Tomatensaft und Minzbonbons

Google muss besoffen gewesen sein, als es folgendes zur Suchanfragen „Tipps fürs erste Date“ mit an den ersten Stellen lieferte…

„Männern gefällt es, wenn eine Frau ihre Wünsche vorausahnt, selbst wenn es nur unbedeutende Details sind. Reichen sie ihm das Salz, bevor er danach fragt.“ – Aber das Fleisch können sich die Herrn der Schöpfung noch selbst kleinschneiden?

„Ich finde es fantastisch, wenn mich eine Frau am Nachmittag zu einem Tee einlädt. Das ist mal was anderes als immer das klassische Glas Wein – oder Bier – am Abend. Zumal ich ohnehin keinen Alkohol trinke.“ – Ein Leben ohne Wein? Sorry, ich bin raus.

„Ich mag Herausforderungen! Also, meine Damen: Seid mysteriös, um mich zu verführen!“ – Ne, danke. Ich lass mich lieber verführen. Und glaubt mir, liebe Männer, das wird euch genug fordern…auch heraus.

90 Minuten vor dem ersten Date mit Dr. X und obiger kurzer Google Recherche, fuhr ich den Rechner runter und war entschlossen mich diesem ersten Date ganz locker zu stellen. Dates mit Unbekannten waren mir neu.  Ich bin über all meine Ex-Freunde eher zufällig gestolpert. Habe sie auf der Skipiste umgefahren, habe ihnen im Büro die Finger in der Druckerklappe eingeklemmt oder habe sie in der Fachschaft der Uni mit so saublöden Fragen gelöchert, dass sie sich verpflichtet fühlten, sich meiner anzunehmen. Einer hat es sogar ohne Verletzungen und Nervenzusammenbruch geschafft mein Freund zu werden. Alle meine wenigen, aber langen, bisherigen Beziehungen waren rückwirkend sehr schön gewesen und zu jedem meiner Exfreunde pflege ich noch heute eine gute Beziehung. Ich gehöre also zu den wenigen Frauen über Dreißig, die sich nicht durch ihre vorherigen Beziehungen als traumatisiert bezeichnen würden. Eine gute Voraussetzung um ruhig und entspannt auf X zu treffen.

Dr. X war auch entspannt. So entspannt, dass er nach 20 Minuten eingeschlafen ist. Die ersten 12 Minuten verbrachte er damit, mit seiner Mutter zu telefonieren und ihr zu erklären, dass er gerade nicht telefonieren könne. Während er aufmunternd lächelnd telefonierte, schlenderten wir in den Englischen Garten. Weitere 4 Minuten brauchten wir um einen Ameisenfreien Platz für die Decke zu finden und 3 Minuten um uns die Schuhe auszuziehen, die Decke auszubreiten und das aus seinem Rucksack zu ziehen, was er unter Verpflegung verstand. Die Flasche Tomatensaft (ungekühlt) kommentierte er mit „Mist, falsche Flasche“ und die Minzbonbons mit „Minz? Cool. Wenn wir auf die Mischung nicht kotzen, sind wir gut.“ Um einzunicken brauchte er dann nicht mal 1 Minute. Ich selbst brauchte mindestens fünf Minuten um zu begreifen, dass er wirklich tief und fest schlief. Einige Minuten versuchte ich es mir auf dem kleinen Stück Decke, das seine 1,90 nicht beanspruchten, gemütlich zu machen, dann gab ich auf und legte mich ins Gras. Und in die Ameisen.

Ich bin unheimlich gut darin, in allem etwas positives zu sehen und ganz große Klasse im Verschließen der Augen. Das X nicht schnarchte, erschien mir als ein ausreichend gutes Zeichen um nicht einfach zu gehen. Und mit dem Füttern von Ameisen, die Minzbonbons aber nicht besonders mögen, verstrich die Zeit. Den Tomatensaft rührte ich nicht an – sonst hätte ich mich bei gefühlten 34 Grad wohl wirklich übergeben. Warum ich geblieben bin, weiß ich nicht. Warum ich ihm nicht gesagt habe, dass er spinnt, als er mich eine halbe Stunde später in seine Arme gezogen hat, weiß ich erst recht nicht. Aber ich weiß, dass X das beste Mittel war um eine sieben Jahre andauernde und gescheiterte Beziehung endgültig zu vergessen. Man muss einen Menschen nicht besonders gut kennen, um sich bei ihm rundum wohl zu fühlen. Es reicht wenn das Bauchgefühl sagt, dass alles gut ist und man genau in diesem Moment und da wo man gerade ist, gut aufgehoben ist. Und mein Bauchgefühl hatte recht – es war gut.

Dr. X war wieder wach und während ich in seiner Armbeuge lag, stellte er ziemlich kluge Fragen, hörte sich meine Antworten an, ohne mich zu unterbrechen und ließ mit etwas Abstand seine Sicht der Dinge folgen. Irgendwann, sehr viel später verschwand die Sonne und wir hörten auf zu reden.  Längst hatte ich mich in die wuscheligen Locken, die tiefe Stimme, den Inhalt seiner Worte und den Rest von X Hals über Kopf verliebt. Aber solange ich rede und vor mich hin plappere, bin ich Herr der Lage. Dann kann ich locker in der Armbeuge eines fast fremden Mannes liegen, während er meine Wange streichelt. Solang ich mich dort wohl fühle und die Worte sprudeln, bin ich entspannt. Wenn es still wird, weil es nichts mehr zu sagen gibt und Worte nur stören würden, dann bin ich so, wie ich wirklich bin, wenn ich mich verliebe. Unsicher, nervös, fahrig und so herzklopfig, dass man es bestimmt hört.

Es folgte was folgen musste und es war…..ah….schön. Auf meiner persönlichen Kuss Liste – die Nummer 1. Nie vorher und nie nachher habe ich mich so schnell und so kopflos in einen Mann verliebt. Es war das was er sagte und das was er in den Momente tat, in denen er nichts mehr sagte.

Was dann folgte….nichts. Wir gingen. Ich zu mir. Er zu sich. Ende.

Der schriftliche Korb folgte auf eine SMS von mir in der kommenden Woche. „Der Nachmittag mir dir war perfekt. Ich misstraue Perfektion und erspare es uns, heraus zu finden, wie wir wirklich sind.“

Dr. X begegnete mir später noch öfter. Und ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich im Laufe der Zeit klüger wurde. Wurde ich nicht. Ich blieb herzklopfig.

14 Gedanken zu “Tomatensaft und Minzbonbons

  1. Er misstraut Perfektion? Ich habe mal 2 einhalb Stunden gebraucht, bis ich den (für mich) perfekten Weihnachtsbaum hatte! Der Mann hat definitiv einen an der Waffel, dass er dich nicht in der Armbeuge dabehalten hat.

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  2. Die Minzbonbons hätten ihm bei mir keine Punkte gebracht – und zum Tomatensaft gehört einfach ein Flugzeug dazu.
    Aber alles andere muss ja wohl doch herzklopfig genug gewesen sein, so dass du 2021 immer noch damit beschäftigt bist.

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  3. wie schön, dass es davon eine fortsetzung gab. „Man muss einen Menschen nicht besonders gut kennen, um sich bei ihm rundum wohl zu fühlen. Es reicht wenn das Bauchgefühl sagt, dass alles gut ist und man genau in diesem Moment und da wo man gerade ist, gut aufgehoben ist.“ – JA, das unterstreiche ich mit am besten drei textmarkern. die SMS danach ist immer noch eine ziemliche bombe.

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    1. Bei der bleibt mir (beim dran denken) auch immer noch die Luft weg. Und kannst du dir vorstellen, dass ich mir damals trotzdem Gründe zurecht legte, warum das doch alles passt….wenn ich das lese, frage ich mich heute, wie doof ich damals war. Eine so klare Aussage einfach zu ignorieren und sich selbst….von wegen nein heißt nein. Gilt ja in beide Richtungen 😉

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