Antwort: Aus Verzweiflung
Frage: Was zeichnet dich aus?
Meine Antwort: Ich wäre noch zu haben.
Frage: Wovor hast du Angst?
Meine Antwort: Atomkrieg und Spinnen.

„Hase, das ist Schrott.“ Recht hatte er, der X. Fernmündlich holten wir uns synchron eine Flasche Wein und er begann mich auszufragen. Keine Fragen, die im Profil zu beantworten gewesen wären, sondern Fragen die ihn zu interessierten schienen. Aus meinen Antworten begann er Sätze zu formulieren, die nicht nur schön klangen, sondern nach einiger Zeit auch zur Beantwortung des Fragebogens verwendet werden konnten. Beim zweiten Glas Wein gab ich ihm mein Passwort und er tippte selbst, während ich staunend beobachtete, wie sich meine Internetpräsenz rasant verbesserte.
Wesentliche Bestandteile meines Profiltextes bestehen noch heute aus dem, was er in dieser Nacht für mich oder über mich geschrieben hat. Fake? Kaum. In vino veritas. Sehr vino und sehr veritas.

Spät in der Nacht war mein Profil vollständig ausgefüllt. Nur eine Frage blieb offen. Nachdem ich mein intimstes überhaupt – die Playlist meines iPods offen gelegt hatte, weigerte X sich, etwas zu meinem Musikgeschmack zu schreiben. Bevor er ins Bett ging, legte er mir nahe, diese Frage auch im persönlichen Gespräch unbeantwortet zu lassen. Drei Jahre lang hatte ich seinen Rat befolgt. Bis zum ersten gemeinsamen Wochenende mit meinem Freund (dem ich jenseits des ganzen Internet Mists ganz altmodisch bei gemeinsamen Freunden vor die Füße gestolpert war). Ich ließ es zu, dass er meinen iPod anschloss, während wir annähernd romantisch auf dem Sofa lagen. Drei Lieder hielt er durch und murmelte dann etwas über die Vorzüge von Stille. Zwei Monate später kam er noch einmal darauf zurück und erkundigte sich, ob ich ihn damals auf dem Sofa testen wollte.

Vor kurzem las ich über eine Studie von Dr. Arthur Aron. Er setzte Paare, die sich vorher nicht kannten, zu zweit an einen Tisch  und ließ sie sich gegenseitig 36 Fragen beantworten. Er stellte die These auf, dass ein immer weitergehendes Preisgeben persönlicher Informationen eine enge Beziehung zwischen den beiden fremden Personen herstellen konnte.  Bei X und mir traf das absolut zu. Bei Mike, den ich wenige Wochen später traf, leider gar nicht. Wir stellten wohl die falschen Fragen.

Mikes Profil las sich vielversprechend. Ein Mann der auf alte Bud Spencer Filme stand, angab viel und gerne zu lesen und zudem noch Gitarrist in einer Band war. Bud Spencer ist ok und ein gewisses Maß an Kreativität und Leidenschaft, die ich einem Musiker unterstellte genügten um ihm und mir eine Chance zu geben. Zwischen zwei Apfelsaftschorlen fragte er mich mit offenem Stolz, ob ich mir die Homepage seiner Band angeschaut hätte. Ich dürfe ihm gerne Fragen stellen, wenn ich näheres wissen wolle. Und ob ich wollte. Eines fragte ich mich seit ich die Seite geöffnet hatte. Warum um alles in der Welt, macht man professionelle Bandfotos vor dem öffentlichen Klo einer Münchner U-Bahn Station? Falsche Frage. Er war beleidigt, sagte nicht mehr viel und zeigte mir statt dessen YouTube Videos von den Auftritten seiner Band. Nicht mal schlecht, nur der Gitarrist wirkte irgendwie fehl am Platz. Fragen an mich schien er nicht zu haben.  Er zeigte mir weitere, bessere,  Bilder seiner Band und die einzige Frage, die ich wirklich noch gerne gestellt hätte – ob er denn gar nichts von mir wissen wolle – verkniff ich mir.

Mike lebte in seiner eigenen Welt und schien sich dort recht wohl zu fühlen. So wohl, dass es ihm nicht in den Sinn kam über den Horizont der selbigen zu blicken. Musste er auch nicht, sie war ein bisschen zu weit von mir entfernt. Bevor auch ich zurück in meine Welt und zur U-Bahn Haltestelle ging, stellte er dann doch noch eine Frage. Mit etwas rauchiger Stimme und sich zu mir beugend, war es der letzte Versuch, dem Date noch irgendeinen Kick zu geben. „Hey, welchen Song würdest du jetzt gerne hören?“ Ich lächelte, das war einfach zu beantworten. „Guten Abend, gute Nacht. Von meiner Mutter gesungen.“

Ich habe nie wieder etwas von Mike gehört. Auf die Frage nach meinem Musikgeschmack antworte ich seit dem nicht mehr und meinen iPod gebe ich nicht aus der Hand. Die Gefahr, dass jemand die 31 verschiedenen Live-Versionen von Robbie Williams Angels entdeckt, ist zu groß.

11 Gedanken zu “Frag mich…..lieber nicht.

  1. Danke für den herrlichen Lacher, den Du mir am Ende Deines Textes „gespendet“ hast. 31 live Versionen von „Angels“! Das kann sich gut messen mit meinen über 50 Versionen von „All Along the Watchtower“, verschiedener Interpreten. Das kann ich auch nicht keiner Frau zeigen…

    Macht Spass bei Dir zu lesen!

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